»Oh, Blut und blutige Asche!« stöhnte Mat.
»Das ist doch Wahnsinn.« Egwene zuckte zusammen, als ihr bewußt wurde, was sie gesagt hatte, aber sie beherrschte sich und sprach mit fester, ruhiger Stimme: »Du hast noch alle Hände voll mit Cairhien zu tun, ganz zu schweigen von den Shaido im Norden und was immer du auch in Tear vorhast. Willst du noch einen Krieg beginnen, obwohl du bereits zwei am Hals hast und obendrein noch ein zerstörtes Land?«
»Keinen Krieg. Nur ich. Ich kann in einer Stunde in Caemlyn sein. Ein Überfall — richtig, Mat? — ein Überfall, aber kein Krieg. Ich werde Rahvin das Herz aus dem Leib reißen.« Jedes Wort klang wie ein Hammerschlag. Er hatte das Gefühl, Säure statt Blut in den Adern zu haben. »Ich wünschte fast, ich hätte Elaidas dreizehn Schwestern dabei und könnte ihn mit ihrer Hilfe lahmen und vor Gericht bringen. Wegen Mordes verurteilen und hängen. Das wäre Gerechtigkeit. Aber so muß er eben sterben, gleich, auf welche Art ich das fertigbringe.«
»Morgen«, sagte Moiraine leise.
Rand funkelte sie an. Doch sie hatte ja recht. Morgen war besser. Eine Nacht, damit sein Zorn abkühlte. Er mußte kaltblütig sein, wenn er Rahvin gegenüberstand. Im Augenblick hätte er am liebsten nach Saidin gegriffen und wild um sich geschlagen, zerstört. Asmodeans Musik hatte sich wieder verändert. Er spielte ein Lied, das die Straßenmusikanten in der Stadt während des Bürgerkriegs gespielt hatten. Manchmal konnte man es auch jetzt noch hören, wenn gerade ein Adliger aus Cairhien vorbeikam. ›Der Narr, der glaubte, König zu sein.‹ »Raus, Natael! Raus!«
Asmodean erhob sich geschmeidig, verneigte sich, doch sein Gesicht war schneeweiß, und er ging so schnell durch den Raum, als fürchte er, was die nächsten Sekunden bringen mochten. Er stichelte ja immer, aber möglicherweise war er diesmal zu weit gegangen. Als er die Tür öffnete, sagte Rand: »Ich will Euch heute abend noch sehen. Lebend oder tot.«
Diesmal wirkte Asmodeans Verbeugung nicht ganz so elegant. »Wie mein Lord Drache befiehlt«, sagte er heiser und schloß die Tür hastig von draußen.
Die drei Frauen blickten Rand ausdruckslos und ohne Wimpernzucken an.
»Ihr anderen geht jetzt auch.« Mat sprang beinahe in Richtung Tür. »Du nicht. Mit dir habe ich noch einiges zu besprechen.«
Mat blieb abrupt stehen, seufzte laut und spielte mit seinem Medaillon herum. Er war der einzige, der sich gerührt hatte.
»Du hast keine dreizehn Aes Sedai«, sagte Aviendha, »aber zwei hast du wenigstens. Und dann noch mich. Ich weiß vielleicht nicht soviel wie Moiraine Sedai, aber ich bin genauso stark wie Egwene, und dieser Tanz ist mir keineswegs fremd.« Sie meinte natürlich den Tanz der Speere, wie die Aiel einen Kampf bezeichneten.
»Rahvin gehört mir«, sagte er ganz ruhig zu ihr. Vielleicht konnte ihm Elayne wenigstens ein bißchen verzeihen, wenn er ihre Mutter rächte. Wahrscheinlich nicht, aber dann konnte er sich möglicherweise selbst verzeihen. Ein wenig. Er zwang seine Hände zur Ruhe, wollte keine Fäuste ballen.
»Wirst du am Boden einen Strich ziehen, den er überschreiten muß?« fragte Egwene. »Oder ihn herausfordern, damit er dich angreift? Hast du schon daran gedacht daß Rahvin vielleicht nicht allein ist, wenn er sich jetzt schon König von Andor nennt? Dein Erscheinen wird sicher sehr wirkungsvoll sein, wenn einer seiner Leibwächter dir einen Pfeil durchs Herz schießt.«
Er erinnerte sich daran, wie er sich sehnlichst gewünscht hatte, sie möge ihn nicht immer anschreien, doch damals war eben alles um vieles einfacher gewesen. »Hast du geglaubt, ich wolle allein hingehen?« Das hatte er vorgehabt. Er hatte überhaupt noch nicht daran gedacht, jemanden mitzunehmen, der seinen Rücken deckte. Jetzt erst machte sich ein kleines Flüstern in seinem Kopf bemerkbar: Er kommt am liebsten von hinten oder von der Flanke her. Er konnte kaum noch klar denken. Sein Zorn schien ein Eigenleben entwickelt zu haben und ständig das Feuer zu schüren, das ihn am Kochen hielt. »Aber euch nicht. Das ist ein gefährliches Unternehmen. Moiraine kann mitkommen, wenn sie möchte.«
Egwene und Aviendha mußten sich gar nicht erst anblicken, um gemeinsam vorzutreten, bis sie so nahe vor ihm standen, daß sogar Aviendha den Kopf in den Nacken legen mußte, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.
