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Sie schnaubte vernehmlich und wandte sich wieder den Bändern an ihrer Bluse zu. »Ladies! Eine Frau ist eine Frau, Rand al'Thor. Außer, sie wäre eine Weise Frau«, fügte sie noch einschränkend hinzu. »Diese hier wird heute morgen Schwierigkeiten mit dem Sitzen haben, doch ihre Schwellungen kann sie gut verbergen, und wenn sie sich einen Tag lang ausruht, wird sie ihre Gemächer auch wieder verlassen können. Und sie weiß jetzt, wie sie dran ist. Ich sagte ihr, wenn sie dir noch einmal Unannehmlichkeiten bereite — gleich welche —, würde ich kommen und erneut mit ihr sprechen. Ein viel längeres Gespräch. Sie wird tun, was du sagst und wann immer du willst. Andere werden ihrem Beispiel folgen. Die Baummörder verstehen nichts anderes.«

Rand seufzte. Das war keine Methode, wie er sie vorgezogen hätte, aber sie könnte wirklich funktionieren. Oder aber Colavaere und die anderen würden von nun an noch heimlicher und hinterhältiger intrigieren. Aviendha machte sich vielleicht keine Sorgen in bezug auf Rachemaßnahmen ihr selbst gegenüber; er wäre überrascht gewesen, hätte sie diese Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen. Doch eine Frau, die den Hochsitz eines mächtigen Adelshauses repräsentierte, war nicht das gleiche wie eine junge Adlige von niederem Rang. Wie sich ihre Handlungsweise auch auf ihn auswirken mochte: Aviendha könnte sehr wohl erleben, daß sie in einem düsteren Flur überfallen würde und man ihr zehnfach heimzahlte, was sie Colavaere getan hatte, wenn nicht noch Schlimmeres. »Laß mich das nächstemal die Dinge auf meine Art erledigen. Ich bin der Car'a'carn, hast du das vergessen?«

»Du hast Rasierschaum auf dem Ohr, Rand al'Thor.«

Er knurrte in sich hinein, schnappte sich das gestreifte Handtuch und schrie: »Herein!«, da es an die Tür geklopft hatte.

Asmodean trat ein, weiße Spitzen am Hals und an den Manschetten seines schwarzen Rocks, den Harfenkoffer auf dem Rücken und ein Schwert an der Seite. Der Kühle seines Gesichtsausdrucks nach mochte Winter herrschen, doch seine dunklen Augen blickten mißtrauisch drein.

»Was wollt Ihr, Natael?« fragte Rand gereizt. »Ich habe Euch gestern abend Eure Anweisungen gegeben.«

Asmodean befeuchtete seine Lippen und warf Aviendha einen kurzen Blick zu. Sie hatte die Stirn gerunzelt. »Weise Befehle, ja. Ich glaube auch, ich könnte etwas zu Eurem Vorteil in Erfahrung bringen, wenn ich hierbliebe, um alles zu beobachten, aber heute morgen dreht sich das Tagesgespräch um die Schreie, die man letzte Nacht aus den Gemächern Lady Colavaeres hörte. Man sagt, sie habe Euch erzürnt, aber niemand weiß, wie und warum. Diese Unsicherheit bringt alle dazu, heute einen Bogen um Euch zu machen. Ich glaube fast, in den nächsten Tagen wird es keiner mehr wagen, auch nur laut zu atmen, aus Angst, was Ihr davon halten könntet.« Aviendhas Miene war ein Urbild unverschämter Selbstzufriedenheit.

»Also wollt Ihr mitkommen?« fragte Rand leise. »Ihr wollt hinter mir stehen, wenn ich Rahvin gegenübertrete?«

»Welcher Ort wäre besser für den Barden des Lord Drachen geeignet? Aber vielleicht sollte ich mich da aufhalten, wo Ihr mich immer im Auge habt? Wo ich meine Loyalität unter Beweis stellen kann. Ich bin nicht stark.« Asmodeans traurige Grimasse schien natürlich für einen Mann, der so etwas zugab, doch einen Moment lang fühlte Rand, wie der Mann von Saidin durchströmt wurde, fühlte den Makel, und der war es, der Asmodean sein Gesicht so hatte verziehen lassen. Es war nur ein Augenblick gewesen, doch der reichte ihm, um es zu beurteilen. Sollte Asmodean alle Macht an sich gezogen haben, die er in seinem Zustand beherrschen konnte, würde er nur unter größten Schwierigkeiten einer der Weisen Frauen widerstehen können, die mit der Macht umgehen konnten. »Nicht stark, aber vielleicht kann auch eine Kleinigkeit helfen.«

Rand wünschte, er könne die Abschirmung sehen, die Lanfear gewoben hatte. Sie hatte behauptet, sie werde sich mit der Zeit auflösen, aber Asmodean schien jetzt keineswegs besser in der Lage, die Macht zu lenken, als am ersten Tag, den er sich in Rands Hand befunden hatte. Vielleicht hatte sie gelogen, um Asmodean trügerische Hoffnung zu bereiten, und um Rand glauben zu lassen, der Mann werde stark genug und könne ihn mehr lehren, als er tatsächlich konnte. Das würde ihr ähnlich sehen. Er wußte nicht genau, ob dieser Gedanke von ihm oder von Lews Therin stammte, doch er war sich sicher, daß es stimmte.

