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Leane wurde sichtlich nachdenklich und packte die letzten Gegenstände nun vorsichtiger in das Kästchen ein. »Ich glaube, ich hatte immer schon das Gefühl, mich hinter der Maske einer ganz anderen Person zu verbergen, einer Maske, die ich so sorgfältig formte, bis sie mir zur zweiten Natur wurde. Es galt, ernsthafte Dinge zu vollbringen, gewiß Wichtigeres, als eine Kauffrau zu tun hat, und als mir endlich klar wurde, daß es auch so einen Ausweg gegeben hätte, saß die Maske viel zu fest, um sie wieder abzunehmen. Nun, das ist ja nun alles vorüber, und die Maske fällt jetzt. Ich habe sogar vor einer Woche noch daran gedacht, mit Logain den Anfang zu machen — nur zur Übung natürlich. Allerdings bin ich außer Übung, und er ist die Sorte von Mann, die vielleicht mehr nimmt, als ihr geboten wird.« Ihre Lippen wurden mit einemmal von einem leichten Lächeln umspielt. »Meine Mutter sagte immer, falls so etwas geschehe, habe man sich böse verrechnet. Falls es keinen Ausweg mehr gibt, muß man entweder alle Würde aufgeben und davonlaufen, oder den Preis bezahlen und es als Lehrstunde betrachten.« Das Lächeln wirkte plötzlich ausgesprochen spitzbübisch. »Tante Resara meinte allerdings, man solle den Preis bezahlen und genießen.«

Min konnte da nur den Kopf schütteln. Es war, als sei aus Leane eine ganz andere Frau geworden. So über etwas zu sprechen, das...! Sie konnte kaum glauben, was sie gehört hatte. Und noch dazu sah Leane nun auch tatsächlich verändert aus. Trotz aller Kosmetika, die sie benützt hatte, entdeckte Min auf ihrem Gesicht keine Spur von Puder oder Farbe, und doch wirkten ihre Lippen voller, die Backenknochen höher und die Augen größer. Sie war schon immer eine mehr als nur hübsche Frau gewesen, doch jetzt war sie mindestens fünfmal schöner als zuvor.

Siuan war aber noch nicht ganz fertig mit ihr. »Und wenn dieser Landedelmann genauso wie Logain ist?« fragte sie leise. »Was werdet Ihr dann tun?«

Leane richtete sich steif auf die Knie auf und schluckte erst einmal, bevor sie antwortete. Dann klang ihre Stimme wieder vollkommen beherrscht: »Wenn Ihr die Wahl hättet, was würdet Ihr dann tun?«

Keine zuckte mit der Wimper, und die Stille dehnte sich.

Bevor Siuan antworten konnte, falls sie das überhaupt vorhatte, und Min hätte einiges dafür gegeben, diese Antwort zu hören, rasselte die Kette auf der anderen Seite der Tür, und ein Schlüssel klapperte am Schloß.

Die anderen beiden Frauen standen langsam auf und griffen gelassen nach ihren Satteltaschen, doch Min fuhr hastig hoch und wünschte sich ihr Messer zurück. Blödsinnig, sich ausgerechnet so etwas zu wünschen, dachte sie. Das würde mich in noch größere Schwierigkeiten bringen. Ich bin doch keine verdammte Heldin aus irgendeiner Legende. Selbst wenn ich den Wächter überrumpelte...

Die Tür öffnete sich, und ein Mann mit einer langen Lederweste über dem Hemd füllte die gesamte Öffnung aus. Er war kein Typ, wie ihn junge Frauen angreifen würden, nicht einmal mit einem Messer. Vielleicht noch nicht einmal mit einer Axt. Breit gebaut war er und dick. Die wenigen übriggebliebenen Haare auf seinem Kopf waren mehr oder weniger weiß, aber trotz allem wirkte er so hart wie ein alter Eichenstumpf. »Zeit für Euch, Mädels, dem Lord vorgeführt zu werden«, sagte er mürrisch. »Geht Ihr mit, oder müssen wir Euch wie Getreidesäcke schleppen? Ihr werdet auf jeden Fall hingebracht, aber bei dieser Hitze möchte ich Euch nicht gern schleppen.«

Min spähte an ihm vorbei und sah zwei weitere Männer dort warten, grauhaarig, doch genauso hart, wenn auch nicht ganz so groß. »Wir gehen mit«, sagte Siuan trocken zu ihm.

»Gut. Dann kommt. Beeilt Euch. Lord Gareth wird es nicht besonders gefallen, wenn er warten muß.«

Obgleich sie versprochen hatten, mitzukommen, wurde jede von ihnen von einem der Männer mit festem Griff am Arm gepackt. Dann gingen sie die staubige Straße hinauf. Die Hand des beinahe kahlköpfigen Mannes umschloß Mins Arm wie eine Handschelle. Na ja, vergessen wir das Wegrennen, dachte sie bitter. Sie überlegte, ob sie ihm gegen ein gestiefeltes Bein treten solle, in der Hoffnung, er werde dann den Griff lockern, aber er wirkte so massiv, daß sie vermutete, es werde ihr lediglich einen kaputten Zeh einbringen und dann würde er sie wohl den Rest des Weges hinter sich herschleifen.

