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Das Bahnhofsschild zeigte ›Coventry‹ an, und ich kämpfte mich aus dem Zug, Verity Zeichen gebend, daß sie mir folgen sollte, was sie auch tat, und so schoben und drückten wir uns die Rolltreppen hoch auf die Broadgate, wo wir direkt vor Lady Godivas Standbild landeten. Der Himmel sah noch mehr als vorhin nach Regen aus. Die Protestler setzten sich mit kampfbereit erhobenen Schirmen in Richtung Einkaufszentrum in Bewegung.

»Sollten wir nicht besser vorher anrufen?« fragte Verity.

»Nein.«

»Bist du sicher, daß sie zu Hause ist?«

»Ganz sicher«, sagte ich, auch wenn das nicht ganz stimmte.

Aber sie war zu Hause, obwohl es etwas dauerte, bis sich die Tür öffnete.

»Tut mir leid, mich hat eine Bronchitis erwischt«, sagte Mrs. Bittner heiser, und dann erkannte sie uns. »Oh«, sagte sie und trat einen Schritt beiseite, damit wir eintreten konnten. »Kommen Sie herein. Ich habe Sie erwartet.« Sie streckte Verity eine altersfleckige Hand hin. »Sie müssen Miss Kindle sein. Ich habe gehört, Sie sind auch ein Fan von Detektivromanen.«

»Nur von denen aus den Dreißigern«, erwiderte Verity.

Mrs. Bittner nickte. »Die sind auch die besten.« Sie wandte sich mir zu. »Ich lese eine Menge Detektivromane. Ich liebe besonders diejenigen, in denen der Verbrecher beinahe unentdeckt davongekommen wäre.«

»Mrs. Bittner«, sagte ich, dann wußte ich nicht weiter. Ich warf Verity einen hilflosen Blick zu.

»Sie haben es herausgefunden, nicht wahr?« sagte Mrs. Bittner. »Das habe ich befürchtet. James sagte mir, daß Sie seine zwei fähigsten Studenten gewesen seien.« Sie lächelte. »Wollen wir nicht ins Wohnzimmer gehen?«

»Ich… ich fürchte, dazu reicht die Zeit nicht…« stotterte ich.

»Unsinn«, entgegnete sie und ging vor uns den Korridor entlang. »In den Romanen ist dem Verbrecher stets ein Kapitel gewidmet, in dem er seine Untaten gestehen kann.«

Sie führte uns in das gleiche Zimmer, indem ich sie neulich interviewt hatte. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?« fragte sie, auf ein chintzbezogenes Sofa deutend. »Der berühmte Detektiv hat die Verdächtigen immer im Wohnzimmer zusammengerufen.« Sie ging zu einer Anrichte, die beträchtlich kleiner war als die der Merings, und hielt sich an dem Möbelstück fest. »Und der Verdächtige hat ihnen stets etwas zum Trinken angeboten. Möchten Sie einen Sherry, Miss Kindle? Oder Sie vielleicht, Mr. Henry? Oder lieber sirup de cassis? Das trank Hercule Poirot immer. Ein fürchterliches Zeug. Ich probierte es einmal, während meiner Lektüre von Agatha Christies Mord in drei Akten. Schmeckt wie Medizin.«

»Dann einen Sherry«, sagte ich.

Mrs. Bittner wandte sich um, füllte zwei Gläser mit Sherry und reichte sie uns. »Es hat eine Inkonsequenz erzeugt, nicht wahr?«

Ich nahm ihr die Gläser ab, reichte Verity eines und setzte mich neben sie. »Ja«, sagte ich.

»Das habe ich befürchtet. Und als James mir letzte Woche von der Theorie über unwichtige Objekte erzählte, die von ihrem Platz im Raumzeitgefüge entfernt werden können, wußte ich, daß es um des Bischofs Vogeltränke ging.« Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Alles andere, was in jener Nacht in der Kathedrale war, wäre zu Asche verbrannt, aber ich erkannte auf den ersten Blick, daß dieser Gegenstand unzerstörbar war.« Sie goß sich ebenfalls ein Glas Sherry ein.

»Ich versuchte nämlich rückgängig zu machen, was ich getan hatte, aber ich bekam das Netz nicht mehr auf, und dann ließ Lassiter — der Chef der Abteilung — neue Schlösser einbauen, und ich konnte nicht mehr ins Labor. Natürlich hätte ich James alles beichten können.

