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Der Korridor war ihm in zweifacher Hinsicht vertraut; zum einen, weil er ihn schon früher einmal gesehen hatte, zum anderen, weil ihn die Erinnerung an einen sehr ähnlichen quälte.

Ich bin an dem Tag mit Elayne und Gawyn hier durchgekommen, als ich Morgase kennenlernte. Der Gedanke schlitterte schmerzhaft über die Oberfläche des Nichts. Im Innern war er vollkommen kalt und gefühllos. Saidin tobte und brannte, doch er war eiskalt und gelassen.

Und ein weiterer Gedanke kam hoch wie ein Dolchstoß. Sie hat auf dem Boden eines Korridors wie diesem gelegen, das goldene Haar ausgebreitet, als schliefe sie. Ilyena Sonnenhaar. Meine Ilyena.

Auch Elaida war an jenem Tag anwesend gewesen. Sie hat den Schmerz, den ich mit mir bringe, vorhergesagt. Sie erkannte die Dunkelheit in mir, jedenfalls einiges davon. Genügend.

Ilyena, ich wußte nicht, was ich tat. Ich war wahnsinnig! Ich bin wahnsinnig. O Ilyena!

Elaida wußte es — zumindest einiges —, aber nicht einmal das hat sie vollständig erzählt. Sie hätte es besser tun sollen.

O Licht, gibt es denn keine Vergebung? Was ich tat, richtete ich im Wahn an. Gibt es für mich keine Gnade?

Hätte Gareth Bryne alles erfahren, er hätte mich getötet. Morgase hätte meine Hinrichtung angeordnet. Morgase wäre noch am Leben. Mat. Moiraine. Wie viele könnten noch leben, wäre ich gestorben ?

Ich habe all diese Qual verdient. Ich verdiene es, endgültig zu sterben. O Ilyena, ich verdiene den Tod. Ich verdiene den Tod.

Stiefelschritte hinter ihm. Er wirbelte herum.

Sie kamen keine zwanzig Schritt von ihm entfernt aus einem breiten Korridor heraus, der den kreuzte, in dem er sich befand, zwei Dutzend Männer in Harnisch und Helm und mit den roten Uniformröcken und weißen Kragen der Garde der Königin. Allerdings besaß Andor jetzt keine Königin mehr, und diese Männer hatten ihr zu ihren Lebzeiten auch nicht gedient. Ein Myrddraal führte sie an. Sein blasses, augenloses Gesicht wirkte ekelhaft, wie etwas, das man unter einem Felsblock findet, und die sich überlappenden schwarzen Metallschuppen seiner Rüstung erhöhten noch den Eindruck des Schlangenhaften, genau wie die geschmeidigen Bewegungen. Der schwarze Umhang hing reglos herunter, wie er sich auch bewegte. Der Blick der Augenlosen brachte Angst mit sich, doch Angst war ein sehr entferntes Gefühl im Nichts. Sie zögerten, als sie ihn erblickten. Dann hob der Halbmensch sein Schwert mit der schwarzen Klinge. Die Männer, die noch nicht blankgezogen hatten, legten nun die Hände auf die Hefte ihrer Schwerter.

Rand — er glaubte jedenfalls, das sei sein Name —gebrauchte die Macht auf eine Weise, wie er sie noch nie gebraucht hatte, soweit er sich erinnern konnte.

Männer und Myrddraal erstarrten, wie sie dastanden. Weißer Raunreif bildete sich in einer dicken Schicht auf ihnen, und er dampfte ähnlich wie Mats Stiefel. Der erhobene Arm des Myrddraal brach mit einem lauten Knacken ab. Als er auf die Bodenfliesen aufschlug, zersplitterten Arm und Schwert.

Rand spürte die Kälte — ja, so hieß er wirklich; Rand —, die wie ein Messer zubiß, als er an ihnen vorbei und in den Korridor hineinschritt aus dem sie gekommen waren. Kalt, aber wärmer als Saidin..

Ein Mann und eine Frau kauerten verängstigt an einer Wand, Diener in rotweißer Livree, beide fast schon mittleren Alters. Sie klammerten sich schutzsuchend aneinander. Als sie Rand erblickten — da gehörte noch etwas zum Namen, nicht nur Rand —, wollte sich der Mann erheben, der sich noch eben vor der von dem Myrddraal geführten Bande ängstlich versteckt hatte, aber die Frau hielt ihn am Ärmel zurück.

