Sie bewegte sich rückwärts, wobei sie bei jedem zweiten Schritt einen Knicks machte, und plapperte etwas von der Ehre, ihm dienen zu dürfen, von ihrem sehnlichsten Wunsch, ihm zu dienen, alles mit einer Stimme am Rande der Hysterie, bis sie an die Türeinfassung stieß. Noch einmal beugte sie die Knie ein wenig, und dann huschte sie nach drinnen.
Er verzog das Gesicht und drehte sich wieder zur Brüstung um. Verängstigte Frauen. Doch hätte er sie lediglich gebeten, ihn allein zu lassen, dann hätte sie Ausreden gefunden und seinen Wunsch oder Befehl nur als vorübergehenden Rückschlag empfunden. Und selbst wenn er ihr befohlen hätte, ihm ganz aus den Augen zu gehen... Vielleicht würde es sich diesmal herumsprechen. Er mußte sich einfach etwas besser beherrschen. In letzter Zeit regte er sich viel zu schnell auf. Das lag an der Dürre, gegen die er nichts unternehmen konnte, und an den übrigen Problemen, die wie Unkraut aus dem Boden sprossen, wo immer er hinblickte. Wenigstens noch ein paar Augenblicke mit seiner Pfeife allein verbringen. Wer wollte schon ein Land regieren, wenn er eine viel einfachere Arbeit haben konnte, wie beispielsweise Wasser in einem Sieb den Berg hochzutragen?
Über den Garten hinweg, zwischen zwei der typischen Stufentürme des Königlichen Palastes hindurch, hatte er eine gute Aussicht auf die Stadt Cairhien. Tiefe Schatten und greller Sonnenschein kämpften dort um die Vorherrschaft. Die Stadt schien die Hügel eher mit Gewalt bezwungen zu haben, anstatt sie einfach zu überfluten. Über einem dieser Türme hing seine rote Flagge mit dem uralten Zeichen der Aes Sedai schlaff an ihrem Mast, und über dem anderen die lange Stoffbahn der Kopie des Drachenbanners. Dasselbe sah man an einem Dutzend Orten in der Stadt, einschließlich des höchsten der mächtigen, unvollendeten Türme, der sich geradeaus vor ihm befand. Da hatte er mit Brüllen genauso wenig erreicht wie mit Befehlen. Weder die Tairener noch die Einwohner Cairhiens hatten ihm letzten Endes geglaubt, er wolle wirklich nur eine davon hängen lassen, und den Aiel waren Flaggen so oder so gleichgültig.
Selbst jetzt, tief drinnen im Palast, hörte er noch die Geräusche einer Stadt, die zum Bersten überfüllt war. Flüchtlinge aus jedem Teil des Landes befanden sich hier, die sich mehr vor einer Rückkehr in die Heimat fürchteten als vor dem Wiedergeborenen Drachen in ihrer Mitte. Händler strömten herein und boten feil, was immer die Menschen sich leisten konnten, kauften, was immer sie sich nicht mehr leisten konnten. Lords und ihre bewaffneten Gefolgsleute kamen, um sich ihm oder irgendeinem Adligen Führer anzuschließen. Jäger des Horns kamen, die glaubten, es müsse in seiner Nähe zu finden sein; ein Dutzend Leute aus Vortor, vielleicht auch hundert, waren nur zu gern bereit, ihnen das Horn zu verkaufen. Steinmetzen der Ogier aus dem Stedding Tsofu kamen, um zu sehen, ob ein Bedarf für ihre legendären Fähigkeiten bestand. Abenteurer fanden sich ein, die möglicherweise noch vor Wochenfrist Banditen gewesen waren, um herauszufinden, was es hier zu ernten gebe. Sogar hundert oder mehr Weißmäntel waren aufgetaucht, aber sie galoppierten davon, sobald ihnen klar wurde, daß die Belagerung zu Ende war. Hatte das Zusammenziehen der Truppen der Weißmäntel durch Pedron Niall mit ihm zu tun? Egwene lieferte ihm andeutungsweise einiges an Informationen, doch wo immer sie sich auch befand, sie sah die Dinge vom Standpunkt der Weißen Burg aus. Dieser Standpunkt der Aes Sedai war aber gewiß nicht seiner.
