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- Joann, erwiderte der Gefangene, hast Du wirklich glauben können, daß ich ein solches Opfer Deinerseits annehmen würde?

- Du mußt, Johann! Deine Anwesenheit bei den Patrioten ist jetzt mehr als je von Nöthen.

- Haben sie denn nach der erlittenen schweren Niederlage noch nicht an dem Erfolge unserer nationalen Sache verzweifelt?

- Nein! Sie sammeln sich eben am Niagara, auf der Insel Navy, und rüsten sich, den Kampf von neuem zu beginnen.

- So mögen sie es ohne mich thun, lieber Bruder! Der Erfolg unserer Sache hängt nicht von einem einzelnen Manne ab!. Ich werde Dich nicht das Leben daran wagen lassen, um das meinige zu retten!

- Ist's denn nicht meine Pflicht, Johann?. Du kennst doch unser Ziel?. Haben wir das schon erreicht?. Nein! Wir haben noch nicht einmal sterben können, um den Schaden wieder gut zu machen, den.«

Die Worte Joanns gingen seinem Bruder tief zu Herzen, er ergab sich aber deshalb noch nicht.

Joann fuhr fort:

»Bitte, höre auf mich!. Sieh, Du fürchtest für mich, Johann; doch, was habe ich eigentlich zu fürchten? Was kann mir geschehen, wenn man mich morgen in dieser Zelle findet? Nichts!. Es wäre dann etwa nur ein armer Priester an Stelle eines Verurtheilten hier, und was könnte man diesem anhaben, als daß man ihn laufen ließe?.

- Nein!. Nein!. erklärte Johann, der ebenso gegen sich selbst, wie gegen die Bitten seines Bruders ankämpfte.

- Genug der Worte! sagte Joann. Du mußt fort von hier, und wirst also gehen! Thue Deine Pflicht, wie ich die meinige gethan! Nur Du allein bist volksthümlich genug, um einen allgemeinen Aufstand zum Ausbruch zu bringen.

- Und wenn man Dich für die Mithilfe zu meiner Flucht verantwortlich machen will?

- Man kann und wird mich nicht ohne Untersuchung verurtheilen, antwortete Joann, nicht ohne directen Befehl von Quebec, und da gehen immer noch einige Tage darüber hin!

- Einige Tage, Bruder?

- Gewiß, und Du gewinnst indessen die Zeit, Deine Waffengefährten auf der Insel Navy aufzusuchen und diese nach dem Fort Frontenac zu führen, um mich zu befreien.

- Es sind gut zwanzig Meilen vom Fort Frontenac bis nach der Insel Navy, Joann! Die Zeit wird mir mangeln.

- Du weigerst Dich also, Johann? Nun wohl, bis jetzt hab' ich gebeten. jetzt muß ich befehlen! Es ist nicht mehr der Bruder, der zu Dir spricht, sondern der Diener unseres Gottes! Wenn Du sterben mußt, so geschehe es im Kampfe für unsere gute Sache - sonst hast Du nichts erfüllt von der Lebensaufgabe, die Dir zufiel. Schlägst Du es dennoch ab, nun zu gehorchen, so werd' ich auch mich zu erkennen geben, und der Abbe Joann wird an der Seite Johanns ohne Namen unter den Kugeln fallen!

- Bruder!

- Geh', Johann!. Geh' fort von hier, ich will es!. Unsere Mutter will es!. Unser Vaterland verlangt es!«

Besiegt von den herzenswarmen Worten Joanns blieb Johann nichts Anderes übrig als zu gehorchen. Die Möglichkeit, binnen zwei Tagen mit einigen Hundert Patrioten im Fort Frontenac zurück zu sein, überwand auch seine letzten Bedenken.

»Ich bin bereit!« sagte er.

Der Austausch der Kleider ging schnell von statten. Unter der Priestertracht Joanns war es schwierig zu erkennen, daß jetzt sein Bruder dessen Stelle einnahm.

Darauf unterhielten sich Beide noch einige Augenblicke über die politische Lage und über die Stimmung im Lande seit den letzten Ereignissen. Endlich sagte der Abbe Joann:

»Jetzt werd' ich den Sergeanten herbeirufen. Wenn er die Thür der Zelle geöffnet hat, trittst Du hinaus und wirst ihm ganz einfach längs des Ganges, den er mit seiner Fackel beleuchtet, folgen. Einmal aus dem Blockhause, hast Du nur noch den inneren Hof zu durchschreiten. eine Strecke von etwa fünfzig Schritten. Du kommst da an einem Wachposten zur Rechten an der Palissade vorüber. da wende den Kopf ein wenig seitwärts; dann stehst Du gleich am Thore. Außerhalb desselben gehe längs des Flusses hin, bis Du in der Entfernung einer halben Meile den Saum eines Waldes erreichst. Dort wirst Du Lionel finden.