»Geht in Frieden«, sagte Rand und streckte seine Hand aus. Al'Thor. Ja, Rand al'Thor. »Ich werde Euch nichts antun, aber Ihr könntet verletzt werden, wenn Ihr hierbleibt.«

Die braunen Augen der Frau weiteten sich, und sie wäre zusammengebrochen, hätte der Mann sie nicht aufgefangen. Sein schmaler Mund bewegte sich unablässig, als bete er, könne die Worte aber nicht herausbringen.

Rand blickte hinunter, um zu sehen, was den Mann so erschreckte. Seine Hand war weit genug aus dem Ärmel gerutscht, um den Drachenkopf mit der goldenen Mähne freizulegen, der ein Teil seiner Haut war. »Ich werde Euch nichts tun«, sagte er noch einmal, ging weiter und ließ sie dort zurück. Er mußte sich um Rahvin kümmern, mußte Rahvin töten. Und dann?

Kein Geräusch außer dem Knarren seiner Stiefelsohlen auf den Fliesen. Und tief in seinem Kopf murmelte ein schwaches Stimmchen traurig etwas von Ilyena und Vergebung. Er strengte alle Sinne an, um festzustellen, ob Rahvin die Macht benutzte, ob sich der Mann mit Energie aus der Wahren Quelle vollsog. Nichts. Saidin versengte seine Knochen, ließ sein Fleisch erfrieren, brannte in seine Seele hinein, aber von außen her war es schwierig, so etwas festzustellen, bis man nahe genug war. Ein Löwe im hohen Gras, so hatte Asmodean es einst beschrieben. Ein räudiger Löwe. Sollte er Asmodean der Liste jener hinzufügen, die nicht hätten sterben sollen? Oder Lanfear? Nein. Nicht...

Er hatte nur den Bruchteil einer Sekunde der Vorwarnung, um sich platt auf den Boden zu werfen; eine hauchdünne Scheibe Zeit zwischen dem urplötzlichen Wissen, daß Stränge der Macht verwoben wurden, und einem armdicken Strahl weißen Lichts, flüssigen Feuers, der die Wand durchschnitt und wie eine Schwertklinge hindurch schoß, wo sich sein Brustkorb befunden hatte. Wo dieser Strahl im Korridor auftraf, hörten Wände und Stuckfriese, Türen und Wandbehänge einfach auf zu existieren. Durchtrennte Wandteppiche, Steinbrocken und Gips regneten auf den Fußboden herab.

Also keine Spur von der Furcht der Verlorenen vor dem Gebrauch des Baalsfeuers. Wer hatte ihm das gesagt? Moiraine. Sie hätte es sicherlich verdient gehabt, weiterzuleben.

Baalsfeuer erstrahlte aus seinen Händen. Ein gleißendweißer Lichtbalken, der in die Richtung wies, aus der jener andere Strahl kam. Dieser erlosch, als der seine die Wand durchdrang und purpurne Lichtreflexe in seinen Augen hinterließ. Er ließ seinen Strahl wieder verlöschen. Hatte er es endlich geschafft?

Also stand er etwas mühsam auf und lenkte einen Strang aus Luft, der die kaputten Türen mit solcher Gewalt aufbrach, daß ihre Reste aus den Scharnieren gefetzt wurden. Der Raum dahinter war leer. Es war eine Art von Wohnzimmer, in dem man einige Stühle vor einem mächtigen Marmorkamin aufgestellt hatte. Sein Baalsfeuer hatte einen Teil eines Torbogens herausgeschnitten, der in einen kleinen Innenhof mit einem Springbrunnen führte, und auch noch einen Teil der Säulen aus den Arkaden jenseits des Brunnens. Rahvin war allerdings nicht auf diesem Weg geflohen, noch war er in diesem Baalsfeuerstrahl ums Leben gekommen. Ein Rückstand lag noch in der Luft, ein verblassender Überrest verwobener Stränge aus Saidin. Rand erkannte das wohl. Es unterschied sich von dem Tor, das er benützt hatte, um nach Caemlyn zu kommen, oder von dem Kurzen Weg, durch den er in den Thronsaal gekommen war. Es war ihm mittlerweile klar, was er da gewoben hatte. Doch in Tear hatte er bereits einmal einen solchen Weg erlebt, wie ihn Rahvin gewählt hatte, und er hatte ihn dort selbst schon einmal benützt.