Sie legte eine Pause ein, damit auch alle ihre Worte begriffen, und Min tauschte einen bedauernden Blick mit Leane. Logain mußte auch unbedingt etwas stehlen, um das Durcheinander noch zu vergrößern! Er war wohl mittlerweile auf halbem Weg nach Murandy, wenn nicht noch weiter weg.
Einen Augenblick später begann die Frau von neuem: »Eure Ankläger befinden sich hier, um Euch gegenüberzutreten.« Sie deutete auch die Gruppe der Nems. »Admer Nem, Ihr werdet nun Eure Aussage machen.«
Der kräftige Mann schob sich vorwärts, einerseits aufgeblasen vor Wichtigtuerei, andererseits aber sichtlich nervös. Er zupfte an seinem Wams herum, dessen Holzknöpfe mit Mühe seinen Bauch zurückhielten, und dann fuhr er sich mit den Händen durch sein dünnes Haar, das ihm immer wieder ins Gesicht fiel. »Wie ich schon sagte, Lord Gareth, war es also so...«
Er berichtete einigermaßen klar und ohne Abschweifungen, wie er sie auf dem Heuboden entdeckt und zum Gehen aufgefordert hatte. Allerdings machte er Logain beinahe einen Fuß größer, als er tatsächlich war, und aus dem einzigen Schlag des Mannes machte er eine Rauferei, in der er — Nem — genausoviel ausgeteilt wie abbekommen habe. Die Laterne fiel um, das Heu brannte lichterloh, und der Rest der Familie stürzte aus dem Bauernhaus in die beginnende Dämmerung hinaus. Man packte die Gefangenen, und die Scheune brannte bis zum Grund ab. Dann entdeckte man den Verlust der Börse, die sich im Haus befunden hatte. Er streifte den Teil des Berichts lediglich ganz kurz, als der Dienstmann Lord Brynes vorbeigeritten war, während einige Familienmitglieder gerade Seile geholt und die Äste der umstehenden Bäume prüfend beäugt hatten.
Als er schließlich erneut bei der Rauferei landete und diesmal gar zu gewinnen schien, unterbrach ihn Bryne: »Das genügt schon, Meister Nem. Ihr könnt zurücktreten.«
Statt dessen trat jedoch eine der Nemfrauen — typisch rundes Gesicht und etwa gleichalt wie Nem, vermutlich seine Frau — zu ihm hin. Rund war ihr Gesicht wohl, doch es wirkte nicht weich: rund wie eine Bratpfanne oder ein Flußkiesel und rot vor Zorn. »Laßt nur diese Schlampen tüchtig auspeitschen, Lord Gareth, ja? Laßt sie tüchtig auspeitschen und dann rädern, bis sie nach Jornhill gerollt sind!«
»Niemand hat Euch zu sprechen aufgerufen, Maigan«, sagte die schlanke Frau in Grau in scharfem Ton. »Das hier ist eine Gerichtsverhandlung, und Petitionen sind hier nicht erwünscht! Admer und Ihr werdet jetzt zurücktreten. Sofort!« Sie gehorchten; Admer eine wenig eifriger als Maigan. Die graugekleidete Frau wandte sich nun Min und ihren Gefährtinnen zu. »Wenn Ihr wünscht, eine Aussage zu machen, ob zu Eurer Verteidigung oder um Strafmilderung zu erbitten, dann dürft Ihr jetzt sprechen.« In ihrer Stimme schwang keinerlei Sympathie mit, aber auch sonst kein Gefühl.
Min erwartete, daß sich Siuan nun äußern werde, denn sie übernahm ja auch sonst die Führung und sprach für die anderen, doch die rührte sich nicht und blickte nicht einmal auf. Statt dessen trat Leane zum Tisch hin und sah den Mann dahinter an.
Sie stand so gerade aufgerichtet da wie immer. Normalerweise bewegte sie sich durchaus graziös, wenn auch nicht weiter auffällig, doch nun war aus ihrem Schritt ein Dahingleiten geworden, mit einem leicht angedeuteten Hüftschwung dazu. Irgendwie wirkten ihre Hüften und ihr Busen auffälliger als sonst. Nicht, daß sie etwas übermäßig betonte; man wurde sich dessen lediglich etwas mehr bewußt als für gewöhnlich. »Mein Lord, wir sind drei hilflose Frauen, Flüchtlinge vor den Stürmen, die über die Welt fegen.« Ihr knapper, geschäftsmäßiger Tonfall war verschwunden. Nun klang ihre Stimme wie eine samtige Liebkosung. In ihren dunklen Augen leuchtete etwas wie eine unterschwellige Herausforderung. »Mittellos und verirrt suchten wir Unterschlupf in Meister Nems Scheune. Ich weiß, daß es nicht gut war, aber wir fürchteten die Nacht.« Eine kleine Geste nur — halb erhobene Hände, die Innenseiten ihrer Handgelenke Bryne zugewandt — ließ sie einen Moment lang völlig hilflos erscheinen. Allerdings nur einen Moment lang. »Der Mann Dalyn war an sich ein Fremder für uns, ein Mann, der uns seinen Schutz anbot. Heutzutage müssen alleinstehende Frauen einen Beschützer haben, mein Lord, doch ich fürchte, wir haben eine schlechte Wahl getroffen.« Ihre Augen weiteten sich. Ein hilfesuchender Blick sagte ihm, er sei ein weit besserer Beschützer für sie. »Er hat tatsächlich Meister Nem angegriffen, mein Lord. Wir wären ansonsten geflohen oder hätten zur Bezahlung unserer nächtlichen Unterkunft gearbeitet.« Sie ging um den Tisch herum und kniete graziös neben Brynes Stuhl nieder. Die Finger ihrer einen Hand ruhten auf seinem Unterarm, während sie zu ihm aufblickte. Ein leichtes Beben schlich sich in ihre Stimme ein, doch ihr angedeutetes Lächeln würde wohl den Herzschlag jedes Mannes beschleunigen. »Mein Lord, wir sind eines winzig kleinen Verbrechens schuldig, aber keineswegs all dessen, wessen wir beschuldigt werden. Wir unterwerfen uns Eurer Gnade. Ich bitte Euch, mein Lord, habt Mitleid mit uns und schützt uns.«
