Und wenn die Freiwilligen großen Antheil an diesen Schändlichkeiten nahmen, so ist doch anzuführen, daß die Soldaten der regulären Armee nur wenig oder gar nicht von ihren Vorgesetzten davon zurückgehalten wurden. Wiederholt ertheilten letztere sogar selbst den Befehl, verschiedene Häuser von Vornehmen den Flammen zu übergeben.
Als die Nachrichten hiervon am 16. December nach der Insel Navy kamen, erregten sie natürlich einen Sturm der Entrüstung. Die Blaumützen wollten mit aller Gewalt den Niagara überschreiten und das Lager Mac Nab's angreifen, so daß Herr de Vaudreuil die größte Mühe hatte, sie zurückzuhalten.
Nach der ersten Erregung des Zornes jedoch griff eine tiefe Entmuthigung Platz. Sogar schon einzelne Desertionen begannen die Reihen der Patrioten zu lichten, wobei vielleicht ein Hundert nach der amerikanischen Grenze übertraten.
Endlich sahen auch selbst die Führer ihren Einfluß sich abschwächen und geriethen in so manchen Zwiespalt untereinander. Vincent Hodge, Farran und Clerc kamen häufig in Meinungsverschiedenheiten mit anderen Führern. Nur Herr de Vaudreuil vielleicht hätte diese Reibereien schlichten können, welche in der verzweifelten Lage ihren Ursprung fanden. Zum Unglücke fühlte er, bei fortdauernder geistiger Energie trotz schlecht verheilter Wunden, seine Körperkraft täglich abnehmen und sagte sich, daß er eine letzte Niederlage nicht überleben werde. Inmitten der Besorgnisse, welche ihm die nächste Zukunft einflößte, beschäftigte sich Herr de Vaudreuil auch mit dem traurigen Zustand, in dem er seine Tochter hinterlassen würde.
Andre Farran, William Clerc und Vincent Hodge bemühten sich fortwährend, die Niedergeschlagenheit ihrer Kampfgenossen zu bannen. Wenn die Partie auch diesmal verloren ging, wiederholten sie, so werde man nur die geeignete Stunde zur Wiederaufnahme derselben abzuwarten haben. Nachdem die Keime zu einer späteren allgemeinen Schilderhebung einmal gelegt seien, würden sich die Patrioten auf das Gebiet der Vereinigten Staaten zurückziehen, um sich hier zum neuen Feldzuge gegen ihre Unterdrücker vorzubereiten.
Nein, man durfte an der Zukunft nicht verzweifeln, und das war sogar die Meinung des Meister Nick, der gelegentlich zu Herrn de Vaudreuil sagte:
»Wenn der Aufstand vorläufig auch noch nicht siegen konnte, so müssen die Forderungen der Reformer schon allein durch die Gewalt der Thatsachen erfüllt werden. Canada wird seine Rechte früher oder später zurückerlangen, wird sich seine Selbstständigkeit erkämpfen und höchstens noch dem Namen nach mit England zusammenhängen. Sie werden das ja noch erleben, Herr de Vaudreuil; wir finden uns schon einmal wieder mit Ihrer lieben Clary in der aus den Ruinen entstandenen Villa Montcalm zusammen. Und ich - o, ich rechne stark darauf, nach endlicher Ablegung des Herrschermantels der Sagamores, der mir kaum bis an die Notarschultern reicht, in meine Expedition nach Montreal zurückzukehren.«
Sprach Herr de Vaudreuil, der sich um die Zukunft seiner Tochter sorgte, darüber mit Thomas Harcher, so antwortete ihm der Farmer:
»Gehören wir nicht auch etwas zu Ihrer Familie, gnädiger Herr? Wenn Sie für Fräulein Clary fürchten, warum senden Sie diese nicht zu meiner Frau Catherine? Dort, in der Farm von Chipogan wird sie in Sicherheit sein; dort finden Sie sie wieder, sobald die Verhältnisse das gestatten.«
Herr de Vaudreuil machte sich jedoch keine Illusionen bezüglich seines Zustandes, und da er den Tod in seinem Innern nagen fühlte, wollte er die Zukunft Clarys unter schon längst von ihm gewünschten Umständen sichergestellt wissen.
Da er Vincent Hodge's Liebe für sein Kind wohl kannte, mußte er annehmen, daß diese Liebe auch erwidert würde.
