Nun stelle man sich die Freude vor, welche alle Freunde Herrn de Vaudreuil's empfinden mußten, als sie diesen im Laufe des 10. December in Begleitung seiner Tochter und einer bejahrten Frau, welche Niemand kannte, auf der Insel Navy eintreffen sahen.
Diese Frau war Bridget.
Nach dem Weggange Johanns wäre es ohne Zweifel das Beste gewesen, auch noch ferner im geschlossenen Hause zu bleiben, da Herr de Vaudreuil hier kaum noch Gefahr lief, entdeckt zu werden. Wo hätte seine Tochter ein anderes und sichereres Obdach finden sollen? Die durch die Freiwilligen bei ihrem Zuge durch die Insel Jesus niedergebrannte Villa Montcalm war nur noch eine Ruine. Uebrigens wußte Herr de Vaudreuil noch nicht, aus welchem Grunde Rip im geschlossenen Hause keine weiteren Untersuchungen hatte anstellen lassen. Clary hatte das Geheimniß dieser befleckenden Protection bewahrt, und er wußte also nicht, daß er der Gast einer Bridget Morgaz war.
Mehr für seine Tochter als für sich selbst das wiederholte Eindringen von Polizisten fürchtend, hatte Herr de Vaudreuil an dem einmal entworfenen Plan nichts geändert sehen wollen. Am Nachmittage des nächstfolgenden Tages, und als er sicher war, daß die Königlichen St. Charles verlassen, hatte er mit Clary und Bridget in dem Planwagen des Farmers Archambaud Platz genommen. Alle Drei begaben sich ohne Aufenthalt nach dem Süden der Grafschaft St. Hyazinthe, und sobald sie von der Wiederansammlung der Patrioten auf der Insel Navy erfuhren, beeilten sie sich, die amerikanische Grenze zu erreichen. Am Abend vorher und nach einer recht beschwerlichen und nicht minder gefährlichen Fahrt in Schlosser angelangt, befanden sie sich jetzt inmitten ihrer Freunde.
Bridget hatte also zugestimmt, Clary de Vaudreuil zu folgen, obwohl diese ihre Vergangenheit kannte?. Ja, die unglückliche Frau hatte ihren Bitten nicht zu widerstehen vermocht.
Die Abreise war unter folgenden Verhältnissen vor sich gegangen:
Als sie nach der Flucht Johanns ebenso wie dieser es empfand, daß sie ihren Gästen nur ein Gegenstand des Entsetzens sein könne, hatte sich Bridget nach ihrem Zimmer zurückgezogen. Welch' schreckliche Nacht verbrachte hier das arme Weib! Wußte sie doch nicht, ob Clary ihrem Vater verheimlichen würde, was sie erfahren hatte. Nein, wahrscheinlich nicht; und am nächsten Tage schon mußte dann Herr de Vaudreuil nichts Eiligeres zu thun haben, als das geschlossene Haus zu fliehen. ja, zu fliehen, selbst auf die Gefahr hin, den Königlichen in die Hände zu fallen; lieber zu fliehen, als noch eine Stunde unter dem Dache der Morgaz zu verweilen.
Auch Bridget wollte ja selbst nicht länger in St. Charles bleiben. Sie wollte es nicht abwarten, unter öffentlicher Beschimpfung von hier vertrieben zu werden. Weit, weit fort wollte sie gehen und von Gott erflehen, daß er sie von diesem entsetzlichen Leben bald erlöse.
Am folgenden Morgen schon mit Tagesanbruch sah Bridget aber das junge Mädchen in ihr Zimmer treten. Sie wollte eben daraus weggehen, um nicht mit ihr zusammenzutreffen, als Clary sie mit trauriger und doch so theilnehmender Stimme anredete.
»Frau Bridget, begann sie, ich habe vor meinem Vater Ihr Geheimniß bewahrt. Er weiß nichts und wird nie etwas wissen von Ihrer Vergangenheit, und auch ich will dieselbe vergessen. Ich werde mich nur erinnern, daß, wenn Sie die unglücklichste der Frauen, Sie doch auch die ehrenwertheste von allen sind!«
Bridget erhob nicht einmal den Kopf
»Hören Sie mich an, fuhr Clary fort. Ich hege für Sie gern und willig die Achtung, auf welche Sie ein so volles Recht haben, und ich habe für Ihr Unglück das Mitgefühl, die Theilnahme, welche dasselbe verdient. Nein!... Sie sind nicht verantwortlich für das Verbrechen, das Sie so grausam gesühnt haben. Jenen abscheulichen Verrath haben Ihre Söhne überreichlich gut gemacht; Sie werden noch einmal gerechte Anerkennung finden; für jetzt lassen Sie mich Sie lieben, als wären Sie meine Mutter. Ihre Hand, Frau Bridget, geben Sie mir Ihre Hand!«
Gegenüber dieser rührenden Darlegung ihrer innersten Gefühle, welcher sie so ungewohnt war, ließ sich die Unglückliche erweichen und preßte die Hand des jungen Mädchens, während ihr große Thränen aus den Augen perlten.
