Mit vieler Behaglichkeit schlürfte Theodor die Neige des glühenden Eleatiko aus, die ihm Eduard eingeschenkt.»Der Teresina«, sprach dieser, indem er eine neue Flasche öffnete und geschickt den oben schwimmenden Öltropfen wegschüttete,»der Teresina hätte ich solche Falschheit und Tücke nicht zugetraut. Das anmutige Bild, wie sie zu Pferde, das in zierlichen Kurbetten dahertanzt, spanische Romanzen singt, kommt mir nicht aus den Gedanken.«»Das war ihr Kulminationspunkt«, fiel Theodor ein.»Noch erinnere ich mich des seltsamen Eindrucks, den die Szene auf mich machte. Ich vergaß meine Schmerzen; Teresina kam mir in der Tat wie ein höheres Wesen vor. Daß solche Momente tief ins Leben greifen und urplötzlich manches eine Form gewinnt, die die Zeit nicht verdüstert, ist nur zu wahr. Ist mir jemals eine kecke Romanze gelungen, so trat gewiß in dem Augenblick des Schaffens Teresinas Bild recht klar und farbicht aus meinem Innern hervor.«
»Doch«, sprach Eduard,»laß uns auch die kunstreiche Lauretta nicht vergessen und gleich, allen Groll beiseite gesetzt, auf das Wohl beider Schwestern anstoßen.«- Es geschah! -»Ach«, sprach Theodor,»wie wehen doch aus diesem Wein die holden Düfte Italiens mich an - wie glüht mir doch frisches Leben durch Nerven und Adern! - Ach, warum mußte ich doch das herrliche Land so schnell wieder verlassen!«»Aber«, fiel Eduard ein,»noch fand ich in allem, was du erzähltest, keinen Zusammenhang mit dem himmlischen Bilde, und so, glaube ich, hast du noch mehr von den Schwestern zu sagen. Wohl merke ich, daß die Damen auf dem Bilde keine anderen sind als eben Lauretta und Teresina selbst.«»So ist es in der Tat«, erwiderte Theodor,»und meine sehnsüchtigen Stoßseufzer nach dem herrlichen Lande leiten sehr gut das ein, was ich noch zu erzählen habe. Kurz vorher, als ich vor zwei Jahren Rom verlassen wollte, machte ich zu Pferde einen kleinen Abstecher. Vor einer Lokanda stand ein recht freundliches Mädchen, und es fiel mir ein, wie behaglich es sein müsse, mir von dem niedlichen Kinde einen Trunk edlen Weins reichen zu lassen. Ich hielt vor der Haustüre in dem von glühenden Streiflichtern durchglänzten Laubgange. Mir schallten aus der Ferne Gesang und Chitarratöne entgegen Ich horchte hoch auf, denn die beiden weiblichen Stimmen wirkten ganz sonderbar auf mich, seltsam gingen dunkle Erinnerungen in mir auf, die sich nicht gestalten wollten. Ich stieg vom Pferde und näherte mich langsam und auf jenen Ton lauschend der Weinlaube, aus der die Musik zu ertönen schien. die zweite Stimme hatte geschwiegen. die erste sang allein eine Kanzonetta. Je näher ich kam, desto mehr verlor sich das Bekannte, das mich erst so angeregt hatte. Die Sängerin war in einer bunten krausen Fermate begriffen. Das wirbelte auf und ab - auf und ab - endlich hielt sie einen langen Ton - aber nun brach eine weibliche Stimme plötzlich in tolles Zanken aus - Verwünschungen, Flüche, Schimpfreden! - Ein Mann protestiert, ein anderer lacht. - Eine zweite weibliche Stimme mischt sich in den Streit. Immer toller und toller braust der Zank mit aller italienischen Rabbia! - Endlich stehe ich dicht vor der Laube - ein Abbate stürzt heraus und rennt mich beinahe über den Haufen - er sieht sich nach mir um, ich erkenne meinen guten Signor Ludovico, meinen musikalischen Neuigkeitsträger aus Rom! - ›Was um des Himmels willen‹, rufe ich - ›Ah Signor Maestro! - Signor Maestro‹, schreit er, ›retten Sie mich - schützen Sie mich vor dieser Wütenden - vor diesem Krokodil - diesem Tiger - dieser Hyäne - diesem Teufel von Mädchen. - Es ist wahr - es ist wahr - ich gab den Takt zu Anfossis Kanzonetta und schlug zu unrechter Zeit mitten in der Fermate nieder - ich schnitt ihr den Trillo ab - aber warum sah ich ihr in die Augen, der satanischen Göttin! - Hole der Teufel alle Fermaten - alle Fermaten!