»Moiraine kann mitkommen, wenn sie möchte«, wiederholte Egwene.
Wenn ihre Stimme dabei wie hartes, glattes Eis klang, war die Aviendhas hitzig wie schmelzendes Gestein: »Aber für uns ist es zu gefährlich.«
»Hast du dich plötzlich in meinen Vater verwandelt? Heißt du jetzt Bran al'Vere?«
»Wenn du drei Speere hast, legst du dann zwei zur Seite, nur, weil sie erst später angefertigt wurden als der dritte?«
»Ich will euer Leben nicht riskieren«, sagte er verlegen.
Egwene hob die Augenbrauen. »Ach?« Das war alles.
»Ich bin keine deiner Gai'schain.« Aviendha fletschte die Zähne. »Du wirst niemals bestimmen, welche Risiken ich auf mich nehme, Rand al'Thor. Niemals. Merk dir das von nun an.«
Er könnte... Was? Sie in Saidin wickeln und hier festsetzen? Er war immer noch nicht in der Lage, sie abzuschirmen. Also könnten sie ihn umgekehrt ebenso einwickeln. Ein schönes Durcheinander, und das nur, weil die beiden so stur waren.
»Ihr habt vielleicht an Leibwächter gedacht«, warf Moiraine ein, »aber wie steht es, wenn sich Semirhage oder Graendal bei Rahvin befinden? Oder Lanfear? Die beiden hier könnten mit einer von ihnen fertigwerden, aber könntet Ihr Rahvin und die andere allein besiegen?«
Da hatte noch ein Unterton in ihrer Stimme gelegen, als sie Lanfears Namen aussprach. Fürchtete sie, falls sich Lanfear dort befand, daß er sich schließlich doch der Verlorenen anschließen werde? Was würde er unternehmen, falls er sie wirklich dort antraf? Was konnte er überhaupt ausrichten? »Sie können mitkommen«, gab er nach und knirschte dabei fast mit den Zähnen. »Werdet Ihr jetzt gehen?«
»Wie Ihr befehlt«, sagte Moiraine, doch sie hatten es nicht besonders eilig damit. Aviendha und Egwene rückten mit übertriebener Sorgfalt ihre Schals zurecht bevor sie zur Tür gingen. Lords und Ladies sprangen, wenn er etwas wünschte, aber sie würden das niemals tun.
»Ihr habt nicht versucht, es mir auszureden«, sagte er plötzlich.
Er hatte die Worte an Moiraine gerichtet, doch Egwene antwortete zuerst. Allerdings sprach sie zu Aviendha und lächelte sie dabei an. »Einen Mann von etwas abbringen zu wollen, was er unbedingt vorhat, ist so, als nehme man einem Kind sein Bonbon weg. Manchmal ist es notwendig, aber gelegentlich ist es auch nicht der Mühe wert.« Aviendha nickte.
»Das Rad webt, wie das Rad es wünscht«, bekam er von Moiraine zur Antwort. Sie stand in der Tür und wirkte noch mehr wie eine Aes Sedai, als er sie jemals erlebt hatte: alterslos, die dunklen Augen bereit, ihn zu verschlingen, zierlich und schlank und doch so würdevoll, daß ihr selbst dann ein ganzer Saal voll Königinnen gehorchen würde, wenn sie keinen Funken der Macht beherrschte. Wieder brach sich der Lichtschein in dem blauen Edelstein auf ihrer Stirn. »Ihr werdet Erfolg haben, Rand.«
Er sah die Tür noch an, lange, nachdem sie sich hinter ihnen geschlossen hatte. Das Schaben von Stiefelsohlen erinnerte ihn an Mats Gegenwart. Mat bemühte sich, sich ganz heimlich in Richtung der Tür zu schieben, so langsam, daß er die Bewegung kaum wahrgenommen hatte.
»Ich muß mit dir sprechen, Mat.«
Mat verzog das Gesicht. Er berührte seinen Fuchskopf wie einen Talisman und fuhr zu Rand herum. ››Wenn du glaubst, ich opfere meinen Kopf, nur weil diese närrischen Frauen das vorhaben, kannst du es vergessen. Ich bin kein verdammter Held, und ich will gar keiner sein. Morgase war eine hübsche Frau, und sie hat mir sogar gefallen, soweit man das von einer Königin sagen kann, aber Rahvin ist Rahvin, verflucht noch mal, und ich...«