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»Was kann eine Stunde schon ausmachen?« murrte Mat. Vielleicht überlegte er es sich doch noch?

»Es wäre nicht schlecht, wenn man Euch heute morgen in der Stadt sieht«, warf Asmodean ein. »Es könnte sein, daß Rahvin Bescheid weiß, sobald Ihr etwas unternehmt. Falls er einen Verdacht hegt — er könnte ja Spione haben, die an Schlüssellöchern lauschen —, würde sie das für heute beruhigen.«

Rand sah Aviendha an. »Bist du der gleichen Meinung?«

»Ich bin der Meinung, du solltest auf Moiraine Sedai hören. Nur Narren mißachten das Wort einer Aes Sedai.«

»Was kann denn im Hafen sein, das wichtiger als Rahvin wäre?« grollte er und schüttelte den Kopf. Es gab eine Redensart an den Zwei Flüssen, die allerdings kein Mann in Gegenwart von Frauen gebrauchen würde: ›Der Schöpfer schuf die Frau, um dem Auge zu gefallen und den Verstand zu trüben.‹ In gewisser Hinsicht unterschieden sich die Aes Sedai auch nicht von anderen Frauen. »Eine Stunde.«

Die Sonne stand noch nicht hoch genug am Himmel, und so lag der lange Schatten der Stadtmauer über dem gepflasterten Kai, auf dem die Kolonne von Kaderes Wagen stand. Trotzdem wischte er sich bereits mit einem großen Taschentuch das Gesicht ab. Es lag nur teilweise an der Hitze, daß er so schwitzte. Hohe graue Flankenmauern schoben sich zu beiden Seiten der Hafenanlagen in den Fluß hinaus und machten den Kai zum Inneren einer düsteren Schachtel. Er war mittendrin gefangen. Hier hatten ausschließlich breite, am Bug abgerundete Getreidekähne angelegt, und weitere warteten am Fluß vor Anker darauf, daß sie an die Reihe kämen und ihre Ladung löschen konnten. Er hatte schon überlegt, ob er sich auf einen davon schleichen solle, wenn er ablegte, aber das hätte bedeutet, das meiste von dem zurückzulassen, was er noch besaß. Wenn er allerdings glaubte, am Ende der langsamen Fahrt flußabwärts erwarte ihn etwas anderes als sein Tod, wäre er das Risiko eingegangen. Lanfear war ihm nicht wieder im Traum erschienen, aber er hatte ja die Brandnarben auf der Brust, die ihn an ihre Befehle erinnerten. Nur der bloße Gedanke daran, einer der Verlorenen den Gehorsam zu verweigern, ließ ihn schaudern, obwohl ihm der Schweiß über das Gesicht lief.

Wenn er nur wüßte, wem er vertrauen konnte, soweit es überhaupt möglich war, einem der anderen Schattenfreunde zu vertrauen. Der letzte seiner Fahrer, der ebenfalls die Eide abgelegt hatte, war vor zwei Tagen verschwunden, vermutlich mit einem der Getreidekähne. Er wußte immer noch nicht, welche Aielfrau ihm diesen Zettel unter der Tür durchgeschoben hatte: ›Ihr seid nicht allein unter Fremden. Ein Weg wurde auserwählt.‹ Er hatte allerdings mehrere mögliche Kandidaten. Auf den Kais traf man beinahe genausoviele Aiel wie Schauerleute. Sie kamen, um den Fluß zu betrachten. Ein paar dieser Gesichter hatte er häufiger erblickt, als ihm unter den Umständen normal erschien, und ein paar hatten ihn abschätzend gemustert. Auch ein paar der Leute aus Cairhien und sogar ein tairenischer Lord. Das hatte natürlich nicht unbedingt etwas zu bedeuten, aber falls er ein paar Männer auftrieb, mit denen er zusammenarbeiten konnte...

Eine Gruppe Berittener tauchte unter einem der Tore auf. Moiraine und Rand al'Thor führten sie zusammen mit dem Behüter der Aes Sedai an, als sie sich den Weg zwischen den Karren hindurch suchten, mit denen man die Getreidesäcke in die Lagerhäuser schaffte. Eine Welle des Jubels begleitete sie.

»Aller Ruhm dem Lord Drachen!« schrien sie, und »Heil dem Lord Drachen!«, und hin und wieder hörte man auch ein »Ehre dem Lord Matrim! Hoch lebe die Rote Hand!«

