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Nynaeve bereitete es keine Mühe, sich die schlechte Laune zu erhalten, damit sie einen Strang von Geist durch die im Bernstein schlafende Frau in ihrer Tasche leiten konnte. Heute morgen konnte nicht einmal das Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, sie in ihrem Zorn berühren. Siuan stand vor ihr auf einer Straße im Salidar Tel'aran'rhiods, einer bis auf sie menschenleeren Straße, über der nur ein paar Fliegen zu sehen waren und ein Fuchs, der aufblickte und sie neugierig ansah, bevor er weitertrabte.

»Ihr müßt Euch konzentrieren«, fuhr Nynaeve die andere an. »Ihr habt beim erstenmal Eure Umgebung besser kontrolliert als jetzt. Konzentriert Euch gefälligst!«

»Ich konzentriere mich ja, Ihr närrisches Weib!« Siuans einfaches blaues Wollkleid bestand plötzlich aus Seide. Um ihren Hals hing die Stola mit den sieben Streifen, das Zeichen der Amyrlin, und an ihrem Finger biß eine goldene Schlange in ihren eigenen Schwanz. Sie blickte Nynaeve finster an und war sich der Veränderung wohl gar nicht bewußt, obwohl sie dasselbe Kleid heute schon fünfmal getragen hatte. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann liegt das an diesem schrecklichen Gebräu, das Ihr mir eingeflößt habt. Pfaaah! Ich habe den Geschmack immer noch auf der Zunge. Wie Flundergalle!« Stola und Ring verschwanden und der Stehkragen des Seidenkleids machte einem Ausschnitt Platz, der tief genug war, um den verdrehten Steinring sichtbar werden zu lassen, der an einem dünnen Goldkettchen zwischen ihren Brüsten baumelte.

»Hättet Ihr nicht darauf bestanden, daß ich Euch unterrichte, obwohl Ihr Hilfe zum Einschlafen brauchtet, dann wäre das nicht notwendig gewesen.« Also hatte sie ein wenig Schafszungenwurzel und ein paar andere Zutaten beigemischt, die nicht unbedingt nötig gewesen waren. Diese Frau hatte es wahrlich verdient, sich von solchem Gebräu den Geschmack verderben zu lassen.

»Ihr könnt mich ja kaum zur selben Zeit unterrichten, da Ihr Sheriam und die anderen unterweist.« Die Seide verblaßte, das Kleid war wieder hochgeschlossen, mit einem weißen Spitzenbesatz am Kragen, und eine mit Perlen bestickte Kappe umschloß Siuans Haar. »Oder wäre es Euch lieber, wenn ich gleich danach drankäme? Ihr behauptet doch, Ihr hättet ein wenig ungestörten Schlafs nötig.«

Nynaeve bebte vor Wut, die Fäuste an den Seiten geballt. Es waren nicht Sheriam und die anderen, die ihren Zorn am meisten schürten. Sie und Elayne wechselten sich dabei ab, immer zwei auf einmal nach Tel'aran'rhiod mitzunehmen, manchmal auch alle sechs innerhalb nur einer Nacht, und obwohl sie in diesem Fall die Lehrerin war, ließen die anderen nie einen Zweifel daran aufkommen, daß sie Aes Sedai waren und Nynaeve nur eine Aufgenommene. Ein einziges scharfes Wort, wenn sie einen dummen Fehler begingen... Elayne hatten sie nur einmal zum Töpfeschrubben verdonnert, aber Nynaeves Hände waren vom heißen Seifenwasser verschrumpelt, jedenfalls da, wo ihr schlafender Körper lag. Und doch waren sie nicht das Schlimmste. Auch die Tatsache, daß sie kaum einen freien Moment hatte, um zu untersuchen, was man, wenn überhaupt gegen die Wirkung einer Dämpfung unternehmen konnte, ärgerte sie nicht allzusehr. Logain war da auf jeden Fall entgegenkommender als Siuan und Leane, oder jedenfalls eifriger bei der Sache. Dem Licht sei Dank, daß er das Geheimnis zu hüten wußte. Jedenfalls hatte er das vor; wahrscheinlich glaubte er, sie würde ihn eines Tages heilen. Nein, schlimmer war, daß man Faolain überprüft und erhoben hatte ... nicht zur Aes Sedai, das ging nicht ohne die Eidesrute, und die befand sich nun einmal in der Burg, aber jedenfalls zu etwas Höherem als einer Aufgenommenen. Faolain kleidete sich nun ganz nach ihren eigenen Wünschen, und wenn sie auch die Stola noch nicht anlegen oder eine Ajah auswählen durfte, hatte man ihr doch anderweitig Autorität verliehen. Nynaeve hatte wohl in den letzten vier Tagen mehr Becher Wasser, mehr Bücher — garantiert mit Absicht zurückgelassen! — und mehr Nadeln und Tintenfässer und andere nutzlose Gegenstände hin und her getragen als während ihres gesamten Aufenthalts in der Burg. Und doch war selbst Faolain nicht das Schlimmste hier. Daran wollte sie sich lieber gar nicht erst erinnern. Mit ihrer Wut hätte man ein ganzes Haus den Winter hindurch heizen können.