Oder meinem Mann. Aber ich hatte nicht den Mut dazu.« Sie nahm das Glas in die Hand. »Ich redete mir ein, das Versagen des Netzes bedeutete, daß eben keine Inkonsequenz entstanden sei, daß nichts passiert sei, aber ich wußte, daß das nicht stimmte.«

Langsam und vorsichtig ging sie zu einem der chintzbezogenen Stühle, und ich sprang auf und hielt ihr Glas, bis sie sich gesetzt hatte.

»Danke.« Sie nahm es wieder. »James erzählte mir, welch reizender junger Mann Sie sind.« Sie schaute Verity an. »Hat einer von Ihnen beiden schon einmal etwas getan, was ihm hinterher schrecklich leid tat? Etwas ohne vorher darüber nachzudenken?« Sie betrachtete den Sherry. »Die Kirche von England schloß sämtliche Kathedralen, die sich nicht mehr selbst unterhalten konnten. Mein Mann liebte seine Kathedrale. Er stammt von den Botoners ab, die die ursprüngliche Kirche gebaut hatten.«

Und Sie auch, Mrs. Bittner, dachte ich, denn jetzt fiel mir auf, an wen Mary Botoner mich erinnert hatte, als sie mit dem Handwerker diskutierend im Turm stand. Sie sind ebenfalls eine Nachfahrin der Botoners.

»Die Kathedrale war sein Leben«, fuhr sie fort. »Er sagte immer, es wäre nicht das Gebäude, was zählt, das wäre nur ein Symbol, doch die neue Kirche, so häßlich sie auch war, bedeutete ihm alles. Ich dachte, wenn ich einige Schätze aus der alten Kathedrale zurückholte, wäre das sehr publikumswirksam. Die Touristen würden in Scharen kommen, um sie zu sehen, und die Kathedrale müßte nicht verkauft werden. Ich dachte, sie zu verkaufen, würde meinen Mann umbringen.«

»Aber hatten nicht Darby und Gentilla bewiesen, daß es unmöglich ist, Dinge mit durchs Netz in die Zukunft zu bringen?«

»Ja«, erwiderte Mrs. Bittner, »aber ich nahm an, daß die Gegenstände, die ja in ihrer eigenen Zeit aufgehört hatten, zu existieren, durchs Netz gehen würden. Darby und Gentilla hatten niemals probiert, etwas durchzubringen, was in seiner eigenen Zeit nicht weiter existierte.« Nachdenklich spielte sie mit dem Stiel des Glases. »Außerdem war ich ziemlich verzweifelt.« Sie schaute uns an.

»Also brach ich eines Nachts ins Labor ein, sprang zum Jahr 1940 zurück und tat es. Und am nächsten Tag rief mich James an, um mir zu sagen, daß Lassiter eine Reihe Sprünge nach Waterloo genehmigt hätte, falls ich einen Job bräuchte, und dann sagte er mir…« — sie hielt inne, mit ihren Gedanken in der Vergangenheit —, »er sagte, daß Shoji ein Durchbruch in der Zeittheorie gelungen sei, daß er entdeckt hätte, warum es unmöglich ist, Dinge mit durchs Netz in die Zukunft zu bringen und daß eine solche Handlung eine Inkonsequenz erzeugen würde, die den Lauf der Geschichte verändern könnte — oder noch Schlimmeres.«

»Also haben Sie versucht, die Sachen zurückzubringen«, sagte Verity.

»Ja. Ich ging hin und brachte Shoji dazu, mir soviel wie möglich über Inkonsequenzen zu erzählen, ohne ihn mißtrauisch zu machen. Es hörte sich ziemlich schlimm an, aber das Allerschlimmste war, daß er mir sagte, sie seien nun imstande gewesen, eine Reihe Sicherungen ins Netz einzubauen, um Inkonsequenzen zu verhindern, und welch ein Glück es doch wäre, daß wir bis dato noch keine verursacht hätten, denn das hätte den Zusammenbruchs des ganzen Raumzeitgefüges bedeuten können.«

Ich schaute zu Verity hinüber. Sie beobachtete Mrs. Bittner. Ihr schönes Gesicht war betrübt.

»So versteckte ich die Beute, wie sie in den Detektivromanen immer sagen, und wartete darauf, daß die Welt unterging. Und sie ging unter. Die Kathedrale wurde entsegnet, an die Kirche des Jenseits verkauft und später zu einem Einkaufszentrum umfunktioniert.« Wieder starrte Mrs. Bittner in ihr Sherryglas.