- Vierundzwanzig Stunden, wiederholte Herr de Vaudreuil. Vergessen Sie denn ganz, daß Johann ohne Namen schon verurtheilt war, ehe man ihn gefangen hatte? Mindestens noch in dieser Nacht oder in höchstens zwölf Stunden müßten wir in Frontenac sein, um etwas ausrichten zu können.
- Wir werden dort sein, erklärte Vincent Hodge. Längs des Ontario-Flusses kann uns kein Hinderniß aufhalten bis zur Grenze des St. Lorenzo, und da die Königlichen von unserem Plane nicht unterrichtet sind, werden sie uns das Ueberschreiten desselben nicht streitig machen können.
- So versuchen Sie Ihr Heil, sagte Herr de Vaudreuil, doch marschieren Sie ganz im Geheimen ab. Die Spione des Lagers von Chippewa dürfen nichts von Ihrem Aufbruche bemerken!«
Nachdem der kühne Zug einmal beschlossene Sache war, fiel es nicht schwer, die hundert Mann, welche daran theilnehmen sollten, zusammenzubringen. Um Johann ohne Namen dem Tode zu entreißen, hatten alle Patrioten sich angeboten. Das von Vincent Hodge geführte Detachement setzte nach der rechten Seite des Niagara, nach Schlosser über, und schräg über das amerikanische Gebiet hinziehend, gelangte es gegen drei Uhr Morgens an das rechte Ufer des St. Lorenzo, dessen Eisdecke die Männer leicht überschreiten konnten. Das Fort Frontenac lag von hier aus nur noch fünf Meilen nach Norden zu. Vor Tagesanbruch konnte Vincent Hodge die Besatzung desselben überrumpelt und den Verurtheilten befreit haben. Den Canadiern war aber, direct von Chippewa geschickt, ein reitender Bote vorausgeeilt. Die den Wachtdienst längs der Grenze versehenden Truppen hielten das linke Stromufer besetzt.
Deshalb mußte man auf jeden Weitermarsch verzichten; das Detachement wäre einfach aufgerieben worden und kein Mann nach der Insel Navy zurückgekehrt.
Vincent Hodge und seine Begleiter sahen sich gezwungen, wieder nach Schlosser zu umzukehren.
Der gegen das Fort Frontenac geplante Handstreich war also offenbar nach dem Lager von Chippewa gemeldet worden.
Daß die durch die Zusammenziehung von hundert Mann nöthig werdenden Vorbereitungen nicht vollständig geheim verlaufen konnten, lag ja am Ende auf der Hand, erklärte aber noch nicht, wie der Oberst Mac Nab davon Kenntniß erhalten hatte. Jedenfalls legte das den Gedanken nahe, daß sich unter den Patrioten ein, wenn nicht gar mehrere Spione befänden, welche mit dem Lager von Chippewa durch Zeichen sich zu verständigen vermochten. Schon bei anderen Gelegenheiten war der Verdacht aufgestiegen, daß die Engländer von dem unterrichtet würden, was auf der Insel vorging; dieses Mal konnte man nicht länger daran zweifeln, da jene an der Grenze von Canada liegenden Truppen zeitig genug benachrichtigt worden waren, um Vincent Hodge an der Ueberschreitung derselben zu verhindern.
Uebrigens hätte der von Herrn de Vaudreuil organisirte Versuch eine Befreiung des Verurtheilten gar nicht herbeizuführen vermocht. Vincent Hodge wäre doch zu spät nach dem Fort Frontenac gekommen.
Am folgenden Tage, schon zeitig des Morgens, verbreitete sich die Nachricht, daß Johann ohne Namen am Vortage innerhalb der Umplankung des Forts erschossen worden sei.
Die Loyalisten aber wünschten sich Glück, nichts mehr von diesem volksthümlichen Helden zu fürchten zu haben, der von jeher die Seele der franco-canadischen Aufstandsversuche gewesen war.
Zehntes Capitel
Bridget Morgaz
Inzwischen sollten zwei andere, nicht minder furchtbare Schläge die nationale Partei treffen und die letzten Vertheidiger des Lagers auf der Insel Navy noch weiter entmuthigen.
In der That war zu befürchten, daß die Reformisten allmählich eine Beute der Verzweiflung würden, angesichts der sich wiederholenden Mißerfolge, welche das Unglück auf sie häufte.