Einen langen Augenblick über sah ihr Bryne in die Augen. Dann räusperte er sich laut, schob seinen Stuhl nach hinten und ging auf der anderen Seite des Tisches herum nach vorn. Unruhe breitete sich unter den Dorfbewohnern und Bauern aus. Die Männer räusperten sich wie ihr Lord zuvor, und die Frauen schwatzten leise vor sich hin. Bryne blieb vor Min stehen. »Wie heißt Ihr, Mädchen?«
»Min, mein Lord.« Sie vernahm einen gedämpften Laut aus Siuans Richtung und fügte hastig hinzu: »Serenla Min. Jeder nennt mich nur Serenla, Lord.«
»Eure Mutter muß eine Vorahnung gehabt haben«, murmelte er lächelnd. Er war nicht der erste, der auf diesen Namen so reagierte. »Habt Ihr irgendeine Aussage zu machen, Serenla?«
»Nur, daß es mir sehr leid tut, Lord Gareth, und daß es wirklich nicht unsere Schuld war. Dalyn hat alles getan. Ich bitte um Gnade, Lord.« Das schien sehr schwach, verglichen mit Leanes Vorstellung, doch die war so gut gewesen, daß einfach alles daneben verblassen mußte. Ihr fiel nichts Besseres ein. Ihr Mund war ebenso trocken wie die Straße draußen. Was, wenn er sich entschloß, sie aufzuhängen?
Er nickte und trat vor Siuan hin, die immer noch den Fußboden betrachtete. So faßte er mit der Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an, damit er in ihre Augen sehen konnte. »Und wie heißt Ihr, Mädchen?«
Mit einem Ruck entzog Siuan ihr Kinn seinem Griff und trat einen Schritt zurück. »Mara, mein Lord«, flüsterte sie. »Mara Tomanes.«
Min stöhnte leise. Siuan hatte offensichtlich Angst, und doch starrte sie gleichzeitig den Mann trotzig an. Beinahe hätte sie erwartet, daß Siuan im nächsten Moment von Bryne verlangte, er solle sie auf der Stelle laufen lassen. Er fragte sie statt dessen, ob sie eine Aussage machen wolle, und sie lehnte es mit einem weiteren zittrigen Flüstern ab. Dabei sah sie ihn die ganze Zeit über an, als trage sie hier die Verantwortung. Ihre Zunge hatte sie unter Kontrolle, ihre Augen aber ganz gewiß nicht.
Nach einer Weile wandte sich Bryne ab. »Nehmt wieder Euren Platz bei Euren Freundinnen ein, Mädchen«, sagte er zu Leane, als er zu seinem Stuhl zurückkehrte. Sie schloß sich den beiden anderen mit offener Enttäuschung im Blick an. Auch ein wenig Gereiztheit schien Min in diesem Blick zu liegen.
»Ich habe meine Entscheidung getroffen«, sagte Bryne in den Raum hinein, ohne jemanden direkt anzusprechen. »Die Verbrechen sind ernst zu nehmen, und nichts von dem, was ich gehört habe, ändert etwas daran. Wenn sich drei Männer in das Haus eines anderen einschleichen, um seine Kerzenhalter zu stehlen, und einer davon greift auch noch den Eigentümer an, dann sind alle drei in gleichem Maße schuldig. Es muß eine Entschädigung geben. Meister Nem, ich werde Euch die Kosten ersetzen, damit Ihr eure Scheune wieder aufbauen könnt, und dazu noch den Preis von sechs Milchkühen.« Die Augen des kräftigen Bauern begannen zu strahlen, bis Bryne hinzufügte: »Caralin wird Euch auszahlen, sobald sie sich von den Kosten und Preisen überzeugt hat. Einige Eurer Kühe gaben keine Milch mehr, wie ich hörte.« Die schlanke Frau in Grau nickte befriedigt. »Für die Beule an Eurem Kopf gewähre ich Euch eine Silbermark. Beklagt Euch nicht«, sagte er streng, als Nem den Mund öffnete. »Maigan hat Euch schon schlimmere Beulen geschlagen, weil Ihr zuviel getrunken habt.« Gelächter machte sich unter den Zuschauern breit, und das wurde auch durch Nems teils schuldbewußtes, aber zorniges Funkeln nicht gedämpft. Ja, der Blick, den Maigan ihrem Mann zuwarf, sorgte womöglich noch für mehr Heiterkeit. »Ich werde auch den Betrag in der gestohlenen Börse ersetzen. Sobald Caralin unwiderruflich festgestellt hat, wieviel darin war.« Nem und seine Frau erschienen diesmal in gleichem Maße verärgert, aber sie hielten den Mund. Es war eindeutig, daß er ihnen soviel zuerkannt hatte, wie es ihm richtig erschien, und nichts mehr hinzufügen werde. In Min keimte wieder Hoffnung auf.