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»Und lebende Dinge?« fragte Dunworthy.

»Vielleicht harmlose Bakterien, aber sonst nichts. Die Auswirkung von Lebendigem im Kontinuum ist erheblich größer als die von unbelebten Objekten, und noch größer ist die von intelligenten Lebensformen. Das ergibt sich aus den komplexen Interaktionen, zu denen sie imstande sind. Und natürlich betrifft das auch alles, was eine Auswirkung auf Gegenwart und Zukunft haben könnte. Wie Viren oder Mikroben.«

Dunworthy unterbrach ihn. »Und Fujisakis zweite Theorie?«

»Seine zweite Theorie besagt, daß es Inkonsequenzen gibt, daß im Kontinuum aber eine Art Selbstverteidigung eingebaut ist, die ihnen entgegenwirkt.«

»Schlupfverlust«, murmelte Dunworthy.

T. J. nickte. »Der Mechanismus des Schlupfverlusts verhindert nahezu alle potentiellen Inkonsequenzen, indem er den Zeitreisenden aus dem Gebiet potentieller Gefahren entfernt. Fujisaki meint, daß das Aufkommen an Schlupfverlusten limitiert ist und daß eine Inkonsequenz entsteht, wenn der Schlupfverlust nicht schnell genug ansteigen kann, um die Inkonsequenz zu verhindern.«

»Was geschieht dann?«

»Theoretisch könnte sich der Lauf der Geschichte ändern, oder, wenn die Inkonsequenz groß genug ist, sogar das Universum zerstört werden, aber im modernen Netz gibt es Sicherungen, die das verhindern. Sobald die Gefahr einer Inkonsequenz erkannt wird, schließt sich das Netz automatisch, wenn die Schlupfverluste eine gefährliche Größe erreichen. Und Fujisaki meint, daß wenn eine Inkonsequenz auftaucht, was nicht sein kann, es wiederum andere Arten der Verteidigung gibt, welche die Inkonsequenz korrigieren und sich selbst als…« — er schaute auf das Papier — »radikal gesteigerte Schlupfverluste manifestieren, in einem Gebiet rund um die Inkonsequenz, eine Steigerung von zufälligen Ereignissen…«

Dunworthy drehte sich zu mir um. »Gab es irgendwelche Zufälle in Coventry?«

»Nein«, sagte ich.

»Und bei Ihren Wohltätigkeitsbasaren?«

»Auch nicht«, sagte ich und dachte, wie prima es gewesen wäre, es hätte einen gegeben und ich wäre, zwischen Wurfbude und Pflaumenkuchenversteigerung, ganz zufällig auf des Bischofs Vogeltränke gestoßen.

Dunworthy wandte sich wieder T. J. zu. »Und was sonst?«

»Erhöhte Schlupfverluste in den umliegenden Zeitgebieten.«

»Welcher Umkreis?«

Er kaute an der Lippe. »Fujisaki meint, die meisten Inkonsequenzen würden innerhalb von fünfzig Jahren korrigiert, aber das ist reine Theorie.«

»Und was sonst noch?«

»Wenn es wirklich etwas Ernsthaftes wäre, bräche das Netz zusammen«, sagte T. J.

»Wie macht sich das bemerkbar?«

Er runzelte die Stirn. »Es würde sich nicht mehr öffnen. Es gäbe Fehlsprünge. Aber Fujisaki meint, all das wäre statistisch gesehen unwahrscheinlich. Das Kontinuum sei im Grunde stabil, oder es wäre schon längst zerstört worden.«

»Und was passiert, wenn es keinen erhöhten Schlupfverlust gibt, aber tatsächlich eine Inkonsequenz besteht?« fragte Dunworthy. »Heißt das, sie wäre bereits korrigiert, bevor sie eine Auswirkung auf das Kontinuum haben könnte?«

»Ja«, erwiderte T. J. »Denn sonst gäbe es ja einen Schlupfverlust.«

»Gut. Ausgezeichnete Arbeit, Marineleutnant Klepperman«, meinte Dunworthy. Er ging zu dem Seraphen hinüber, der wütend auf die Tastatur der Konsole drosch. »Miss Wärter, ich benötige eine Liste aller Sprünge in die achtziger und neunziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts mit einer Auflistung der Schlupfverluste und der normalen Parameter.«

»Miss Warder«, korrigierte der Seraph. »Und im Moment kann ich das nicht erledigen. Ich habe gerade ein Rendezvous.«

»Das Rendezvous kann warten.« Er ging zu T. J. zurück. »Lewis, Sie halten nach ungewöhnlichen Schlüpfern Ausschau.«

Zumindest glaubte ich, daß er das gesagt hatte. Die Entwarnung hatte wieder begonnen und wurde jetzt von einem steten, dröhnenden Klopfen begleitet, das wie Flakfeuer klang.

