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»In Cairhien befinden sich nicht nur Soldaten aus Tear, sondern auch aus Andor«, fuhr sie fort, wobei sie die abgewandten Blicke einfach ignorierte. »Soldaten aus Tear, die von dem Mann geschickt wurden, der den Stein eroberte.« Shemerin rang die dicken Hände, und Teslyn zuckte zusammen. Nur Alviarin blieb ungerührt wie ein zugefrorener Teich. Elaida streckte eine Hand aus und deutete auf das Gemälde mit den beiden Männern, die sich gegenseitig mit Blitzen bekämpften. »Seht hin! Schaut! Oder ich lasse jede einzelne von Euch auf den Knien den Fußboden schrubben! Wenn Ihr noch nicht einmal genug Rückgrat besitzt, um ein Gemälde zu betrachten, wo werdet Ihr dann den Mut für das hernehmen, was auf uns zukommt? Die Burg kann keine Feiglinge gebrauchen!«

Langsam hoben sich die Blicke. Sie traten von einem Fuß auf den anderen wie nervöse Mädchen und nicht wie Aes Sedai. Nur Alviarin sah gelassen hin, und sie schien als einzige von dem allen unberührt. Shemerin rang wieder die Hände, und in ihren Augen standen tatsächlich Tränen. Sie würde etwas in bezug auf diese Frau unternehmen müssen.

»Rand al'Thor. Ein Mann, der die Macht benützen kann.« Die Worte kamen aus Elaidas Mund wie Peitschenhiebe. Ihr eigener Magen verkrampfte sich, bis sie fürchtete, sich übergeben zu müssen. Irgendwie brachte sie es aber fertig, ihr Gesicht nicht zu verziehen, und dann fuhr sie fort, preßte die Worte aus sich heraus, schleuderte sie den anderen entgegen wie Steine aus einem Katapult. »Ein Mann, dessen Schicksal es sein wird, wahnsinnig zu werden und vor seinem Tod mit der Macht unvorstellbar Schlimmes anzurichten. Aber da ist noch mehr. Seinetwegen herrscht heller Aufruhr in Arad Doman und Tarabon und allen Gebieten dazwischen. Wenn man ihm vielleicht auch nicht den Bürgerkrieg und die Hungersnot in Cairhien ankreiden kann, beschwört er doch auf jeden Fall einen großen Krieg zwischen Tear und Andor herauf, und das zu einer Zeit, wo die Burg Frieden benötigt! In Ghealdan predigt ein verrückter Schienarer von ihm und hat einen derartigen Zulauf, daß selbst Alliandres Heer nichts ausrichten kann. Die größte Gefahr, der die Burg jemals gegenüberstand, die größte Bedrohung aller Zeiten für die ganze Welt, und Ihr bringt es nicht einmal fertig, von ihm zu sprechen? Ihr könnt nicht einmal sein Bild ansehen?«

Ihre Antwort war betretenes Schweigen. Alle außer Alviarin standen da, als sei ihnen die Zunge eingefroren. Die meisten blickten wie hypnotisiert den jungen Mann auf dem Gemälde an.

»Rand al'Thor.« Der Name rief einen bitteren Geschmack auf Elaidas Zunge hervor. Einst hatte sie den jungen Mann, der so unschuldig wirkte, direkt vor ihrer Nase gehabt. Und sie hatte nicht gemerkt, was er war. Ihre Vorgängerin hatte Bescheid gewußt, das Licht wußte, wie lange schon, und hatte ihn frei herumlaufen lassen. Diese Frau hatte ihr vieles gesagt, bevor sie entkam, hatte unter scharfer Befragung Dinge gesagt, die Elaida einfach nicht glauben wollte — falls die Verlorenen wirklich frei waren, war wohl alles verloren —, aber auf irgendeine Art hatte sie es fertiggebracht, einigen Fragen auszuweichen. Und dann war sie entkommen, bevor man sie erneut verhören konnte. Diese Frau und Moiraine. Diese Frau und die Blaue hatten es die ganze Zeit gewußt. Elaida mußte beide unbedingt wieder in der Burg zurückhaben. Sie würden jede Einzelheit preisgeben, die sie kannten. Sie würden sie auf den Knien um den Tod anflehen, bevor sie mit ihnen fertig war.

