Das den Schwestern bewilligte Benefiz-Konzert war herangekommen, Lauretta sang mit mir eine lange Szene von Anfossi. Ich saß wie gewöhnlich am Flügel. Die letzte Fermate trat ein. Lauretta bot alle ihre Kunst auf, Nachtigalltöne wirbelten auf und ab - aushaltende Noten - dann bunte krause Rouladen, ein ganzes Solfeggio! In der Tat schien mir das Ding diesmal beinahe zu lang, ich fühlte einen leisen Hauch; Teresina stand hinter mir. in demselben Augenblick holte Lauretta aus zum anschwellenden Harmonika-Triller, mit ihm wollte sie in das a tempo hinein. Der Satan regierte mich, nieder schlug ich mit beiden Händen den Akkord, das Orchester folgte, geschehen war es um Laurettas Triller, um den höchsten Moment, der alles in Staunen setzen sollte. Lauretta, mit wütenden Blicken mich durchbohrend, riß die Partie zusammen, warf sie mir an den Kopf, daß die Stücke um mich her flogen, und rannte wie rasend durch das Orchester in das Nebengemach. Sowie das Tutti geschlossen, eilte ich nach. Sie weinte, sie tobte. ›Mir aus den Augen, Frevler‹, schrie sie mir entgegen - ›Teufel, der hämisch mich um alles gebracht - um meinen Ruhm, um meine Ehre - ach, um meinen Trillo - Mir aus den Augen, verruchter Sohn der Hölle!‹ - Sie fuhr auf mich los, ich entsprang durch die Türe. Während des Konzerts, das eben jemand vortrug, gelang es endlich Teresinen und dem Kapellmeister, die Wütende so weit zu besänftigen, daß sie wieder vorzutreten sich entschloß; ich durfte aber nicht mehr an den Flügel. Im letzten Duett, das die Schwestern sangen, brachte Lauretta noch wirklich den anschwellenden Harmonika-Triller an, wurde über die Maßen beklatscht und geriet in die beste Stimmung. Ich konnte indessen die üble Behandlung, die ich in Gegenwart so vieler fremder Personen von Lauretta erduldet, nicht verwinden und war fest entschlossen, den andern Morgen nach meiner Vaterstadt zurückzureisen. Eben packte ich meine Sachen zusammen, als Teresina in mein Stübchen trat. Mein Beginnen gewahrend, rief sie voll Erstaunen: ›Du willst uns verlassen?‹ Ich erklärte, daß, nachdem ich solche Schmach von Lauretta erduldet, ich länger in ihrer Gesellschaft nicht bleiben könne. ›Also die tolle Aufführung einer Närrin‹, sprach Teresina, ›die sie schon herzlich bereut, treibt dich fort? Kannst du denn aber besser leben in deiner Kunst als bei uns? Nur auf dich kommt es ja an, durch dein Betragen Lauretta von ähnlichem Beginnen abzuhalten. Du bist zu nachgiebig, zu süß, zu sanft. Überhaupt schlägst du Laurettas Kunst zu hoch an. Sie hat keine üble Stimme und viel Umfang, das ist wahr, aber alle diese sonderbaren wirblichten Schnörkel, die ungemessenen Läufe, diese ewigen Triller, was sind sie anders, als blendende Kunststückchen, die so bewundert werden, wie die waghalsigen Sprünge des Selltänzers? Kann denn so etwas tief in uns eindringen und das Herz rühren? Den Harmonika-Triller, den du verdorben, kann ich nun gar nicht leiden, es wird mir ängstlich und weh dabei. Und dann dies Hochhinaufklettern in die Region der drei Striche, ist das nicht ein erzwungenes Übersteigen der natürlichen Stimme, die doch nur allein wahrhaft rührend bleibt? Ich lobe mir die Mittel- und die tiefen Töne. Ein in das Herz dringender Laut, ein wahrhaftes Portamento di voce geht mir über alles. Keine unnütze Verzierung, ein fest und stark gehaltener Ton - ein bestimmter Ausdruck, der Seele und Gemüt erfaßt, das ist der wahre Gesang, und so singe ich. Magst du Lauretta nicht mehr leiden, so denke an Teresina, die dich so gern hat, weil du nach deiner eigentlichen Art und Weise eben mein Maestro und Compositore werden wirst. - Nimm mir's nicht übel! Alle deine zierlichen Kanzonetten und Arien sind gar nichts wert gegen das einzige.‹ - Teresina sang mit ihrer sonoren vollen Stimme einen einfachen kirchenmäßigen Kanzone, den ich vor wenigen Tagen gesetzt. Nie hatte ich geahnt, daß das so klingen könnte. die Töne drangen mit wunderbarer Gewalt in mich hinein, die Tränen standen mir in den Augen vor Lust und Entzücken, ich ergriff Teresinas Hand, ich drückte sie tausendmal an den Mund, ich schwur, mich niemals von ihr zu trennen. - Lauretta sah mein Verhältnis mit Teresina mit neidischem verbissenen Ärger an, indessen sie bedurfte meiner, denn trotz ihrer Kunst war sie nicht imstande, Neues ohne Hilfe einzustudieren, sie las schlecht und war auch nicht taktfest. Teresina las alles vom Blatt, und daneben war ihr Taktgefühl ohnegleichen. Nie ließ Lauretta ihren Eigensinn und ihre Heftigkeit mehr aus als beim Akkompagnieren. Nie war ihr die Begleitung recht - sie behandelte das als ein notwendiges Übel - man sollte den Flügel gar nicht hören, immer pianissimo - immer nachgeben und nachgeben - jeder Takt anders, so wie es in ihrem Kopfe sich nun gerade gestaltet hatte im Moment. Jetzt setzte ich mich ihr mit festem Sinn entgegen, ich bekämpfte ihre Unarten, ich bewies ihr, daß ohne Energie keine Begleitung denkbar sei, daß Tragen des Gesanges sich merklich unterscheide von taktloser Zerflossenheit. Teresina unterstützte mich treulich. Ich komponierte nur Kirchensachen und gab alle Soli der tiefen Stimme. Auch Teresina hofmeisterte mich nicht wenig, ich ließ es mir gefallen, denn sie hatte mehr Kenntnis und (so glaubte ich) mehr Sinn für deutschen Ernst als Lauretta.