»Und Mehlsprüngen.«

»Ja, Sir«, sagte T. J. und verschwand.

»Finch, wo ist das Lätzchen?« fragte Dunworthy.

»Hier«, sagte Finch, aber das konnte auch nicht stimmen. Ich trug kein Lätzchen, sondern weiße Flanellhosen und eine Weste. Wo war mein Hut? Im victorianischen Zeitalter ging man stets mit Hut, oder? Zylinder und diese harten runden Dinger. Wie hießen sie noch gleich? Es fing mit einem B an.

Der Seraph lehnte sich über mich, was hieß, daß ich mich wieder hingesetzt haben mußte. Sie zog mich hoch, damit ich Jacken anprobieren konnte.

»Stecken Sie den Arm dadurch«, sagte sie und warf mir eine kastanienbraun gestreifte zu. »Nein, den linken Arm.«

»Die Ärmel sind zu kurz«, sagte ich mit einem Blick auf meine herausragenden Handgelenke.

»Wie ist Ihr Name?«

»Mein Name?« sagte ich. Was hatte das mit den zu kurzen Ärmeln zu tun?

»Ihren Namen!« Sie riß mir die kastanienbraune Jacke aus der Hand und schob mir eine rote zu.

»Ned Henry.« Diesmal hingen mir die Jackenärmel weit über den Handrücken.

»Gut«, sagte sie, zog die rote aus und reichte mir eine dunkelblau und weiß gestreifte. »Dann brauche ich mir zumindest keinen zeitgenössischen Namen für Sie auszudenken.« Sie zupfte an den Ärmeln. »Das muß gehen. Und gehen Sie bitte nicht in der Themse damit schwimmen. Ich habe keine Zeit, noch mehr Kostüme vorzubereiten.« Sie drückte mir einen Strohhut auf den Kopf. Dann setzte sie sich wieder tastenhämmernd vor die Konsole.

»Ich glaub’s einfach nicht, daß Badri noch nicht zurück ist«, sagte sie. »Mich hier mit diesem ganzen Kram allein zu lassen. Koordinaten setzen. Kostüme herbeischaffen. Und zwischenzeitlich wartet ein Historiker schon seit einer dreiviertel Stunde darauf, zurückspringen zu können. Na ja, Ihr Sprung soll mal schön warten, denn die unverheirateten Mädchen wurden immer von Anstandsdamen begleitet, meistens einem älteren Mädchen oder einer Tante, und bevor sie nicht verlobt waren, war es ihnen nicht gestattet, mit einem Mann allein zu bleiben. Ned, hören Sie gut zu.«

»Tu ich ja«, sagte ich. »Unverheiratete Mädchen wurden immer von einer Anstandsdame begleitet.«

»Ich sagte Ihnen ja, daß ich das Ganze für keine gute Idee halte«, sagte Finch, der auch wieder anwesend war.

»Es gibt sonst keinen, der verfügbar wäre«, erwiderte Dunworthy. »Ned, hören Sie gut zu. Ich erkläre Ihnen jetzt Ihren Auftrag. Sie kommen am siebten Juni 1888 um zehn Uhr morgens an. Der Fluß liegt links von der Dessertgabel, die man für Gateaux und Puddings benutzt. Das Dessertmesser benutzt man für Muchings End und Nachtische…«

Nachtische. — Naiaden! So hieß das Gemälde. Hylas und die Naiaden. Er ging, den Wasserkrug zu füllen, und sie zogen ihn zu sich hinab, tiefer und tiefer, umschlangen ihn mit ihrem nassen Haar und ihren feuchten Ärmeln.

»Sobald es abgeliefert ist, können Sie tun, was immer Ihnen beliebt. Der Rest der zwei Wochen steht Ihnen zur Verfügung. Sie können auf der Themse oder rechts von dem Dessertteller Boot fahren, mit der Schneide zum Tellerrand hin.« Er klopfte mir auf die Schulter »Verstanden?«

»Häh?« fragte ich, aber Dunworthy hörte nicht zu. Er schaute zum Netz. Ein lautes Brummen lag in der Luft, welches das Flakfeuer zu übertönen drohte, und die Schleier des Netzes begannen sich zu senken.