Ausnahmsweise wandte sich diesmal die Aes Sedai dem Ende der Wagenreihe zu, ohne Kadere auch nur eines Blickes zu würdigen. Das war ihm gerade recht. Selbst wenn sie keine Aes Sedai gewesen wäre, selbst wenn sie ihn nicht so durchdringend anblickte, als kenne sie jede dunkle Regung seines Verstands, war es ihm lieber, wenn er einige der Gegenstände nicht näher betrachten mußte, mit denen sie seine Wagen beladen hatte. Gestern abend hatte sie ihn die Plane von diesem seltsam verdrehten Sandstein-Türrahmen entfernen lassen, der im Wagen gleich hinter seinem eigenen stand. Sie schien ein perverses Vergnügen dabei zu empfinden, wenn sie gerade ihn beauftragte, ihr zu helfen, damit sie irgend etwas genauer untersuchen konnte. Er hätte das Ding ja wieder zugedeckt, konnte aber einfach nicht ertragen, noch mal in seine Nähe zu kommen. Er brachte auch keinen der Fahrer dazu, die Plane wieder darüberzuziehen. Keiner von denen, die sich nun bei ihm befanden, hatte gesehen, wie Herid in Rhuidean zur Hälfte hineingefallen war und wie diese Körperhälfte einfach verschwand. Herid war auch der erste gewesen, der geflohen war, sobald sie den Jangai überquert hatten. Seit der Behüter ihn zurückgerissen hatte, war er nicht mehr ganz richtig im Kopf gewesen. Jedenfalls sahen eben auch die Fahrer, wie die Kanten dieses verfluchten Dinges nicht aneinanderpaßten und daß man der Linie des Rahmens nicht mit dem Blick folgen konnte, ohne daß einem die Augen tränten und man schwindlig wurde.

Kadere ignorierte die ersten drei Reiter, so, wie ihn die Aes Sedai ignoriert hatte, und Mat Cauthon schenkte er fast ebensowenig Beachtung. Der Mann trug seinen Hut. Er hatte keinen Ersatz dafür auftreiben können. Das Aielweib, diese Aviendha, ritt hinter dem Sattel der jungen Aes Sedai mit. Beide hatten die Röcke hochgeschoben, um ihre Beine vorzuführen. Hätte er noch eine Bestätigung gebraucht, daß die Aielfrau mit al'Thor ins Bett ging, dann mußte er nur darauf achten, wie sie ihn anblickte. Eine Frau, die mit einem Mann ins Bett gegangen war, sah ihn danach immer mit einem gewissen Besitzerstolz im Blick an. Noch wichtiger: Natael befand sich bei ihnen. Es war das erste Mal seit der Überquerung des Rückgrats der Welt, daß Kadere ihm so nahe war. Natael, der einen hohen Rang bei den Schattenfreunden bekleidete. Wenn er an den Töchtern des Speers vorbeikommen könnte, um mit Natael zu...

Plötzlich riß Kadere die Augen auf. Wo blieben denn die Töchter? Al'Thor hatte doch immer eine Eskorte von speerbewaffneten Frauen dabei. Mit gerunzelter Stirn nahm er zur Kenntnis, daß sich unter den Aiel auf dem Kai oder im Hafen keine einzige Tochter des Speers befand.

»Willst du eine alte Freundin nicht anschauen, Hadnan?«

Der Klang dieser melodiösen Stimme ließ Kadere herumfahren. Er gaffte eine Hakennase an und dunkle Augen, die beinahe unter Fettwülsten verschwanden. »Keille?« Das war unmöglich. Keiner außer den Aiel überlebte allein in der Wüste. Sie mußte doch tot sein. Aber da stand sie vor ihm. Wie immer spannte sich das weiße Seidenkleid um ihren massigen Körper, und in ihren dunklen Locken steckten hohe Elfenbeinkämme.

Mit einem leichten Lächeln um die Lippen und einer Grazie der Bewegung, die ihn an einer so grobschlächtigen Frau immer wieder überraschte, wandte sie sich um und schritt leichtfüßig die Treppe zu seinem Wohnwagen hinauf.

Er zögerte einen Augenblick und eilte ihr dann hinterher. Es wäre ihm wohl genauso lieb gewesen, wäre Keille Shaogi wirklich in der Wüste ums Leben gekommen, denn die Frau war herrschsüchtig und übelgelaunt — sie sollte ja nicht glauben, er werde ihr auch nur einen Pfennig von dem wenigen abgeben, was er herübergerettet hatte —, aber sie war vom gleichen hohen Rang wie Jasin Natael. Vielleicht würde sie ihm ein paar Fragen beantworten? Zumindest hätte er jemanden, mit dem er zusammenarbeiten konnte. Schlimmstenfalls konnte er ihr die Schuld an seinen Fehlschlägen in die Schuhe schieben. Wenn man hoch im Rang stand, bekam man auch viel Macht, aber man mußte für die Fehler der eigenen Untergebenen nicht selten den Kopf hinhalten. Mehr als einmal hatte er einen Vorgesetzten seinen Ranghöheren zum Fraß vorgeworfen, um die eigenen Fehler zu vertuschen.

Er schieß die Tür vorsichtigerweise, wandte sich um, und hätte am liebsten geschrien, wenn ihm die Angst nicht die Kehle zugeschnürt hätte.

Die Frau, die dort stand, trug durchaus ein weißes Seidenkleid, doch sie war gewiß nicht fett. Es war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Ihre Augen waren wie dunkle, unergründliche Bergseen, um ihre schlanke Taille lag ein Gürtel aus verwobenen Silberfäden, und in ihrem schwarzglänzenden Haar glitzerten silberne Halbmonde. Kadere erkannte dieses Gesicht aus seinen Träumen.