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Stöhnend preßte er eine Hand in seine Seite, wo sich die alte, halbverheilte Wunde befand. Sie brannte, als hätten seine Anstrengungen sie fast wieder aufgerissen. Sein ganzer Körper brannte. Ein Dutzend oder mehr Bißwunden plagten ihn. Das hatte sich nicht geändert. Auch die blutverschmierten Risse in Mantel und Hose waren nicht verschwunden. Hatte er es fertiggebracht, das Wasser wieder zu Luft werden zu lassen? Oder hatte einer seiner verzweifelt gestreuten Strahlen von Baalsfeuer Rahvin vertrieben oder gar getötet? Es spielte keine Rolle, außer im letzten Fall.

Er wischte sich Blut aus den Augen und musterte die Fenster und Balkone, von denen aus man den Garten überblicken konnte, und die Arkaden hoch droben auf der gegenüberliegenden Seite. Genauer: Er begann damit, aber dann wurde er auf etwas aufmerksam. Unter der Arkade entdeckte er gerade so eben die verblassenden Reste eines Gewebes. Von seinem Standpunkt aus konnte er es als Tor identifizieren, aber um zu sehen, welcher Art es war und wohin es führte, mußte er näher heran. Er sprang über einen Trümmerhaufen aus bearbeiteten Steinen, der verschwand, während er sich noch über ihm befand, huschte durch den Garten und duckte sich hinter umgestürzte Bäume. Die Überreste des Gewebes waren fast verflogen. Er mußte sich weit genug nähern, bevor sie ganz verschwanden.

Plötzlich stürzte er. Kies schürfte ihm die Handflächen auf, als er sich abfing. Er konnte beim besten Willen nichts entdecken, was ihn zu Fall gebracht haben könnte. Er hatte ein verschwommenes Gefühl im Kopf, gerade so, als habe er einen kräftigen Schlag abbekommen. Mit größter Mühe versuchte er, auf die Beine zu kommen und diesen schwachen Überrest zu erreichen. Und ihm wurde bewußt, daß sein Körper sich wand. Lange Haare bedeckten seine Hände. Seine Finger schienen zu schrumpfen und sich in seine Hände zurückzuziehen. Es waren schon eher Tatzen. Eine Falle. Rahvin war nicht geflohen. Das Tor war eine Falle gewesen, und er war blindlings hineingerannt.

Verzweiflung klebte am Nichts, als er darum kämpfte, er selbst zu bleiben. Seine Hände. Es waren Hände. Fast Hände. Er wuchtete sich hoch. Seine Beine schienen an den falschen Stellen einzuknicken. Die Wahre Quelle zog sich vor ihm zurück; das Nichts schrumpfte. Panik flammte jenseits der gefühllosen Leere auf. In welches Wesen ihn Rahvin auch verwandeln wollte, die Macht konnte es jedenfalls nicht lenken. Saidin begann, ihm zu entschlüpfen, würde dünner, selbst als er es durch den Angreal einsog. Die Balkone und die Arkade starrten leer und höhnisch auf ihn herab. Rahvin mußte sich an einem dieser Fenster mit ihren Steingittern befinden, doch an welchem? Diesmal besaß er nicht mehr die Kraft, hundert Blitze auszusenden. Ein einziger Strahl. Das konnte er noch schaffen. Wenn er schnell war. Welches Fenster? Er kämpfte, um er selbst zu bleiben, kämpfte, Saidin in sich aufnehmen zu können, und hieß sogar jeden Anflug von Verderbnis willkommen, weil er ihm zeigte, daß er immer noch an der Macht festhielt. Er taumelte in einem verzerrten Kreis herum, suchte vergeblich die Fenster ab und schrie Rahvins Namen. Es klang wie das Gebrüll eines Bären.

Nynaeve zog Moghedien hinter sich her und bog um eine Ecke. Vor ihr verschwand gerade ein Mann um die nächste Biegung. Das Geräusch seiner Stiefelschritte warf ein Echo in den leeren Gang. Sie wußte nicht, wie lange sie bereits diesen Stiefeln folgten.

Manchmal waren die Schritte für eine Weile verklungen und sie hatte warten müssen, bis sie wieder erklangen, um zu entscheiden, in welche Richtung sie weitergehen mußten. Manchmal geschahen irgendwelche Dinge, wenn die Schritte verstummten. Sie hatte wohl nichts beobachtet, aber einmal hatte der ganze Palast wie eine Glocke gedröhnt, und ein andermal hatten sich ihr die Haare auf dem Kopf gesträubt, und die Luft schien zu knistern, und dann wieder... Es war nicht wichtig. Jetzt hatte sie zum erstenmal einen Blick auf den Mann erhascht, zu dem diese Stiefel gehörten. Sie glaubte nicht, daß es sich bei dem Mann im schwarzen Mantel um Rand handelte. Die Größe stimmte, aber er war zu stämmig, besonders, was den Oberkörper betraf.

Sie rannte los, bevor ihr das überhaupt bewußt wurde. Aus ihren festen Schuhen waren längst Samtpantoffeln geworden, damit man ihre Schritte nicht hörte. Wenn sie ihn schon hörte, hätte er ja auch sie hören können. Moghediens panisches Keuchen war lauter als ihre Schritte.