In erster Linie machte die im Bezirke von Montreal erfolgte Erklärung des Standrechtes ein Einvernehmen zwischen den Kirchspielen am St. Lorenzo fast unmöglich. Einerseits ermahnte der canadische Clerus, ohne sich jeder Hoffnung auf die Zukunft zu begeben, doch die widerstrebenden Mengen, sich zu unterwerfen; andererseits war es sehr schwierig, ohne Hilfe der Vereinigten Staaten den Sieg zu erringen. Abgesehen von der nächsten Grenzbevölkerung, schien aber auf eine solche Hilfe nichts hinzudeuten. Die Bundesregierung lehnte es ausdrücklich ab, für die Nachbarn französischen Ursprungs offen Partei zu ergreifen. Gute Wünsche. ja; Thaten... nicht die geringste! Außerdem bemühten sich noch eine Anzahl Canadier, unter Vorbehalt ihrer Rechte und unter Protest gegen offenbare Mißbräuche, die Gemüther möglichst zu beruhigen.
Dieser Zustand der Dinge verursachte es, daß die kampfbereiten Patrioten im letzten Monate des Jahres 1837 nicht mehr als etwa tausend Mann zählten, welche noch überdies im Lande verstreut waren. An Stelle einer Revolution hatte die Geschichte damit nur noch eine Revolte in ihre Bücher einzutragen.
Inzwischen wurden in Swanton einige isolirte Aufstandsversuche unternommen. Auf Anrathen Papineau's und O'Callaghan's drang eine kleine Truppe von achtzig Mann in das canadische Gebiet ein, gelangte hier bis Moore's-Corner und stürzte sich auf einen Haufen von vierhundert Kronfreiwilligen, welche den Patrioten den Weg verlegten. Letztere schlugen sich mit rühmenswerthem Muthe, wurden aber doch zurückgedrängt und mußten die canadische Grenze wieder rückwärts überschreiten.
Als die Colonialregierung von dieser Seite nichts zu fürchten hatte, konnte sie ihre Streitkräfte mehr nach Norden hin zusammenziehen.
Am 14. December kam es zu einem Gefechte in St. Eustache, in der Grafschaft Deux-Montagnes, nördlich vom St. Lorenzo. Hierbei zeichnete sich inmitten seiner kühnen Kampfgenossen, wie Lorimier, Ferreol und Andere, durch Entschlossenheit und Todesverachtung vorzüglich der Doctor Chenier aus, auf dessen Kopf ein Preis ausgeschrieben war. Zweitausend von Sir John Colborne entsandte Soldaten, neun Kanonen, hundertzwanzig Mann Cavallerie und eine Compagnie von achtzig Freiwilligen griffen St. Eustache an. Chenier und die Seinigen leisteten heldenhaften Widerstand. Den Vollkugeln und den Gewehrsalven ausgesetzt, mußten sie sich nach dem Pfarrhause, dem Kloster und in die Kirche zurückziehen; die Meisten besaßen nicht einmal Flinten, und als sie solche zu haben verlangten, antwortete Chenier kaltblütig:
»Ihr nehmt die Gewehre Derjenigen, welche schon gefallen sind!«
Der Kreis der Angreifer zog sich jedoch um das Dorf immer enger zusammen, und auch eine Feuersbrunst kam den Königlichen zu Hilfe.
Chenier sah sich gezwungen, die Kirche zu verlassen; da streckte ihn eine Kugel zu Boden. Er raffte sich noch einmal auf und feuerte; jetzt traf ihn eine Kugel mitten in die Brust, so daß er auf der Stelle todt zusammensank. Siebenzig seiner Gefährten fielen mit ihm.
Man sieht wohl noch heute die Zerstörungen an der Kirche, in der jene Verzweifelten kämpften, und die Canadier haben niemals aufgehört, den Ort zu besuchen, wo der muthige Arzt den Tod fand. Im ganzen Lande pflegt man noch immer zu sagen: »muthig wie Chenier.«
Nach der erbarmungslosen Niederwerfung der Aufständischen in St. Eustache sandte Sir John Colborne seine Truppen nach St. Benoit, wo sie am folgenden Tage eintrafen.
Es war das ein Schloß und reiches Dorf, einige Meilen nördlich in der Grafschaft Deux-Montagnes.
Hier begannen die Soldaten ein Gemetzel unter waffenlosen Menschen, die sich von Anfang an hatten unterwerfen wollen. Wie hätten sie auch nur die Möglichkeit gehabt, sich gegen die von St. Eustache kommenden regulären Truppen und gegen die von St. Andrew heranziehenden Freiwilligen zu vertheidigen, welche zusammen mehr als sechstausend Mann zählten und von dem General persönlich angeführt wurden?
Verwüstungen, Zerstörungen, Plünderungen, Feuersbrünste und Diebstähle - alle Ausschreitungen einer wüthenden Soldatesca, welche weder Alter noch Geschlecht schonte, Kirchenschändung, Entweihung heiliger Gefäße durch die Benützung zu den gemeinsten Zwecken, Entwendung von Meßgewändern, welche sie an den Hals ihrer Pferde banden -das waren die Acte des Vandalismus und der Unmenschlichkeit, deren Schauplatz dieses Kirchspiel wurde.