»Was hat Euch denn heute einen Haken zwischen die Kiemen gesteckt, Mädchen?« Siuan trug nun ein Kleid ähnlich dem Leanes, nur noch durchscheinender, als es selbst Leane in der Öffentlichkeit getragen hätte. Es war so hauchdünn, daß man kaum feststellen konnte, welche Farbe es eigentlich hatte. Es war auch nicht das erste Mal heute, daß sie dieses Kleid trug. Was spielte sich in dem Hinterkopf dieser Frau ab? In der Welt der Träume verrieten Dinge wie solch plötzliche Kleiderwechsel einiges über die geheimsten Gedanken, die einem manchmal selbst nicht bewußt waren. »Bis heute wart ihr eine beinahe verträgliche Gesellschafterin«, fuhr Siuan leicht gereizt fort und legte dann eine kurze Pause ein. »Bis heute. Ich begreife jetzt. Gestern nachmittag hat Sheriam Theodrin damit beauftragt, Euch dabei zu helfen, diesen Block, den ihr gegen den Gebrauch der Macht aufgebaut hattet, langsam abzubauen. Ist es diese Laus, die Euch über die Leber gelaufen ist? Es gefällt Euch nicht, daß Euch Theodrin Befehle erteilt? Sie ist auch eine Wilde gewesen, Mädchen. Wenn Euch irgend jemand helfen kann, den Gebrauch der Macht zu erlernen, ohne erst vor Wut in die Luft gehen zu müssen, dann...«

»Und was macht Euch so nervös, daß Ihr euer Kleid nicht festhalten könnt?« Theodrin — die Sache tat ihr wirklich weh. Der Fehlschlag. »Vielleicht hängt es mit etwas zusammen, das ich gestern abend hörte?« Theodrin war niemals launisch, war freundlich und geduldig. Sie sagte, man könne so etwas nicht in einer einzigen Sitzung vollbringen. Bei ihrem eigenen Block hatte es Monate gedauert, bis er zerstört war, und das, obwohl sie, lange bevor sie zur Burg ging, bereits erkannt hatte, daß sie die Macht benützte. Trotzdem tat der Fehlschlag weh, und es wäre furchtbar, falls irgend jemand erfuhr, daß sie sich wie ein Kind in Theodrins tröstenden Armen ausgeweint hatte, als ihr klar wurde, daß sie es nicht schaffte... »Ich hörte, Ihr habt Gareth Bryne seine Stiefel an den Kopf geworfen, als er Euch befahl, Euch hinzusetzen und sie endlich richtig zu putzen. Er weiß wohl immer noch nicht, daß Min sie putzt, oder? Also hat er Euch übers Knie gelegt und...«

Die Ohrfeige, in die Siuan all ihre Kraft gelegt hatte, ließ Nynaeves Ohren klingeln. Einen Moment lang stand sie nur verdattert da, riß die Augen weit auf und starrte die andere an. Dann versuchte sie unter einem wilden Aufschrei, Siuan eins aufs Auge zu verpassen. Versuchte, weil es Siuan irgendwie fertiggebracht hatte, mit einer Hand Nynaeves Haar zu packen. Einen Augenblick später lagen sie im Straßenstaub, rollten kreischend hin und her und prügelten wild aufeinander ein.

Nynaeve ächzte laut glaubte aber doch, insgesamt das bessere Ende für sich zu haben, obwohl sie die meiste Zeit über nicht wußte, ob sie gerade oben oder unten lag. Siuan bemühte sich, mit einer Hand ihren Zopf mitsamt den Haarwurzeln auszureißen, während sie ihr die andere Faust in die Rippen rammte oder auf jeden Körperteil lostrommelte, den sie nur erwischen konnte, doch sie zahlte es ihr mit gleicher Münze zurück. Siuans Reißen und ihre Schläge wurden eindeutig schwächer. Sie würde diese Frau in einer Minute bewußtlos schlagen und ihr sämtliche Haare ausreißen; sollte sie doch mit einer Glatze herumlaufen. Nynaeve jaulte auf, als ein Fuß hart gegen ihr Schienbein krachte. Die Frau trat ja zu! Nynaeve versuchte, sie mit dem Knie festzunageln, aber das war schwierig, wenn man einen Rock trug. Treten war einfach unfair!

Plötzlich wurde Nynaeve bewußt, daß Siuans ganzer Körper bebte. Zuerst dachte sie, die Frau weine. Dann erkannte sie aber, daß sie in Wirklichkeit schallend lachte. Sie setzte sich auf und wischte sich Haarsträhnen vom Gesicht, denn ihr Zopf hatte sich so ziemlich aufgelöst. Dann blickte sie wütend auf die andere hinab. »Worüber lacht Ihr? Über mich? Wenn Ihr glaubt...!«