»Aber daß sie des Bischofs Vogeltränke sah, inspirierte Lady Schrapnell dazu, die Kathedrale wiederaufzubauen und mich zurückzuschicken, um das Tagebuch zu lesen, was dazu führte, daß ich Prinzessin Arjumand rettete…«
»Was alles Teil der Selbstkorrektur war. Aber der Hauptgrund, weshalb Tossie am fünfzehnten in Coventry sein mußte, bestand darin, daß sie dort gesehen werden konnte, wie sie mit Reverend Doult flirtete.«
»Oh«, sagte Verity. »Von dem Mädchen mit den Federhalterwischern.«
»Sehr gut, Harriet. Das Mädchen mit den Federhalterwischern. Miss Delphinium Sharpe…«
»Die Frau, die den Blumenausschuß leitete.«
»Nicht mehr«, sagte ich. »Als sie Tossie mit Reverend Doult flirten sah, war sie, wie du dich vielleicht erinnerst, völlig außer sich. Sie packte ihre Federhalterwischer in die Sakristei, und als wir die Kirche verließen, stapfte sie die Bayley Lane hoch, ihre lange Nase in die Luft gereckt. Ich sah, wie Reverend Doult ihr nacheilte, um sie wieder versöhnlich zu stimmen. Über das Folgende bin ich mir nicht ganz sicher, aber ich vermute, daß im Laufe des Streits, der folgte, Miss Sharpe in Tränen ausbrach, und Reverend Doult ihr, ehe er sich’s versah, einen Heiratsantrag machte. Was bedeutete, daß Reverend Doult nicht im Dienst der Kathedrale blieb, sondern eine Vikarstelle irgendwo auf dem Land erhielt.«
»Deshalb wolltest du die Liste der Kirchenangestellten.«
»Sehr gut, Harriet. Er schaffte den Absprung schneller als ich erwartete. Er heiratete Miss Sharpe 1891 und bekam im folgenden Jahr eine Gemeinde in Northumberland.«
»Also war Miss Sharpe in der Nacht des vierzehnten November 1940 nicht mal in der Nähe Coventrys«, sagte Verity. »Und achtete, vollauf beschäftigt mit Gemeindebasaren und Alteisensammlungen, nicht darauf, ob eine gewisse Vase vermißt wurde.«
»Und schrieb keinen Brief an den Herausgeber«, vollendete ich, »und jedermann nahm an, daß das Ding verbrannt war.«
»Und Ultras Geheimnis blieb gewahrt.« Sie runzelte die Stirn. »Und alles — meine Rettung der Katze, daß wir nach Oxford gingen, um Madame Iritosky zu treffen, daß du Terence davon abhieltest, Maud zu begegnen und ihm das Geld für das Boot geliehen hast, die Seance und das alles, war Teil der Selbstkorrektur? Das ganze Theater?«
»Das ganze Theater«, erwiderte ich und dachte dann über diese Worte nach. Wie weitgehend war die Selbstkorrektur gewesen und was hatte sie alles einbezogen? Professors Peddicks Streit mit Professor Overforce? Die Psychic Research Society? Die gespendeten Schachteln für gezuckerte Veilchen auf dem Basar? Die pelztragenden Damen bei Blackwell’s?
»Eines ist mir nicht klar«, sagte Verity. »Wenn es einzig darum ging, Delphinium Sharpe davon abzuhalten, einen Brief an die Zeitung zu schreiben, hätte es für das Kontinuum doch unkompliziertere Wege gegeben.«
»Es ist ein chaotisches System«, sagte ich. »Jedes Ereignis ist mit jedem anderen verknüpft. Für eine kleine Änderung bedarf es manchmal weitreichender Maßnahmen.«
Doch wie weitreichend? überlegte ich. War die Luftwaffe beteiligt? Agatha Christie? Und das Wetter?
»Ich weiß, daß es ein chaotisches System ist«, sagte Verity in meine Gedanken hinein. »Aber wir reden hier von einem Luftangriff. Wenn die Selbstkorrektur automatisch erfolgte, hätte eine genau placierte Bombe die Inkonsequenz rascher und direkter beseitigt als irgendwelche Pläne mit Katzen und Ausflügen nach Coventry.«
Eine genau placierte Sprengbombe würde jede Gefahr, die Ultra von Delphinium Sharpe gedroht hatte, eliminiert haben, ohne jede Folgen. Über fünfhundert Menschen waren in jener Nacht in Coventry gestorben.
»Vielleicht hatte Delphinium Sharpe oder eine der anderen Personen, die in jener Nacht am Westportal standen, eine andere wichtige Rolle in der Geschichte«, sagte ich und dachte dabei an den untersetzten Luftschutzwart und die Frau mit den beiden Kindern.
