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»Warten Sie«, sagte ich vollkommen verwirrt. »Ich glaube, Sie sollten besser von Anfang an erzählen. Setzen Sie sich.«

Ich wies auf eine Bank, die das Schild trug: »Nicht beschmutzen!« Daneben befand sich ein eingekerbtes, von einem Pfeil durchbohrtes Herz, unter dem stand: »Violet und Harold, ’59.«

Sie setzte sich und drapierte graziös ihre weißen Röcke auf der Bank.

»Also gut«, sagte ich. »Sie brachten eine Katze durch das Netz mit in die Zukunft.«

»Ja. Ich war gerade im Gartenpavillon — das ist der Ort, auf den die Sprünge fixiert sind. Es liegt verborgen hinter einem kleinen Wäldchen, ein Rendezvous, das sich alle zehn Minuten öffnet. Ich kam gerade durch, nachdem ich Dunworthy Bericht erstattet hatte, und sah Baine, den Butler, der Prinzessin Arjumand trug…«

»Moment mal! Was machten Sie im victorianischen Zeitalter?«

»Lady Schrapnell schickte mich hierher, um Tossies Tagebuch zu lesen. Sie dachte, darin fände sich ein Hinweis auf des Bischofs Vogeltränke.«

Natürlich! Ich hätte mir denken können, daß dies alles etwas mit des Bischofs Vogeltränke zu tun hatte. »Aber was hat Tossie mit des Bischofs Vogeltränke zu schaffen?« Ein furchtbarer Gedanke schoß mir in den Sinn. »Bitte, sagen Sie jetzt nicht, sie sei die Ururgroßmutter.«

»Urur-Urgroßmutter. Dies ist der Sommer, wo sie nach Coventry ging, des Bischofs Vogeltränke erblickte und…«

»… sich ihr Leben für immer veränderte«, sagte ich.

»Ein Ereignis, das sie immer wieder und mit großer Genauigkeit in den umfangreichen Tagebüchern schilderte, die sie die meiste Zeit ihres Lebens führte, und die Lady Schrapnell las, worauf sie von der Idee, die Kathedrale wiederaufzubauen, besessen wurde, was wiederum ihrLeben von Grund auf veränderte.«

»Und das unsrige«, sagte ich. »Aber wenn sie die Tagebücher kannte, warum schickte man Sie dann ins Jahr 1888, um sie zu lesen?«

»Der Band, in dem Tossie zum ersten Mal das ihr Leben umwälzende Ereignis erwähnte — das einzige, das sie im Sommer 1888 schrieb —, ist durch Feuchtigkeit ziemlich unleserlich. Lady Schrapnell hat zwar eine Gerichtsmedizinerin darangesetzt, aber diese hat nur wenig herausfinden können, also schickte sie mich hierher, um das Tagebuch vor Ort zu lesen.«

»Aber wenn sie die Sache doch so ausführlich in ihren späteren Tagebüchern erwähnte…«

»Sie sagte nie genau, welcher Art die Veränderung war oder an welchem Tag sie nach Coventry kam, und Lady Schrapnell meint, es gäbe in dem Buch noch mehr Details, die wichtig sein könnten. Unglücklicherweise — oder vielleicht sollte ich eher sagen, glücklicherweise, weil Tossie genau so schreibt, wie sie spricht — hält sie ihr Tagebuch unter besserem Verschluß als der Schatzmeister der Königin die Kronjuwelen, und bis jetzt konnte ich noch keinen Blick hineinwerfen.«

»Ich verstehe immer noch nicht ganz«, sagte ich. »Des Bischofs Vogeltränke tauchte nicht vor 1940 auf. Was für einen Zweck hat ein Tagebuch, das 1888 geschrieben wurde?«

»Lady Schrapnell hofft, es gäbe darin einen Hinweis, wer sie der Kirche gegeben haben könnte. Sämtliche Unterlagen über Stiftungen sind während des Luftangriffs auf Coventry verbrannt. Lady Schrapnell glaubt, daß die Nachkommen des Stifters, wer immer es auch war, das Ding vielleicht zu Kriegsbeginn in Sicherheit gebracht haben könnten.«

»Wer immer es gestiftet haben könnte, wollte es wahrscheinlich loswerden.«

»Das nehme ich auch an. Aber Sie kennen doch Lady Schrapnell. ›Dreht jeden Stein dreimal um‹. Also folge ich Tossie schon seit zwei Wochen auf Schritt und Tritt in der Hoffnung, daß sie ihr Tagebuch einmal offen herumliegen läßt. Oder nach Coventry geht. Sie müßte bald dorthin gehen. Als ich Coventry erwähnte, sagte sie, sie sei noch nie dort gewesen, und wir wissen, daß sie irgendwann im Juni dieses Jahres dort war. Es wird also bald geschehen.«

»Und so haben Sie ihre Katze gekidnappt und ihr Tagebuch als Lösegeld verlangt?«

»Nein«, sagte sie. »Es war nach meinem Bericht an Dunworthy. Ich kam zurück und sah Baine, das ist der Butler…«

»Der Bücher liest«, warf ich ein.

