Dabei rief sie auch schon mit allen Kräften:
»Hierher!. Zu Hilfe!. Hierher!«
Fast sofort ließ ein Geräusch erkennen, daß die Wachtposten nach der Seite, woher diese Rufe drangen, herzueilten.
Rip sah ein, daß er Bridget nicht werde abthun können, ehe diese Hilfe käme.
»Nehmen Sie sich in Acht, Bridget, erklärte er drohend; sagen Sie, wer ich bin, so sag' auch ich, wer Sie sind!.
- Thun Sie, was Ihnen gefällt!« antwortete Bridget, auf welche selbst diese Drohung ohne Wirkung blieb.
Dann wiederholte sie, womöglich noch durchdringender:
»Zu Hilfe!. Hier. hierher!«
Schon umringte sie eine Anzahl Patrioten. Andere liefen von verschiedenen Seiten hinzu.
»Dieser Mann, erklärte Bridget, ist der Geheimagent Rip, er dient hier als Spion für die Königlichen.
- Und diese Frau, sagte Rip mit schlecht verhehltem Ingrimm, diese Frau ist die Gattin des Verräthers Simon Morgaz!«
Die Wirkung dieses verabscheuten Namens war überraschend. Der Rip's erlosch fast ganz vor demselben. Nur die Rufe: »Bridget Morgaz! Bridget Morgaz!« tönten aus dem Lärmen hervor, und nur gegen das unglückliche Weib wendeten sich alle Drohungen und Schimpfreden. Rip wußte sich das zu Nutze zu machen. Immer seine kühle Ueberlegenheit bewahrend, bemerkte er schnell, daß die Aufmerksamkeit sich von ihm gänzlich abwandte, und verschwand im Dunkel. Jedenfalls fuhr er noch in derselben Nacht über den rechten Arm des Niagara, gelangte nach Schlosser und schlug sich auf Umwegen in das Lager von Chippewa, denn keine spätere Nachforschung ergab von dem Schurken auch nur die geringste Kunde.
Wir wissen jetzt wie es kam, daß Bridget, umringt von einer tosenden Volksmenge, in der Richtung nach dem Hause des Herrn de Vaudreuil zu verfolgt wurde.
Im letzten Augenblicke, als sie den Mißhandlungen der Wüthenden zu erliegen nahe war, erschien noch Johann auf der Bildfläche, und durch die Worte: »Meine Mutter!« hatte er das Geheimniß seiner Geburt verrathen.
Johann ohne Namen war der Sohn des Simon Morgaz!
Es sei hier kurz mitgetheilt, wie es kam, daß der Flüchtling sich jetzt auf der Insel Navy befand.
Bei dem Krachen der Salve innerhalb der Umplankung des Forts Frontenac war Johann bewegungslos in die Arme Lionels gesunken. Er hatte die Bedeutung jener Schüsse verstanden -Joann starb dort an seiner Statt! Es bedurfte der größten Sorgfalt seines jungen Begleiters, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Nach Ueberschreitung der Eisdecke des St. Lorenzo gelangten dann Beide an das Ufer des Ontario und waren mit Tagesanbruch schon weit vom Fort Frontenac entfernt.
Johann war entschlossen, in den Reihen der Aufständischen gegen die königlichen Truppen zu kämpfen und sich endlich tödten zu lassen, wenn auch diese letzte Anstrengung scheiterte.
Auf dem Wege durch die dem See benachbarten Gebiete, wohin sich die Nachricht von seiner Hinrichtung verbreitet hatte, konnte er die Ueberzeugung gewinnen, daß die Anglo-Canadier von ihm befreit zu sein annahmen. Nun wohl, er wollte an der Spitze der Patrioten wieder auftauchen, wollte wie der Blitz über die Söldlinge Colborne's hereinbrechen. Vielleicht verursachte sein, sozusagen wunderbares Wiedererscheinen schon allein einen Todesschrecken in deren Reihen, während die Söhne der Freiheit daraus einen unwiderstehlichen Kampfesmuth schöpfen mußten.
Wie Johann und Lionel sich aber auch beeilten, nach dem Niagara zu gelangen, so verzögerte sich das doch wegen der bedeutenden Umwege, die sie zu machen gezwungen waren. Bis an die Grenze des amerikanischen Gebietes drohten ihnen Gefahren, und so konnten sie ihren Weg nur in der Nacht fortsetzen. In Folge dessen trafen sie erst am Spätabend des 16. December im Dorfe Schlosser und bald darauf im Lager bei der Insel Navy ein.
Jetzt stand nun Johann Auge in Auge der brüllenden Menge gegenüber, die sich hinter ihm geschlossen hatte.