Leane schien gedankenverloren. Sie gestikulierte ein wenig mit ihrer freien Hand und bewegte lautlos die Lippen, als probe sie, was sie sagen wolle, doch immer wieder schüttelte sie den Kopf und begann erneut. Auch Siuans Blick war nach innen gerichtet, doch sie hatte ganz offen besorgt die Stirn gerunzelt und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Siuan zeigte doch sonst nicht solche Nervosität! Alles in allem half der Anblick der beiden Min gewiß nicht, mehr Mut zu gewinnen.

Der Schankraum von ›Der Guten Königin Recht‹ mit seinen mächtigen Deckenbalken tat ein übriges, ihr Herz weiter sinken zu lassen. Admer Nem, mit strähnigem Haar und einer gelblich angelaufenen Schwellung um das eine Auge, stand an der einen Seite, zusammen mit einem halben Dutzend genauso kräftiger Brüder und Cousins und ihren Frauen, alle mit dem besten Wams und die Frauen mit weißen Schürzen angetan. Die Bauern musterten die drei Gefangenen mit einer Mischung aus Zorn und Befriedigung, die Min den Magen umdrehte. Allerdings waren die Blicke der Bauersfrauen schlimmer als die der Männer: Purer Haß schlug ihnen da entgegen. An den übrigen Wänden des Schankraums standen die Dorfbewohner in Sechserreihen, alle zur Arbeit gekleidet, die sie unterbrochen hatten, um hier zu erscheinen. Der Schmied trug noch seinen Lederschurz und einige der Frauen hatten die Ärmel hochgekrempelt, und an ihren Armen klebte noch Mehl. Der Raum war erfüllt von ihrem Schwatzen. Die Alten redeten mindestens genausoviel wie die wenigen anwesenden Kinder, und aller Blicke waren genau wie die der Nems auf die drei Frauen gerichtet. Min hatte das Gefühl, sie seien in etwa die größte Sensation, die Korequellen jemals erlebt hatte. Einmal schon hatte sie eine Menschenmenge in diesem Erregungszustand erlebt. Das war bei einer Hinrichtung gewesen.

Man hatte alle Tische entfernt, bis auf einen, der vor dem großen, gemauerten Kamin stand. Hier saß ein breitgesichtiger, stämmiger Mann mit dicken grauen Strähnen im Haar und einem gutgeschnittenen Wams aus grüner Seide bekleidet und blickte sie, die Hände vor sich auf der Tischplatte gefaltet, an. Daneben stand eine schlanke Frau, etwa gleichen Alters in einem vornehmen grauen Wollkleid, dessen Halsausschnitt mit weißen Blumenstickereien eingefaßt war. Wohl der Herr dieser Gegend mit seiner Gattin, vermutete Min — Landadel, der meist nicht besser wußte, was in der Welt vor sich ging, als die Pächter und Kleinbauern.

Die Wächter führten sie vor den Tisch des Lords und traten dann in die Zuschauermenge zurück. Die grau gekleidete Frau trat vor und das Gemurmel erstarb.

»Alle hier Anwesenden, hört und leiht mir Euer Ohr«, verkündete die Frau, »denn heute wird Lord Gareth Bryne Gerechtigkeit walten lassen. Gefangene, Ihr wurdet gerufen, um das Urteil von Lord Bryne zu empfangen.« Also war sie zumindest nicht Lady Bryne, sondern vielleicht nur irgendeine Beamtin. Gareth Bryne? Soweit sich Min noch erinnerte, war er Generalhauptmann der Königlichen Garde in Caemlyn gewesen; falls dies derselbe Mann war. Sie blickte zu Siuan hinüber, doch die hatte den Blick auf die breiten Holzbohlen des Fußbodens gesenkt und blickte nicht auf. Wer er auch sei, dieser Bryne jedenfalls wirkte müde.

»Ihr werdet beschuldigt«, fuhr die Frau in Grau fort, »nachts unerlaubt fremdes Eigentum betreten zu haben, dazu der Brandstiftung, der Zerstörung eines Gebäudes und dessen, was es enthielt, der Tötung von wertvollem Viehbestand, des körperlichen Angriffs auf die Person von Admer Nem und des Diebstahls einer Börse, die Gold und Silbermünzen enthalten haben soll. Es wird angenommen, daß der Angriff und der Diebstahl das Werk Eures entflohenen Begleiters waren, aber unter dem Gesetz seid auch Ihr drei gleichermaßen verantwortlich und müßt dafür belangt werden.«