Niemals hätte er geahnt, daß Clarys Herz von dem Gedanken an einen Anderen erfüllt sein könne. Unzweifelhaft mußte sie ja, wenn sie an die Verlassenheit dachte, die ihr nach des Vaters Ableben drohte, selbst die Nothwendigkeit fühlen, eine Stütze in dieser Welt zu haben. Und gab es da eine verläßlichere als die Liebe Vincent Hodge's, der an sie schon durch die Bande des wärmsten Patriotismus gefesselt war?
Herr de Vaudreuil beschloß nun demgemäß zu handeln, um die Erfüllung seines liebsten Herzenswunsches zu erreichen. Er zweifelte ja nicht an den Empfindungen Hodge's und konnte an denen Clarys noch weniger zweifeln. So wollte er sie Beide vor sich kommen lassen, mit ihnen reden und ihre Hände ineinanderlegen. Wenn er dann starb, würde er nur noch ein Bedauern haben - das Bedauern, der Heimat ihre Unabhängigkeit noch nicht haben wiedergeben zu können.
Vincent Hodge wurde eingeladen, sich am Abend des 16. December bei ihm einzufinden.
Es war ein kleines Haus an der Ostküste der Insel, gegenüber dem Dorfe Schlosser, das Herr de Vaudreuil mit seiner Tochter bewohnte.
Bridget wohnte ebenfalls da, sie verließ dasselbe aber am Tage niemals. Meist ging das arme Weib nur mit der Dämmerung aus, versenkt in das Angedenken an ihre beiden Söhne, Johann, der für die nationale Sache gestorben war, und Joann, von dem sie keine Nachrichten mehr erhalten, und der vielleicht in einem Gefängnisse Quebecs oder Montreals nur die Stunde erwartete, wo auch er den Tod finden sollte.
Uebrigens sah sie auch niemals Jemand in dem Hause, wo Herr und Fräulein de Vaudreuil ihr die Gastfreundschaft vergalten, welche sie im geschlossenen Hause genossen hatten. Hier quälte sie nicht die Furcht, erkannt zu werden, oder die Besorgniß, daß man ihr ihren Namen ins Gesicht schleudern könne; denn wer hätte in ihr die Gattin Simon Morgaz' vermuthen können? Es war für sie aber schon zuviel, daß sie unter dem Dache des Herrn de Vaudreuil wohnte, und daß Clary ihr die Liebe und Achtung einer Tochter für ihre Mutter entgegenbrachte.
Vincent Hodge stellte sich pünktlich zur bestimmten Stunde ein. Als er eintraf, war es um acht Uhr Abends.
Bridget, welche ausgegangen war, durchirrte die Insel.
Vincent Hodge drückte Herrn de Vaudreuil die Hand und wandte sich dann zu Clary, welche ihm die ihrige entgegenstreckte.
»Ich habe über ernste Dinge mit Ihnen zu sprechen, lieber Hodge, begann Herr de Vaudreuil.
- Ich lasse Dich allein, lieber Vater, sagte Clary, sich nach der Thür begebend.
- Nein, mein Kind. Was ich zu sagen habe, geht Euch Beide an.«
Er machte Vincent Hodge ein Zeichen, sich vor seinem Lehnstuhle niederzusetzen. Clary nahm auf einem anderen Stuhle neben ihm Platz.
»Mein Freund, nahm er nun das Wort, ich habe nicht mehr lange zu leben; ich fühle es, daß meine Kräfte tagtäglich mehr schwinden. So hören Sie mich denn an, als säßen Sie am Bette eines Sterbenden, um dessen letzte Worte zu vernehmen.
- Mein lieber Vaudreuil, antwortete Hodge rasch, Sie übertreiben.
- Und Du machst uns rechten Schmerz, liebster Vater! setzte das junge Mädchen hinzu.
- Ihr Beide würdet mir noch mehr bereiten, erwiderte Herr de Vaudreuil, wenn Ihr es abschlügt, meinen Worten zu lauschen.«
Er sah Beide lange Zeit an. Dann wandte er sich an Vincent Hodge.
»Mein Freund, sagte er, bisher haben wir miteinander von nichts anderem gesprochen, als von der Angelegenheit, der wir Beide, Sie und ich, unser ganzes Leben widmeten. Meinerseits war das ja etwas sehr Natürliches, da ich von französischem Geblüt bin, und ich nur für den Triumph des französischen Canada gekämpft habe. Sie aber, der unserem Vaterlande nicht durch die Bande der Geburt angehört, Sie haben ebenfalls nicht gezaudert, in die vordersten Reihen der Patrioten einzutreten.
- Sind die Amerikaner und Canadier nicht Brüder? antwortete Vincent Hodge. Und wer weiß denn, ob Canada nicht dereinst einen Theil der amerikanischen Union bildet?.