‹ - In ganz besonderer Bewegung trat ich mit dem Abbate rasch in die Weinlaube und erkannte auf den ersten Blick die Schwestern Lauretta und Teresina. Noch schrie und tobte Lauretta, noch sprach Teresina heftig in sie hinein - der Wirt, die nackten Arme übereinandergeschlagen, schaute lachend zu, während ein Mädchen den Tisch mit neuen Flaschen besetzte. Sowie mich die Sängerinnen erblickten, stürzten sie über mich her: ›Ah Signor Teodoro!‹ und überhäuften mich mit Liebkosungen. Aller Streit war vergessen. ›Seht hier‹, sprach Lauretta zum Abbate, ›seht hier einen Compositore, graziös wie ein Italiener, stark wie ein Deutscher!‹ - Beide Schwestern, sich mit Heftigkeit ins Wort fallend, erzählten nun von den glücklichen Tagen unsers Beisammenseins, von meinen tiefen musikalischen Kenntnissen schon als Jüngling - von unsern Übungen - von der Vortrefflichkeit meiner Kompositionen - nie hätten sie etwas anderes singen mögen, als was ich gesetzt - Teresina verkündigte mir endlich, daß sie von einem Impresario zum nächsten Karneval als erste tragische Sängerin engagiert worden, sie wolle aber erklären, daß sie nur unter der Bedingung singen werde, wenn mir wenigstens die Komposition einer tragischen Oper übertragen würde. - Das Ernste, Tragische sei doch nun einmal mein Fach usw. - Lauretta meinte dagegen, schade sei es, wenn ich nicht meinem Hange zum Zierlichen, Anmutigen, kurz, zur Opera buffa nachgeben wollte. Für diese sei sie als erste Sängerin engagiert, und daß niemand anders als ich die Oper, in der sie zu singen hätte, komponieren solle, verstehe sich von selbst. Du kannst denken, mit welchen besonderen Gefühlen ich zwischen beiden stand. Übrigens siehst du, daß die Gesellschaft, zu der ich trat, eben diejenige ist, welche Hummel malte, und zwar in dem Moment, als der Abbate eben im Begriff ist, in Laurettas Fermate hineinzuschlagen.«»Aber dachten sie denn«, sprach Eduard,»gar nicht an dein Scheiden, an das gallbittre Billett?«»Auch nicht mit einem Worte«, erwiderte Theodor,»und ich ebensowenig, denn längst war aller Groll aus meiner Seele gewichen und mein Abenteuer mit den Schwestern mir spaßhaft geworden. Das einzige, was ich mir erlaubte, war, dem Abbate zu erzählen, wie vor mehreren Jahren mir auch in einer Anfossischen Arie ein ganz gleicher Unfall begegnet wie heute ihm. Ich drängte mein ganzes Beisammensein mit den Schwestern in die tragikomische Szene hinein und ließ, kräftige Seitenhiebe austeilend, die Schwestern das Übergewicht fühlen, das die an mancher Lebens- und Kunsterfahrung reichen Jahre mir über sie gegeben hatten. ›Und gut war es doch‹, schloß ich, ›daß ich hineinschlug in die Fermate, denn das Ding war angelegt auf ewige Zeiten, und ich glaube, ließ ich die Sängerin gewähren, so säß' ich noch am Flügel.‹ ›Doch! Signor‹, erwiderte der Abbate, ›welcher Maestro darf sich anmaßen, der Primadonna Gesetze zu geben, und dann war Ihr Vergehen viel größer als das meinige, im Konzertsaal, und hier in der Laube - eigentlich war ich nur Maestro in der Idee, niemand durfte was darauf geben - und hätte mich dieser himmlischen Augen süßer Feuerblick nicht betört, so wär' ich nicht ein Esel gewesen.‹ Des Abbate letzte Worte waren heilbringend, denn Lauretta, deren Augen, während der Abbate sprach, wieder zornig zu funkeln anfingen, wurde dadurch ganz besänftigt.