Die lange Pause machte Asmodean so nervös, daß er sich wieder die Lippen lecken mußte. »Ein oder zwei Tage hier spielen keine Rolle. Dann seid Ihr sowieso entweder zurück oder tot. Laßt mich meine Loyalität beweisen. Vielleicht kann ich etwas tun. Ein Hauch mehr Gewicht auf Eurer Seite könnte den Ausschlag für Euch geben.« Noch einmal floß Saidin in ihn, wenn auch wieder nur einen Moment lang. Rand spürte, wie er sich anstrengte, doch es blieb bei einem dünnen Rinnsal. »Ihr wißt ja, welche Wahl ich habe. Ich hänge an jenem Grasbüschel am Rande des Abgrunds und bete darum, daß es noch einen Herzschlag länger halten möge. Scheitert Ihr, bin ich schlimmer dran als nur einfach tot. Ich muß dafür sorgen, daß Ihr gewinnt und überlebt.« Plötzlich fiel ihm Aviendha wieder auf, und ihm schien bewußt zu werden, daß er möglicherweise zuviel gesagt hatte. Sein Lachen klang ziemlich hohl. »Wie könnte ich sonst Lieder zum Ruhm des Lord Drachen komponieren? Ein Barde braucht Material, das er verarbeiten kann.« Äußerlich machte sich die Hitze bei Asmodean nie bemerkbar. Er behauptete, das liege an seiner geistigen Einstellung und nicht am Gebrauch der Macht. Jetzt rannen ihm jedoch Schweißtropfen über die Stirn.

Unter seinen Augen oder lieber zurücklassen? Vielleicht würde er sich irgendein Versteck suchen, wenn er sich zu fragen begann, was in Caemlyn geschehen sei? Asmodean würde immer derselbe Mann bleiben, bis er starb und wiedergeboren wurde, und vielleicht sogar noch danach. »Unter meinen Augen«, sagte Rand leise. »Und falls ich auch nur vermute, jener Hauch könne die Wagschale zur falschen Seite hin neigen... «

»Ich setze mein ganzes Vertrauen in die Gnade des Lord Drachen«, murmelte Asmodean, wobei er sich verbeugte. »Mit Erlaubnis des Lord Drachen werde ich draußen warten.«

Rand sah sich im Zimmer um, während der Mann rückwärts und unter weiteren Verbeugungen hinausging. Sein Schwert lag auf der goldbeschlagenen Truhe am Fuß des Bettes. Der Schwertgürtel mit der Drachenschnalle war gleichzeitig um die Scheide und den Seanchan-Kurzspeer gewickelt. Heute würde nicht durch Stahl getötet werden, jedenfalls nicht, was ihn betraf. Er berührte seine Manteltasche und spürte den harten Umriß der Skulptur des fetten, kleinen Mannes mit dem Schwert. Das war das einzige Schwert, das er heute benötigen würde. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er ein Tor nach Tear Öffnen und benutzen sollte, um Callandor zu holen, oder ob er vielleicht sogar nach Khuidean gehen sollte um das mitzunehmen, was dort verborgen lag. Mit beidem könnte er Rahvin vernichten, bevor der Mann überhaupt etwas von seiner Anwesenheit ahnte. Er konnte sogar Caemlyn mit jedem der zwei Dinge zerstören. Doch konnte er sich selbst vertrauen? Soviel Macht. Soviel der Einen Macht. Saidin hing dort draußen, gerade außerhalb seiner Sicht. Das Verderben Saidins schien bereits ein Teil seiner selbst zu sein. Der Zorn wütete direkt unter der Oberfläche, Zorn auf Rahvin, Zorn auf sich selbst. Falls er ihm freien Lauf ließ und auch nur Callandor in Händen hielt... Was würde er tun? Er wäre unbesiegbar. Mit Hilfe des anderen könnte er sogar direkt zum Shayol Ghul gehen und allem ein Ende bereiten, so oder so. So oder so. Nein. Er befand sich ja nicht allein in dieser Lage. Er konnte sich nichts anderes als einen Sieg leisten.

»Die Welt ruht auf meinen Schultern«, murmelte er. Plötzlich jaulte er kurz und klatschte mit der Hand auf seine linke Pobacke. Er hatte das Gefühl, von einer Nadel gestochen worden zu sein, aber er mußte nicht einmal die Gänsehaut an seinen Armen sehen, um zu wissen, was geschehen war. »Wofür war das?« grollte er Aviendha an.