T. J. machte ein unglückliches Gesicht.
»Sagen Sie mir bloß nicht, daß er auch gekündigt hat!«
»Nein, Sir. Er befindet sich in 1655 und untersucht Dachschiefern.«
»Hätte ich mir denken können«, sagte Dunworthy angewidert. »Also holen Sie denjenigen, der jetzt dort drüben die Verantwortung trägt.«
T. J.’s Miene wurde noch um ein paar Grade unglücklicher. »Äh, das wäre ich, Sir.«
»Sie?« fragte Dunworthy überrascht. »Sie sind doch noch Student. Sie wollen mir doch nicht einreden, daß außer Ihnen niemand mehr dort drüben ist.«
»Doch, Sir«, sagte T. J. »Aber Lady Schrapnell tauchte auf und nahm alle anderen mit. Sie hätte auch mich mitgenommen, aber die ersten Zweidrittel des zwanzigsten Jahrhunderts und das gesamte neunzehnte Jahrhundert sind Kategorie — 10 für Farbige und deshalb für mich gesperrt.«
»Wundert mich irgendwie, daß sie das zurückgehalten hat«, murmelte Dunworthy.
»War auch nicht so«, sagte T. J. »Sie wollte, daß ich mich als Mohr verkleide und mich nach 1395 schicken, damit ich mich dort um Kirchturmskonstruktionen kümmere. Sie meinte, man könnte ja so tun, als hätten mich Kreuzritter als Gefangenen mitgebracht.«
»Die Kreuzzüge endeten 1272«, sagte Dunworthy.
»Ich weiß, Sir. Ich wies auch darauf hin, ebenso auf die Tatsache, daß die gesamte Vergangenheit für Farbige gesperrt ist.« Er grinste. »Das ist das erste Mal, Sir, daß mir meine schwarze Hautfarbe einen Vorteil verschafft.«
»Haben Sie jemals von Marineleutnant Klepperman gehört?« fragte Dunworthy.
»Nein, Sir.«
»Zweiter Weltkrieg. Schlacht von Midway. Alle Offiziere seines Schiffes kamen um, und er mußte das Kommando übernehmen. Immer das gleiche in Kriegen oder bei Katastrophen. Leute, die normalerweise gar nicht dazu kämen, befinden sich plötzlich am Drücker. Wie jetzt bei Zeitreise auch. Mit anderen Worten — das ist Ihre große Chance, Lewis. Ich gehe davon aus, daß Sie in Zeitphysik graduieren möchten?«
»Nein, Sir. Computerwissenschaft.«
Dunworthy seufzte. »Nun denn, Marineleutnant Klepperman hatte davor auch noch nie einen Torpedo abgefeuert. Er versenkte zwei Zerstörer und einen Schlachtenkreuzer. Ihr erster Auftrag ist, mir zu sagen, was passiert, wenn eine parachronistische Inkonsequenz entsteht, und welche Folgen das für uns haben könnte. Und sagen Sie mir bitte nicht, daß so etwas nicht passieren kann.«
»Para-chron-ist-ische Inkon-se-quenz«, wiederholte T. J. Er notierte das Wort auf das oberste der Papiere, die er in der Hand hielt. »Wann brauchen Sie das, Sir?«
»Gestern«, sagte Dunworthy und reichte ihm die Bibliographie aus der Bodleiana.
T. J. schaute verwundert. »Wollen Sie, daß ich in der Zeit zurückgehe und…«
»Ich fixiere keinen einzigen weiteren Sprung mehr«, warf Miss Warder ein. Dunworthy schüttelte erschöpft den Kopf. »Ich meinte, ich brauche die Information so bald wie möglich.«
»Ach so«, sagte T. J. »Geht klar, Sir. Sofort, Sir.« Mit diesen Worten ging er zur Tür, drehte sich aber dort noch einmal um und fragte: »Und was passierte mit Marineleutnant Klepperman?«
»Kam in Erfüllung seiner Pflicht ums Leben«, erwiderte Dunworthy.
T. J. nickte. »Dachte ich mir irgendwie.«
Er verließ den Raum, und Finch kam herein, Ohrstöpsel und Kassetten in der Hand.
»Setzen Sie sich zuerst mit Ernst Hasselmeyer in Berlin in Verbindung und fragen Sie ihn, ob er irgend etwas über parachronistische Inkonsequenzen weiß, und falls nicht, wer sonst«, sagte Dunworthy. »Und dann gehen Sie bitte zur Kathedrale hinüber.«
»Zur Kathedrale?« fragte Finch alarmiert. »Und wenn Lady Schrapnell dort ist?«
»Verstecken Sie sich in der Draperschen Kapelle«, sagte Dunworthy. »Stellen Sie fest, ob dort drüben irgend jemand aus der Abteilung Zeitreise steckt, egal, wer. Es muß doch jemand in der Nähe sein, der mehr Erfahrung als ein Student besitzt.«
»Sofort, Sir«, sagte Finch und kam zu mir herüber. Er steckte mir die Stöpsel ins Ohr. »Die Sublimationskassetten, Sir«, sagte er.