Der durch den Namen Simon Morgaz aufs neue erweckte Abscheu erwies sich aber als so mächtig, daß das Geschrei nicht aufhörte. Die Männer hatten ihn recht wohl wiedererkannt. Das war Johann ohne Namen, der volksthümliche Held, den man unter den englischen Kugeln gefallen glaubte. Doch trotzdem erblaßte in diesem Augenblicke die Legende, welche einst seine Erscheinung umgab. Zu den Drohungen, welche gegen Bridget ausgestoßen wurden, kamen auch noch andere gegen ihren Sohn.
Johann hielt ganz ruhig Stand. Mit dem einen Arme seine Mutter unterstützend, stieß er mit dem anderen die wüthenden Männer zurück. Herr de Vaudreuil, Farran, Clerc und Lionel bemühten sich vergeblich, die Menge zurückzuhalten. Als Vincent Hodge sich dem Sohne des Angebers seines Vaters gegenüber sah, den er von Clary de Vaudreuil geliebt wußte, da wallte in ihm der Zorn auf und drohte ihn zu übermannen. Dennoch unterdrückte er seine Rachegelüste und dachte nur daran, das junge Mädchen gegen die feindseligen Angriffe zu schirmen, die ihr die edle Ergebenheit gegen Bridget Morgaz einbrachte.
Daß derartige Empfindungen sich gegen diese beklagenswerthe Frau äußern konnten, daß man die Verantwortlichkeit für den abscheulichen Verrath des Simon Morgaz auch noch auf ihre Schultern überwälzte, war gewiß eine empörende Ungerechtigkeit und ließ sich nur begreifen von einer erregten Volksmenge, der im ersten Augenblicke jede Ueberlegung abging; daß aber auch die Erscheinung Johanns ohne Namen diese nicht in ihrem Wahnwitze gebändigt, nach Allem, was man doch von diesem wußte, das überschritt jede Grenze.
Die Empörung, welche Johann gegenüber solcher niedrigen Gesinnung empfand, war so groß, daß er, jetzt bleich vor Zorn und nicht mehr roth vor Scham, mit einer den Lärm übertönenden Stimme ausrief:
»Ja, ich bin Johann Morgaz und das ist Bridget Morgaz!. So schlagt uns doch nieder!. Wir verlangen weder Euer Mitleid, noch mögen wir Eure Verachtung! Du aber, meine Mutter, richte Dich noch einmal auf, vergieb denen, die Dich beschimpften, Dich, die beste, die ehrbarste aller Frauen!«
Dieser Haltung gegenüber hatten sich die erhobenen Arme wieder gesenkt, dennoch riefen noch viele wilde Stimmen:
»Hinaus mit der Familie des Verräthers!. Hinaus mit Allem, was Morgaz heißt!«
Wiederum drängte sich die Menge näher heran an die Opfer des Wahnsinns, um diese von der Insel zu verjagen.
Da sprang Clary vor.
»Unselige, Ihr werdet ihn anhören, ehe Ihr seine Mutter und ihn von hier vertreibt!« rief sie dem tollen Haufen entgegen.
Verblüfft durch den energischen Eingriff des jungen Mädchens schwiegen Alle still.
Da begann Johann mit einer Stimme, aus der die Verachtung ebenso herausklang wie seine Empörung:
»Ich brauche hier nicht darzulegen, was meine Mutter durch die Ehrlosigkeit ihres Namens schon Alles hat leiden und erdulden müssen; wissen sollt Ihr aber, was sie Alles gethan, um dieses Brandmal auszulöschen. Ihre beiden Söhne hat sie einzig erzogen in dem Gedanken, sich zu opfern und auf alles Erdenglück zu verzichten. Deren Vater hatte die canadische Heimat verrathen - sie sollten nur zu dem Zwecke leben, dieser ihre Unabhängigkeit wieder zu geben. Und nachdem sie einen Namen abgelegt, der überall gerechten Abscheu erregte, da zog der Eine durch die Grafschaften, von Kirchspiel zu Kirchspiel, um Parteigänger für die nationale Sache zu werben, während der Andere sich bei jedem Aufstande in die vordersten Reihen der Patrioten stellte. Der Letztere steht hier vor Euch. Der Andere, der Aeltere, war der Abbe Joann, der meine Stelle im Fort Frontenac einnahm, der unter den Kugeln der Henker gefallen ist.
- Joann. Joann todt! rief Bridget schluchzend.
- Ja, meine Mutter, todt, wie Du uns hast schwören lassen zu sterben. todt für sein Vaterland!«
Bridget war neben Clary de Vaudreuil niedergesunken, welche, ihre Arme um die schluchzende Frau legend, ihre Thränen mit denen der unglücklichen Mutter mischte.