»Und nun, nahm Clary wieder das Wort, nun sei davon niemals mehr die Rede, denken wir vielmehr an die Gegenwart. Mein Vater fürchtet, daß Ihre Wohnung doch erneuten Haussuchungen schwerlich entgehen werde. Er will, daß wir zusammen schon nächste Nacht, wenn die Straßen frei geworden sind, abfahren. Sie, Frau Bridget, können und dürfen nicht länger in St. Charles bleiben. Ich erwarte von Ihnen das Versprechen, daß Sie uns folgen werden. Wir suchen unsere Freunde wieder auf, finden Ihren Sohn wieder, und ihm gegenüber werd' ich wiederholen, was ich Ihnen soeben gesagt, und was ich für eine die Vorurtheile der Menschen weit überwiegende Wahrheit halte, deren Quelle in meinem Herzen liegt. - Hab' ich Ihr Versprechen, Frau Bridget?
- Ich werde von hier fortgehen, Clary de Vaudreuil.
- Mit meinem Vater und mit mir?.
- Ja, und doch wär's besser, mich in der Fremde an Unglück und Schande ruhig sterben zu lassen.«
Clary mußte Bridget, die schluchzend zu ihren Füßen lag, emporrichten.
Am Abend des folgenden Tages hatten alle Drei das geschlossene Haus verlassen.
Vierundzwanzig Stunden später, auf der Insel Navy, vernahmen sie die für die nationale Sache so schmerzliche Neuigkeit:
Johann ohne Namen sei durch den Polizeihauptmann Comeau gefangengenommen und nach dem Fort Frontenac gebracht worden.
Dieser letzte Schlag vernichtete Bridget. Was aus Joann geworden, wußte sie nicht; was Johann erwartete - das wußte sie nur zu gut. Ihm drohte der Tod in allernächster Zeit.
»Ach, wenn wenigstens Niemand erfährt, daß sie die Söhne Simon Morgaz' sind!« murmelte sie.
Nur Fräulein de Vaudreuil allein kannte dieses Geheimniß. Doch was hätte sie sagen können, um Bridget zu trösten?
An dem Schmerze, den sie beim Eintreffen jener Nachricht empfand, fühlte Clary nur zu deutlich, daß ihre Liebe zu Johann keine Einbuße erlitten habe. Sie sah in ihm nichts Anderes als den glühenden, dem Tode geweihten Patrioten.
Die Gefangennahme Johanns ohne Namen hatte übrigens im Lager der Insel Navy große Entmuthigung erzeugt, und auf diese Wirkung rechnete die Regierung ganz besonders, als sie jene Nachricht möglichst geräuschvoll verbreitete. Sobald dieselbe nach Chippewa gelangte, gab der Oberst Mac Nab Befehl, sie in der ganzen Provinz bekanntzumachen.
Wie war diese Kunde auch über die canadische Grenze gekommen?. Davon hatte Niemand eine Ahnung. Ganz unerklärlich schien es obendrein, daß sie auf der Insel Navy sogar noch eher bekannt war als im Dorfe Schlosser. - Doch änderte das ja nichts an der Sachlage.
Leider war jene Verhaftung nur zu gewiß, und Johann ohne Namen mußte zu der Stunde fehlen, wo das Schicksal Canadas sich auf dem letzten Schlachtfelde entscheiden sollte.
Gleich nach Bekanntwerden der Gefangennahme wurde im Laufe des 11. December eine Berathschlagung abgehalten.
Mit Vincent Hodge, Andre Farran und William Clerc wohnten derselben die hervorragendsten Anführer bei.
Herr de Vaudreuil, als Befehlshaber des Lagers auf der Insel Navy, führte dabei den Vorsitz.
Vincent Hodge äußerte sich zunächst in dem Sinne, ob es nicht möglich sei, Johann ohne Namen durch einen Gewaltstreich zu befreien.
»In Fort Frontenac ist er eingeschlossen, sagte er; die Garnison dieses Forts ist nur schwach an Zahl, und so etwa hundert entschlossene Männer würden sie zwingen können, sich zu ergeben. Es erscheint mir nicht unmöglich, das binnen vierundzwanzig Stunden auszuführen.