Sie zwang sich zum Weitersprechen, obwohl ihr die Worte im Mund gefroren: »Rand al'Thor ist der Wiedergeborene Drache, Töchter.« Sheremins Knie gaben nach, und sie setzte sich hart auf den Boden. Einige der anderen schienen ebenfalls weiche Knie zu haben. Elaidas Blick strafte sie mit Verachtung. »Es kann keinen Zweifel geben. Er ist derjenige, von dem die Prophezeiungen berichten. Der Dunkle König ist dabei, sich aus seinem Gefängnis zu befreien, die Letzte Schlacht kommt und der Wiedergeborene Drache muß ihm gegenübertreten, sonst ist die Welt für alle Zeiten dem Feuer und der Zerstörung ausgesetzt. Und er ist frei, Töchter. Wir wissen nicht, wo er sich befindet. Wir wissen von einem Dutzend Orten, an denen er sich nicht befindet. Er ist nicht mehr in Tear. Er ist auch nicht hier in der Burg und sicher abgeschirmt, wie es sein sollte. Er bringt einen Wirbelsturm über die Welt, und wir müssen das verhindern, wenn wir eine Chance haben wollen, Tarmon Gai'don zu überleben. Wir müssen ihn in die Hand bekommen und dafür sorgen, daß er in dieser Letzten Schlacht kämpft. Oder glaubt eine von Euch, daß er freiwillig in den vorhergesagten Tod gehen wird, um die Welt zu retten? Ein Mann, der schon jetzt dabeisein dürfte, dem Wahnsinn zu verfallen? Wir müssen ihn unter unsere Kontrolle bekommen!«

»Mutter«, begann Alviarin in dieser irritierenden Gefühllosigkeit, aber Elaidas wilder Blick ließ sie verstummen.

»Rand al'Thor in die Hand zu bekommen ist um vieles wichtiger als Scharmützel in Schienar oder die Frage, ob die Fäule friedlich ist, wichtiger noch, als Elayne oder Galad zu finden, wichtiger sogar als Mazrim Taim. Ihr werdet ihn finden! Auf jeden Fall! Wenn ich Euch das nächste Mal empfange, wird jede von Euch darauf vorbereitet sein, mir in allen Einzelheiten zu berichten, was Ihr unternommen habt, um dieses Ziel zu erreichen. Nun dürft Ihr mich verlassen, Töchter.«

Eine Welle unsicherer Knickse durchlief die Ansammlung. Sie hauchten eingeschüchtert: »Wie Ihr befehlt, Mutter«, und dann rannten sie beinahe hinaus. Joline half Shemerin, mit weichen Knien aufzustehen. An der Gelben Schwester konnte sie am besten das nächste Exempel statuieren. Es war notwendig, um sicherzugehen, daß keine in den alten, lethargischen Zustand zurückfiel, und die Gelbe war einfach zu schwach, um einen Platz in diesem Rat verdient zu haben. Natürlich würde auch dieser Rat nicht mehr allzu lange Bestand haben, dafür mußte sie sorgen. Der Saal würde ihre Worte hören und springen.

Alle bis auf Alviarin gingen.

Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, sahen sich die beiden Frauen eine ganze Weile lang in die Augen. Alviarin war die erste, die allererste gewesen, die die Anklagen gegen Elaidas Vorgängerin gehört und ihnen zugestimmt hatte. Und Alviarin wußte sehr wohl, warum sie die Stola der Behüterin der Chronik trug und nicht irgendeine Rote. Die Roten Ajah hatten einstimmig hinter Elaida gestanden, aber die Weißen nicht, und ohne die volle Unterstützung der Weißen hätten sich viele andere nicht überzeugen lassen. Die Folge wäre gewesen, daß Elaida nun in einer Zelle säße anstatt auf dem Amyrlin-Sitz. Falls nicht die Überreste ihres Kopfes auf einer Pike steckten, damit die Raben etwas zum Spielen hätten. Alviarin ließ sich nicht so schnell einschüchtern wie die anderen; falls man sie überhaupt einschüchtern konnte. In Alviarins festem Blick lag ein beunruhigender Anflug von Ebenbürtigkeit.

Das Klopfen an die Tür klang durch die Stille besonders laut.

»Herein!« fauchte Elaida.

Eine der Aufgenommenen, ein blasses, schlankes Mädchen, trat zögernd in den Raum und knickste sofort so lief, daß ihr weißer Rock mit den sieben Farbstreifen am Saum um sie ausgebreitet am Boden lag. Aus ihren weit aufgerissenen Augen und dem zu Boden gewandten Blick konnte man schließen, daß sie wohl die Stimmung unter den Frauen, die den Saal verließen, wahrgenommen hatte. Ein Ort, den Aes Sedai zitternd verließen, mußte auf eine Aufgenommene ausgesprochen gefährlich wirken. »M-Mutter, Meister F-Fain ist hier. Er sagte, Ihr w-würdet ihn um d-diese Stunde empfangen.« Das Mädchen wankte in ihrer gebückten Haltung und fiel vor blanker Furcht beinahe um.