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»Vielleicht.« Alviarin nickte nachdenklich. »Aber wir haben Agenten in Schienar — Rote, da bin ich sicher, und vielleicht auch andere« — die vier Roten Schwestern nickten, wenn auch unwillig —, »die uns warnen können, falls diese kleinen Zusammenstöße zu etwas Besorgniserregendem eskalieren.«

Es war ein offenes Geheimnis, daß alle Ajah mit Ausnahme der Weißen, die sich ganz auf Fragen der Logik und Philosophie beschränkten, ihre Beobachter und Spione in allen Ländern verteilt hatten. Lediglich das Spionagenetz der Gelben galt als äußerst dürftig. Von denen, die nicht mit der Macht umzugehen wußten, konnten sie ja auch nichts in bezug auf das Heilen von Krankheiten und Verletzungen lernen. Einige Schwestern hatten auch ihre eigenen Augen-und-Ohren in anderen Ländern und hüteten dieses Geheimnis noch intensiver, als das bei den Ajah der Fall war. Die Blauen hatten das größte Agentennetz von allen, sowohl, was die offiziellen der Ajahs betraf, wie auch privat.

»Was Tenobia und Davram Bashere betrifft«, fuhr Alviarin fort, »sind wir uns wohl einig, daß wir Schwestern dorthin schicken müssen?« Sie wartete kaum auf das Kopfnicken der anderen. »Gut. Das wird erledigt. Memara ist am besten geeignet. Sie wird sich von Tenobia nicht auf der Nase herumtanzen lassen, aber nie offensichtlich die Führung übernehmen. Etwas anderes. Hat jemand Neuigkeiten aus Arad Doman oder Tarabon? Wenn wir nicht bald dort eingreifen, werden wir demnächst die Situation vorfinden, daß Pedron Niall mit seinen Weißmänteln von Bandar Eban bis zur Schattenküste die Oberhand gewinnt. Evanellein, habt Ihr etwas?« Arad Doman und Tarabon wurden von Bürgerkriegen und noch Schlimmerem zerrissen. Nirgendwo mehr Gesetz und Ordnung. Elaida war überrascht, daß sie dieses Thema anschnitten.

»Nur ein Gerücht«, erwiderte die Graue Schwester. Ihr Seidenkleid in der Farbe der Fransen an ihrer Stola war von feinem Schnitt und am Hals recht tief ausgeschnitten. Oft hatte Elaida sich schon gedacht, daß diese Frau eher zu den Grünen gehören sollte, bei ihrem Aussehen und ihrer Putzsucht. »Fast alle in diesen armen Ländern sind mittlerweile zu Flüchtlingen geworden, diejenigen eingeschlossen, die uns Nachrichten übermitteln sollten. Die Panarchin Amathera ist offensichtlich verschwunden, und wie es scheint, könnte eine Aes Sedai darin verwickelt sein... «

Elaidas Hand verkrampfte sich um ihre Stola. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber ihre Augen glühten. Die Sache mit dem Heer aus Saldaea war erledigt. Wenigstens war Memara eine Rote, und das überraschte sie. Doch sie hatten sie nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt. Nun, man hatte einfach entschieden. Die überraschende Möglichkeit, daß eine Aes Sedai am Verschwinden der Panarchin beteiligt gewesen sein könnte — falls das nicht wieder eines dieser unmöglichen Gerüchte war, die von der Westküste herüberkamen —, konnte Elaida nicht darüber hinwegbringen. Aes Sedai waren überall, vom Aryth-Meer bis zum Rückgrat der Welt, und wenigstens die Blauen mochten etwas unternehmen. Vor weniger als zwei Monaten hatten sie noch alle vor ihr gekniet und ihr als der Verkörperung der Weißen Burg Gehorsam geschworen, und nun trafen sie eine Entscheidung, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

Das Arbeitszimmer der Amyrlin lag nur wenige Stockwerke hoch im Hauptgebäude — dem Turm — der Weißen Burg, doch es war das Herz der Burg, genau wie diese selbst das Herz der großen Inselstadt Tar Valon darstellte, die zwischen den Armen des Erinin eingebettet lag. Und Tar Valon war — oder sollte es zumindest sein —das Herz der Welt. Der Raum erzählte von der Macht, die eine lange Reihe von Frauen von hier aus ausgeübt hatten. Der Fußboden bestand aus hochglänzendem Sandstein aus den Verschleierten Bergen, der hohe Kamin war aus goldenem Kandori-Marmor, die Wandtäfelung aus einem seltsam gemaserten Holz, in das man vor mehr als tausend Jahren wundervolle, fremdartige Vögel und andere Tiere geschnitzt hatte. Die hohen Bogenfenster waren mit einem Stein eingefaßt, der glitzerte wie tausend Perlen und den man einst in einer namenlosen Stadt gefunden hatte, die während der Zerstörung der Welt vom Meer der Stürme verschlungen worden war. Niemand kannte diese Art von Stein. Dahinter lag der Balkon, von dem aus man in den privaten Garten der Amyrlin blicken konnte. Der Raum strömte Macht aus — ein Abglanz der Amyrlins, die fast dreitausend Jahre lang Könige und Königinnen am Gängelband geführt hatten. Und sie wollten noch nicht einmal ihre Meinung hören.