»Der ein wahnsinniger Mörder ist«, sagte sie. »Er trug gerade Prinzessin Arjumand im Arm, und als er zur Uferböschung kam, ein vollkommener Junitag. Die Rosen sind so herrlich.«

»Bitte?« Ich fühlte mich wieder desorientiert.

»Und der Goldregen! Mrs. Mering hat eine Laube voll Goldregen, die immer so malerisch wirkt!«

»Entschuldigen Sie, Miss Brown«, sagte Baine, der aus dem Nichts auftauchte, mit einer kleinen, steifen Verbeugung.

»Was ist, Baine?« fragte Verity.

»Es geht um Miss Merings Katze, Ma’am«, sagte Baine unbehaglich. »Ich fragte mich, ob Mr. St. Trewes’ Anwesenheit bedeutet, daß er sie gefunden hat.«

»Nein, Baine«, erwiderte Verity, und die Temperatur um uns herum sank um mehrere Grade. »Prinzessin Arjumand wird immer noch vermißt.«

»Das beunruhigte mich«, sagte er und verbeugte sich wieder. »Soll ich jetzt die Kutsche holen?«

»Nein«, entgegnete sie frostig. »Vielen Dank, Baine.«

»Mrs. Mering erwartet Sie zum Tee zurück.«

»Das weiß ich, Baine. Vielen Dank.«

Er zögerte immer noch. »Die Fahrt zu Madame Iritosky dauert eine halbe Stunde.«

»Ja, Baine. Lassen Sie das meine Sorge sein.« Ihr Blick folgte dem Butler, bis er wieder bei der Kutsche war. »Dieser kaltblütige Mörder!« brach es dann aus ihr heraus. »›Ich fragte mich, ob Mr. St. Trewes die Katze gefunden hat‹. Er weiß genau, daß das nicht so ist. Und das Gerede, wie beunruhigt er sei! Dieses Ungeheuer!«

»Sind Sie sicher, daß er sie ersäufen wollte?« fragte ich.

»Natürlich bin ich mir sicher. Er schleuderte sie so weit in den Fluß hinaus, wie er nur konnte.«

»Vielleicht ist es so üblich. Ich erinnere mich gelesen zu haben, daß man Katzen im victorianischen Zeitalter ersäufte. Vor allem, um ihre Zahl in Grenzen zu halten.«

»Ja, neugeborene Kätzchen, aber keine ausgewachsenen Tiere. Und keine Haustiere. Prinzessin Arjumand ist das Liebste, was Tossie besitzt, außer sich selbst. Die Kätzchen, die ersäuft wurden, waren Bauernhoftiere, keine Haustiere. Der Bauer auf dem Hof gerade hinter Muchings End ersäufte letzte Woche einen ganzen Wurf. Steckte sie in einen Sack, der mit Steinen beschwert war, und warf sie in seinen Teich. Das ist zwar barbarisch, aber nicht bösartig. Dies hier war bösartig. Nachdem Baine sie in den Fluß geworfen hatte, rieb er sich die Hände und ging lächelndzum Haus zurück. Er hatte ohne Zweifel vor, sie zu töten.«

»Ich dachte, Katzen könnten schwimmen.«

»Nicht in der Mitte der Themse. Wenn ich nicht eingegriffen hätte, wäre sie von der Strömung abgetrieben worden.«

»Das Fräulein von Shalott«, murmelte ich.

»Wie?«

»Nichts. Warum sollte er die Katze seiner Herrin ertränken wollen?«

»Keine Ahnung. Vielleicht hat er etwas gegen Katzen. Vielleicht nicht nur gegen Katzen, und wir finden uns eines Nachts alle ermordet in unseren Betten wieder. Vielleicht ist er Jack the Ripper. Der war doch 1888 am Werk, nicht wahr? Und seine wahre Identität wurde nie entdeckt. Ich konnte jedenfalls nicht einfach dastehen bleiben und zusehen, wie Prinzessin Arjumand ertrank. Katzen sind eine ausgestorbene Spezies.«

»Und so tauchten Sie ins Wasser und retteten sie.«

»Ich watete hinein«, verteidigte sie sich. »Ich bekam sie zu fassen und brachte sie zum Ufer zurück, aber gerade als ich das tat, fiel mir ein, daß eine victorianische Dame nie auf diese Art ins Wasser gewatet wäre. Ich hatte nicht einmal die Schuhe ausgezogen. Ich überlegte nicht weiter. Ich handelte. Ich duckte mich ins Netz, und es öffnete sich. Dabei wollte ich mich bloß verstecken. Ich wollte kein Problem erzeugen.«