Ich krempelte in Erwartung der Hypnosespritze meinen Ärmel hoch.
»Es wäre nicht gut für Sie, in Ihrem Zustand Drogen zu nehmen«, sagte er. »Sie werden sich die Kassetten in normaler Geschwindigkeit anhören müssen.«
»Finch«, sagte Dunworthy, zu uns herüberkommend. »Wo steckt Miss Kindle?«
»Sie haben sie auf ihr Zimmer geschickt, Sir«, erwiderte Finch.
Er schaltete das Gerät ein. »Königin Victoria regierte England von 1837 bis 1901«, sagte eine Stimme in meinem Ohr.
»Gehen Sie und fragen Sie sie nach dem Schlupfverlust bei ihrem Sprung«, sagte Dunworthy zu Finch. »Den Sprung, der…«
»… schenkte England eine Periode nie gekannten Friedens und Wohlstands.«
»Ja«, sagte Dunworthy. »Und finden Sie heraus, wie groß der Schlupfverlust bei den anderen…«
»… stellt man sich eine geruhsame, sittsame Zeit vor, die…«
»… und rufen Sie in St. Thomas an. Sagen Sie denen, daß sie Lady Schrapnell auf keinen Fall fortlassen sollen.«
»Ja, Sir«, sagte Finch und verschwand.
»Lizzy Bittner lebt also immer noch in Coventry?« fragte Dunworthy.
»Ja«, erwiderte ich. »Sie zog von Salisbury dorthin, nachdem ihr Mann gestorben war.« Dann setzte ich, weil es schien, daß Dunworthy mehr erwartete, hinzu: »Sie erzählte mir alles über die neue Kathedrale und wie Bischof Bittner versuchte, sie zu retten. Er ließ sogar die Coventry Morality Plays wieder aufführen, um Publikum zu gewinnen und zeigte in den Ruinen Ausstellungen über den Blitzkrieg. Lizzy Bittner führte mich herum. Sie zeigte mir, was Ruine war und was die neue Kathedrale. Wie Sie ja wissen, ist das Ganze jetzt ein Einkaufszentrum.«
»Ja«, sagte er. »Ich dachte auch immer, daß es sich dazu besser eignet. Die Architektur aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ist beinahe genauso gräßlich wie die victorianische. Jedenfalls war es eine nette Geste, sie wiederaufzubauen. Und Bitty liebte sie sehr. Ursprünglich wurde sie an die Kirche des Jenseits oder so ähnlich verkauft. Sie haben sich doch sicher mit ihnen in Kontakt gesetzt, um sicherzugehen, daß sie des Bischofs Vogeltränke nicht haben?«
Ich nickte, und dann mußte er gegangen sein, obwohl ich mich nicht daran erinnere. Ein Ton wie die Entwarnung nach einem Luftangriff hatte in meinem einen Ohr zu dröhnen begonnen, und im anderen erzählte mir jemand etwas über die dienende Rolle der Frau.
»Frauen besaßen im victorianischen Zeitalter keine oder nur wenig Macht«, sagte die Stimme. Außer Königin Victoria, dachte ich und sah Miss Wärter mit einem feuchten Tuch auf mich zukommen. Sie rieb damit grob in meinem Gesicht herum und verrieb dann eine weiße Salbe auf meiner Oberlippe.
»Die Rolle der Frau im victorianischen Zeitalter bestand vor allem darin, Gattin zu sein, und darin, andere zu pflegen«, sagte die Stimme. »Sie war der ›häusliche Engel‹…«
»Berühren Sie nicht Ihre Lippe«, sagte Miss Wärter und nahm das Maßband, das sie um den Hals trug, in die Hand. »Ihre Haare müssen so bleiben. Die Zeit ist zu kurz, um sie noch zu färben.« Sie schlang das Band um meinen Kopf. »Scheiteln Sie es in der Mitte. Ich sagte, die Lippenicht berühren.«
»Man hielt Frauen für zu schwachbesaitet für wissenschaftliche Studien«, sagte die sublime Stimme. »Ihre Erziehung war auf Malen, Musizieren und Etikette beschränkt.«
»Dieses ganze Vorhaben ist lächerlich.« Miss Wärter schlang das Band um meinen Hals. »Ich hätte niemals nach Oxford kommen dürfen. In Cambridge kann man einen ausgezeichneten Abschluß in Theaterrequisition machen. Ich könnte gerade Der Widerspenstigen Zähmung ausstatten, anstatt mich hier mit drei Jobs auf einmal rumzuschlagen.«