»Ich rede nicht von Delphinium Sharpe«, sagte Verity. »Ich meine des Bischofs Vogeltränke. Wenn die Smithsche Kapelle direkt getroffen worden wäre, hätte Miss Sharpe geglaubt, sie sei zerstört worden, und ihren Brief nie geschrieben. Oder die Kapelle hätte getroffen werden können, bevor Lizzie Bittner erschien, und so hätte diese überhaupt keine Inkonsequenz erzeugen können.«
Sie hatte recht. Eine einzige direkte Bombe — mehr hätte es nicht gebraucht. Wenn nicht diese vielleicht etwas anderes verändert hätte. Oder wenn des Bischofs Vogeltränke nicht vielleicht eine andere wichtige Rolle in der Geschichte spielen sollte. Oder wenn das Kontinuum nicht noch andere subtilere Gründe dafür hatte, die Korrektur eben so vorzunehmen.
Pläne, Absichten, Gründe. Fast konnte ich Professor Overforce sagen hören: »Ich wußte es! Das alles ist nichts weiter als ein Argument für einen Großen Plan!«
Wir konnten den Großen Plan nicht erkennen, weil wir Teil davon waren. Nur hin und wieder überkam uns ein winziges Aufflackern der Erkenntnis. Ein Großer Plan, der den gesamten Verlauf der Geschichte und Zeit und Raum umfaßte, der sich aus unerfindlichen Gründen dazu entschloß, seine Werke mit Katzen, Crocketschlägern und Federhalterwischern auszuführen — ganz zu schweigen von dem Hunde. Und einem scheußlichen victorianischen Kunstwerk. Und uns.
»Geschichte ist Charakter«, hatte Professor Peddick gesagt. Und Charakter hatte auf jeden Fall eine Rolle in der Selbstkorrektur gespielt — Lizzie Bittners Ergebenheit für ihren Ehemann, die Weigerung des Colonels, bei Regenwetter einen Mantel zu tragen, Veritys Zuneigung zu Katzen und Mrs. Merings Leichtgläubigkeit. Und meine Zeitkrankheit. Wenn dies alles Teil der Selbstkorrektur war, was bedeutete das für den Begriff des freien Willens? Oder war der freie Wille ebenfalls Teil des Plans?
»Es gibt da noch was, das ich nicht verstehe«, sagte Verity. »Die Inkonsequenz war beseitigt, als Tossie mit Baine auf und davon ging, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Warum war dann Delphinium Sharpe überhaupt da? Sagte T. J. nicht, die Wahrscheinlichkeiten kollabierten in den vorgesehenen Lauf der Geschichte, sobald die Inkonsequenz beseitigt war?«
»Aber die Inkonsequenz wurde nicht beseitigt, während wir in Muchings End waren«, sagte ich. »Baine warf Tossie ins Wasser, aber sie waren noch nicht getürmt. Und deshalb war die Inkonsequenz nicht vollständig beseitigt.«
»Natürlich waren sie schon fort. Sie verschwanden am achtzehnten Juni 1888. Und es war nur logisch, nachdem sie sich geküßt hatten — warum mußten wir also überhaupt noch nach Coventry? Bestimmt nicht, damit Tossie mit Baine davonlaufen konnte.«
Darauf zumindest wußte ich eine Antwort. »Um des Bischofs Vogeltränke zu finden«, sagte ich. »Es war nötig, daß ich die Portale sah und den leeren gußeisernen Ständer, um zu begreifen, was geschehen war.«
»Aber warum?« Sie runzelte immer noch die Stirn. »Das Kontinuum hätte es auch geschafft, die Inkonsequenz zu beseitigen, ohne uns davon wissen zu lassen.«
»Aus Mitleid?« sagte ich. »Weil es wußte, daß Lady Schrapnell mir den Hals umdrehen würde, wenn ich des Bischofs Vogeltränke nicht rechtzeitig zur Einweihung herbeischaffte?«
Aber recht hatte sie. Des Bischofs Vogeltränke hätte bis zum Sankt Nimmerleinstag auf Mrs. Bittner Dachboden lagern und Staub fangen können, jetzt, wo die Inkonsequenz beseitigt und Ultra von den Nazis unentdeckt geblieben war. Warum also war ich ins Labor im Jahr 2018 und zu Blackwell’s und zu dem Luftangriff geschickt worden, und warum hatte ich solche offenkundigen Hinweise erhalten, wenn es bedeutungslos war, ob des Bischofs Vogeltränke gefunden wurde oder nicht? Oder gab es einen Grund, warum sie sich zur Einweihung in der Kathedrale befinden mußte?