Solchen Kränkungen war sie zu oft ausgesetzt. Und was am schlimmsten war: Das alles untergrub ihre Autorität, ohne daß sie auch nur einen Gedanken daran verschwendeten. Sie wußten, wie sie an die Stola gekommen war und daß sie das nur ihrer Hilfe zu verdanken hatte. Ihr war das selbst nur zu bewußt. Doch sie gingen einfach zu weit. Bald würde es an der Zeit sein, sie eines Besseren zu belehren. Noch aber war es zu früh.

Sie hatte dem Raum ihre eigene Persönlichkeit aufgeprägt, so gut das eben ging: ein Schreibtisch, in den als Ornament dreifach verbundene Ringe eingeschnitzt waren, und ein schwerer Stuhl, auf dessen hoher Lehne über Kopfhöhe eine mit Elfenbein eingelegte Flamme von Tar Valon wie eine große, weiße Träne prangten. Drei lackierte Holzkästchen aus Altara standen auf dem Tisch, säuberlich angeordnet, jedes im gleichen Abstand von den anderen; in einem befanden sich die feinsten Stücke aus ihrer Sammlung von geschnitzten Miniaturen. Eine weiße Vase auf einem einfachen Sockel an einer Wand war mit roten Rosen gefüllt, die den Raum mit ihrem süßen Duft erfüllten. Es hatte keinen Regen mehr gegeben, seit sie zur Amyrlin erhoben worden war, aber mit Hilfe der Macht konnte sie ständig für frische Blüten sorgen, und Blumen hatte sie immer schon geliebt. Man konnte sie so leicht beschneiden und aufpfropfen und dafür sorgen, daß sie Schönes hervorbrachten.

Zwei Gemälde hingen so, daß sie sie im Sitzen bequem sehen konnte. Die anderen vermieden es, sie anzusehen. Von allen Aes Sedai, die in Elaidas Arbeitszimmer kamen, warf höchstens Alviarin einmal einen Blick auf die Bilder.

»Gibt es irgend etwas Neues von Elayne?« fragte Andaya schüchtern. Die anwesende zweite Graue wirkte kaum wie eine Vermittlerin, so dünn und vogelähnlich, wie sie war, und so scheu, trotz ihrer Aes-Sedai-Gesichtszüge, aber sie war eine der besten, die man finden konnte. In ihrer Stimme war noch ein wenig von ihrer Abstammung aus Tarabon zu hören. »Oder von Galad? Wenn Morgase herausfindet, daß wir ihren Stiefsohn aus den Augen verloren haben, fängt sie möglicherweise an, unbequeme Fragen über den Aufenthaltsort ihrer Tochter zu stellen, ja? Und wenn sie erfährt, daß die Tochter-Erbin weg ist, wird uns Andor ebenso verschlossen sein wie Amadicia.«

Ein paar der Frauen schüttelten die Köpfe. Es gab nichts Neues. Javindhra sagte: »Im königlichen Palast befindet sich ja eine Rote Schwester. Sie ist erst kürzlich zur Schwester erhoben worden und sieht deshalb noch nicht so offensichtlich nach einer Aes Sedai aus.« Sie meinte damit, daß die Gesichtszüge der Frau noch nicht die typische Alterslosigkeit zeigten, die vom langen Gebrauch der Macht herrührte. Wenn jemand das Alter der Frauen in diesem Arbeitszimmer hätte schätzen wollen, er hätte sich wohl in einem Spielraum von mindestens zwanzig Jahren bewegt, und in manchem Fall hätte er sich vielleicht sogar um das Doppelte vertan. »Sie ist gut ausgebildet und ziemlich stark und außerdem eine gute Beobachterin. Morgase ist ganz damit beschäftigt, ihren Anspruch auf den Thron von Cairhien zu rechtfertigen.« Mehrere Frauen rutschten nervös auf ihrem Stühlen herum, und Javindhra fuhr schnell fort, als sei ihr klargeworden, daß sie sich auf gefährlichem Boden bewegte: »Und ansonsten scheint ihr neuer Liebhaber, Lord Gaebril, sie sehr zu beschäftigen.« Ihr schmaler Mund verzog sich etwas. »Sie ist total verschossen in diesen Mann.«