Nynaeve erreichte die Biegung und blieb stehen. Vorsichtig spähte sie um die Ecke. Sie hielt Saidar —durch Moghedien zwar, aber es war ihre Macht —bereit, um augenblicklich zuschlagen zu können. Es war nicht notwendig. Der Gang war leer. Ganz hinten war eine Tür in einer Seitenwand zu sehen, die ansonsten eine Reihe von Fenstern mit kunstvoll durchbrochenen Steingittern aufwies. Sie glaubte nicht, daß er die Tür schon erreicht haben konnte. Etwas näher entdeckte sie eine Kreuzung, an der ein anderer Korridor nach rechts abzweigte. Dorthin eilte sie und spähte vorsichtig hinein. Leer. Doch nur ein kurzes Stück von der Abzweigung entfernt führte eine Wendeltreppe nach oben.

Einen Moment zögerte sie. Er war irgendwohin verschwunden. Dieser Korridor führte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Wäre er so gerannt, nur um zurückzukommen? Dann eben aufwärts.

Sie zerrte Moghedien weiter und erklomm langsam die Wendeltreppe. Sie strengte sich an, um jedes Geräusch hören zu können — über das fast hysterische Atmen der Verlorenen und das Pochen des Bluts in ihren Ohren hinweg. Falls sie ihm plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand... Sie wußte ja, daß er sich vor ihr befand. Das Überraschungsmoment mußte ganz auf ihrer Seite liegen.

Am ersten Absatz blieb sie stehen. Die Gänge von hier aus verliefen genau wie die unteren. Und sie waren auch genauso leer und still. War er weiter hinaufgestiegen?

Die Treppe zitterte leicht unter ihren Füßen, als sei der Palast von einer Ramme getroffen worden; dann noch einmal. Wieder dasselbe, während ein Strahl weißen Feuers durch den oberen Teil eines der durchbrochenen Fenstergitter fegte, dann schräg nach oben flackerte und wieder erlosch, als er gerade in die Decke hineinzuschneiden begann.

Nynaeve schluckte und blinzelte einige Male mit den Augen, um den violetten Schleier loszuwerden, der wie eine Erinnerung an den grellen Strahl ihre Sicht behinderte.

Das mußte Rand gewesen sein, der versucht hatte, Rahvin zu treffen. Falls sie ihm zu nahe kam, würde Rand sie vielleicht durch puren Zufall treffen. Wenn er so um sich schlug — und so wirkte es auf sie —, konnte er sie jederzeit erwischen, ohne etwas davon zu ahnen.

Das Beben hatte aufgehört. In Moghediens Augen stand wieder die blanke Angst. Nach dem, was Nynaeve durch den A'dam hindurch spürte, war es ein Wunder, daß die Frau sich nicht auf dem Boden krümmte, schrie und Schaum vor dem Mund hatte. Nynaeve war ja auch ein wenig nach Schreien zumute. Sie zwang sich, den Fuß auf die nächste Stufe zu stellen. Aufwärts war so gut wie abwärts. Der zweite Schritt war fast genauso schwer. Ganz langsam. Nicht nötig, zu plötzlich auf ihn zu stoßen. Er mußte derjenige sein, der überrascht wurde. Moghedien schlich zitternd wie ein geprügelter Hund hinter ihr her.

Beim Erklimmen der Treppe saugte Nynaeve soviel von Saidar in sich hinein, wie sie nur konnte, soviel Moghedien bewältigte, bis hin zu dem Punkt, an dem die Süße der Macht schon fast schmerzte. Das war ihr eine Warnung. Noch mehr, dann würde sie sich dem Punkt nähern, wo es mehr wurde, als sie bewältigen konnte, dem Punkt, an dem sie sich selbst einer Dämpfung ausliefern und ihre Fähigkeit zum Gebrauch der Macht ausbrennen würde. Oder, die augenblicklichen Umstände eingerechnet, Moghediens Fähigkeiten. Oder bei beiden zugleich. Wie auch immer, es käme jetzt einer Katastrophe gleich. Sie bewegte sich ständig an der Grenze, und dieses ... Leben ... füllte sie wie eine Nadel, die kurz davorstand, die Haut zu durchstoßen. Es war soviel, wie sie selbst hätte aufnehmen können, allein und ohne Hilfe. Sie und Moghedien waren, was den Gebrauch der Macht betraf, etwa gleich stark. Das hatte sich auch in Tanchico erwiesen. Reichte das jetzt? Moghedien bestand darauf, daß diese Männer stärker seien. Rahvin zumindest — denn den kannte Moghedien —, und es schien ihr unwahrscheinlich, daß Rand so lange überlebt hätte, wäre er nicht ebenfalls so stark. Es war nicht fair, daß die Männer nicht nur die kräftigeren Muskeln besaßen, sondern auch mehr Kraft in bezug auf die Macht. Die Aes Sedai in der Burg hatten immer behauptet, sie seien in etwa gleich. Es war einfach nicht...