Wenigstens begannen nun die Wagenzüge mit Getreide einigermaßen regelmäßig aus Tear einzutreffen. Hungrige Menschen könnten Aufruhr stiften. Er hätte sich ja gern damit zufriedengegeben, daß sie nun weniger Hunger litten, aber die Folgen reichten weiter. Es gab weniger Banditen. Und der Bürgerkrieg war nicht wieder neu ausgebrochen. Noch nicht. Weitere gute Neuigkeiten also. Und er mußte erst sicherstellen, daß es so blieb, bevor er die Stadt verlassen konnte. Hundert verschiedene Dinge mußten erledigt werden, und dann erst konnte er Sammael zur Strecke bringen. Von den Häuptlingen, die in Rhuidean mit ihm aufgebrochen waren und denen er wirklich vertrauen konnte, waren nur Rhuarc und Bael geblieben. Wenn er den vier später hinzugestoßenen Clans nicht soweit trauen konnte, sie nach Tear mitzunehmen, konnte er sie dann so einfach in Cairhien zurücklassen? Indirian und die anderen hatten ihn als Car'a'carn anerkannt, aber sie kannten ihn ebensowenig wie er sie. Die heute morgen eingetroffene Botschaft mochte zu einem Problem werden. Berelain, die Erste von Mayene, befand sich nur ein paar hundert Meilen südlich der Stadt und war auf dem Weg, sich ihm mit einem kleinen Heer anzuschließen. Er hatte keine Ahnung, wie sie das mitten durch Tear gebracht hatte. Seltsamerweise hatte sie in ihrem Brief gefragt, ob sich Perrin bei ihm befinde. Zweifelsohne fürchtete sie, Rand könne ihr kleines Land übersehen, wenn sie ihn nicht daran erinnerte. Es könnte ja fast ein Vergnügen sein, ihre Auseinandersetzungen mit den Mächtigen Cairhiens zu verfolgen. Sie war die letzte einer langen Ahnenreihe von Ersten, die es geschafft hatten, zu vermeiden, daß ihr kleines Land von Tear im Zuge des Spiels der Häuser geschluckt wurde. Wenn er sie vielleicht hier als Oberkommandierende einsetzte...? Wenn die Zeit kam, würde er Meilan und die anderen Tairener sowieso mitnehmen. Falls sie jemals kam.
Das war auch nicht besser als das, was drinnen auf ihn wartete. Er klopfte die Asche aus seiner Pfeife und trat die letzten Funken mit dem Stiefel aus. Überflüssig, auch noch ein Feuer im Garten zu riskieren. Der würde brennen wie eine Fackel. Die Dürre. Das unnatürliche Wetter. Ihm wurde bewußt, daß er innerlich knurrte wie ein wütender Wolf. Aber zuerst mußte er das tun, was er sicher bewältigen konnte. Es kostete ihn Mühe, wieder eine verbindliche Miene aufzusetzen, als er hineinschritt.
Asmodean, gekleidet wie ein Lord und mit einem wahren Wasserfall von Spitzen an seinem Kragen, saß auf einem Hocker in einer Ecke und zupfte eine beruhigende Melodie. Er lehnte an der dunklen, schmucklosen Wandtäfelung, als sei er völlig entspannt und habe lediglich nichts Besseres zu tun. Die anderen hatten sich auch gesetzt, sprangen aber bei Rands Eintreten auf. Nach einer herrischen Geste seinerseits sanken sie auf ihre Sitze zurück. Meilan, Torean und Aracome saßen auf reich geschnitzten und vergoldeten Sesseln an einem Ende des dunkelrot und golden gewebten Teppichs. Jeder hatte einen jungen tairenischen Lord hinter sich stehen und lieferten so das Spiegelbild der Seite Cairhiens ihnen gegenüber. Auch Dobraine und Maringil hatten jeder einen jungen Lord im Rücken, und alle hatten die vorderen Teile der Köpfe kahlgeschoren und gepudert wie Dobraine. Selande stand mit bleichem Gesicht neben Colavaeres Schulter und zitterte, als Rand sie anblickte.
So zwang er sein Gesicht zur Ausdruckslosigkeit und schritt über den Teppich zu seinem eigenen Sessel. Der allein war Grund genug, sich so zu beherrschen. Er war ein Geschenk von Colavaere und den beiden anderen und in einem Stil gehalten, den sie für tairenisch hielten. Und er mußte ja die Üppigkeit des tairenischen Stils mögen, denn er regierte Tear und hatte sie hierhergeschickt. Er stand auf geschnitzten Drachen. Sie glitzerten rot und golden, mit Emaille und reichlich Vergoldung und dazu großen Bernsteinbrocken, um ihre goldenen Augen darzustellen. Zwei weitere bildeten die Armlehnen und noch andere stützen die Rückenlehne. Unzählige Handwerker mußten seit seiner Ankunft Tag und Nacht gearbeitet haben, um das Ding anzufertigen. Er fühlte sich wie ein Narr, wenn er darauf saß. Asmodeans Musik hatte sich verändert, jetzt klang sie grandios wie ein Triumphmarsch.