Wir durchzogen das südliche Deutschland. In einer kleinen Stadt trafen wir auf einen italienischen Tenor, der von Mailand nach Berlin wollte. Meine Damen waren entzückt über den Landsmann; er trennte sich nicht von ihnen, vorzüglich hielt er sich an Teresina, und zu meinem nicht geringen Ärger spielte ich eine ziemlich untergeordnete Rolle. Einst wollte ich mit einer Partitur unter dem Arm gerade ins Zimmer treten, als ich drinnen ein lebhaftes Gespräch zwischen meinen Damen und dem Tenor vernahm. Mein Name wurde genannt - ich stutzte, ich horchte. Das Italienische verstand ich jetzt so gut, daß mir kein Wort entging. Lauretta erzählte eben den tragischen Vorfall im Konzert, wie ich ihr durch unzeitiges Niederschlagen den Triller abgeschnitten. ›Asino tedesco‹, rief der Tenor - es war mir zumute, als müßte ich hinein und den luftigen Theaterhelden zum Fenster hinauswerfen - ich hielt an mich. Lauretta sprach weiter, daß sie mich gleich fortjagen wollen, indessen sei sie durch mein flehentliches Bitten bewogen worden, mich noch ferner um sich zu dulden aus Mitleid, da ich bei ihr den Gesang studieren wollen. Teresina bestätigte dies zu meinem nicht geringen Erstaunen. ›Es ist ein gutes Kind‹, fügte sie hinzu, ›jetzt ist er in mich verliebt und setzt alles für den Alt. Einiges Talent ist in ihm, aber er muß sich aus dem Steifen und Ungelenken herausarbeiten, das den Deutschen eigen. Ich hoffe mir aus ihm einen Compositore zu bilden, der mir, da wenig für den Alt geschrieben wird, einige tüchtige Sachen setzt, nachher lasse ich ihn laufen. Er ist mit seinem Liebeln und Schmachten sehr langweilig, auch quält er mich zu sehr mit seinen leidigen Kompositionen, die zurzeit ganz erbärmlich sind.‹ ›Wenigstens bin ich ihn jetzt los‹, fiel Lauretta ein, ›was hat mich der Mensch verfolgt mit seinen Arien und Duetten, weißt du wohl noch, Teresina?‹ - Nun fing Lauretta ein Duett an, das ich komponiert und das sie sonst hoch gerühmt hatte. Teresina nahm die zweite Stimme auf, und beide parodierten in Stimme und Vortrag mich auf das grausamste. Der Tenor lachte, daß es im Zimmer schallte, ein Eisstrom goß sich durch meine Glieder - mein Entschluß war gefaßt unwiderruflich. Leise schlich ich mich fort von der Tür in mein Zimmer zurück, dessen Fenster in die Seitenstraße gingen. Gegenüber war die Post gelegen, eben fuhr der Bamberger Postwagen vor, der gepackt werden sollte. Die Passagiere standen schon vor dem Torwege, doch hatte ich noch eine Stunde Zeit. Schnell raffte ich meine Sachen zusammen, bezahlte großmütig die ganze Rechnung im Gasthofe und eilte nach der Post. Als ich durch die breite Straße fuhr, sah ich meine Damen, die mit dem Tenor noch am Fenster standen und sich auf den Schall des Posthorns herausbückten. Ich drückte mich zurück in den Hintergrund und dachte recht mit Lust an die tötende Wirkung des gallbittern Billetts, das ich für sie im Gasthofe zurückgelassen hatte.«-