- Lionel?. Den jungen Schreiber?.

- Ja, er hat mich begleitet und wird Dich bis zur Insel Navy begleiten. Nun, komm noch ein letztes Mal in meine Arme!

- Bruder! Liebster Bruder!« murmelte Johann, der sich Joann aus Herz warf.

Der Augenblick der Trennung war da; Joann rief mit lauter Stimme und zog sich nach dem Hintergrunde der Zelle zurück.

Der Sergeant öffnete die Thür und wendete sich an Johann, dessen Kopf unter dem breitkrämpigen Hute des Geistlichen fast verschwand.

»Sind Sie bereit?« fragte er.

Johann antwortete nur durch ein bejahendes Zeichen.

»So kommen Sie!«

Der Sergeant ergriff die Fackel, ließ Johann hinaustreten und verriegelte die Thür der Zelle.

In welcher Angst verbrachte Joann die nächstfolgenden Minuten! Was würde geschehen, wenn sich der Major Sinclair zufällig in dem Gange befand, während Johann diesen durchschritt, wenn er ihn aufhielt, ihn über den Zustand des Gefangenen ausfragte? Wurde die Unterschiebung entdeckt, so führte man den Gefangenen gewiß unverzüglich zum Tode. Ebenso konnten die Vorbereitungen zur Hinrichtung schon getroffen sein und die Mannschaft des Forts bereits die Befehle des Commandanten erhalten haben, so daß der Sergeant, in der Meinung, einen Priester vor sich zu haben, ihm davon auf dem Rückweg über den Hof zu sprechen anfing. Hörte Johann aber, daß die Execution so unmittelbar bevorstand, so würde dieser nach der Zelle zurückkehren wollen, da er sicherlich nie zugestimmt hätte, seinen Bruder an seiner Statt sterben zu lassen. Der Abbe Joann lauschte mit an die Thür gelegtem Ohre, und doch verhinderte ihn fast das laute Klopfen seines Herzens, von einem Geräusche draußen etwas zu vernehmen.

Endlich drangen von weither unbestimmte Laute bis zu ihm. Mit heißem Danke gegen Gott sank Joann in die Knie.

Das Ausfallsthor war wieder geschlossen worden

»Frei!« murmelte Joann.

In der That war Johann nicht erkannt worden. Mit der Fackel in der Hand ihm vorausgehend, hatte der Sergeant ihn, ohne ein Wort zu sprechen, über den innern Hof bis zum Thore des Forts geführt. Officiere und Soldaten wußten noch nicht, daß die Hinrichtung in einer Stunde stattfinden sollte. Bei dem Wachposten angelangt, wo auch nur spärliches Licht brannte, hatte er den Kopf abgewendet, wie sein Bruder ihm empfohlen. Erst in dem Augenblick, wo er durch das Thor gehen wollte, hatte der Sergeant ihn gefragt:

»Werden Sie wiederkommen, dem Verurtheilten Ihren Beistand zu gewähren?.

- Ja!« hatte Johann durch Nicken mit dem Kopfe geantwortet.

Einen Moment darauf hatte er das Thor hinter sich.

Nichtsdestoweniger entfernte sich Johann nur langsamen Schrittes von dem Fort Frontenac, als ob noch eine Fessel ihn mit seinem Gefängnisse verknüpfte - eine Fessel, die er nicht zu brechen wagte. Er machte sich Vorwürfe, den Bitten seines Bruders nachgegeben zu haben und an seiner Stelle fortgegangen zu sein. Alle Gefahren mit dieser Verwechslung traten ihm jetzt mit der erschreckendsten Deutlichkeit vor Augen. Er sagte sich, daß man wenige Stunden später, wenn es wieder Tag geworden, in die Zelle kommen und seine Entweichung entdecken werde; dann war sein Bruder Joann den rohesten Mißhandlungen ausgesetzt, wenn er für seine heldenmüthige Aufopferung nicht vielleicht gar mit dem Tode büßen mußte.

Bei diesem Gedanken fühlte sich Johann fast gedrängt, umzukehren. Doch nein! Er mußte ja eiligst bei den Patrioten auf der Insel Navy eintreffen und die aufständische Bewegung damit eröffnen, daß er sich auf das Fort Frontenac warf, um seinen Bruder zu befreien. Da galt es also keinen Augenblick zu verlieren.