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»Dann schickt ihn herein, Mädchen, statt ihn warten zu lassen«, grollte Elaida, aber sie hätte dem Mädchen die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen, wenn sie den Mann gleich mitgebracht hätte. Der Zorn, den sie Alviarin gegenüber nicht zu zeigen wagte, und sie wollte gar nicht daran denken, daß sie nicht wagte, ihn herauszulassen, dieser Zorn quoll nun in ihr hoch. »Und wenn Ihr nicht lernen könnt, mit uns zu sprechen, wie es sich gehört, ist vielleicht die Küche ein besserer Ort für Euch als das Vorzimmer der Amyrlin. Also? Werdet Ihr jetzt tun, was Euch befohlen wurde? Bewegt Euch, Mädchen! Und richtet der Herrin der Novizinnen aus, daß sie Euch lehren soll, unverzüglich Euren Befehlen nachzukommen!«

Das Mädchen quiekste etwas, das sehr wohl eine korrekte Antwort sein mochte, und schoß hinaus.

Elaida beherrschte sich mit Mühe. Es war ihr gleich, ob Silviana, die neue Herrin über die Novizinnen, das Mädchen bis zur Bewußtlosigkeit prügelte oder es lediglich mit einem Vortrag bewenden ließ. Sie sah kaum jemals die Novizinnen oder die Aufgenommenen, außer sie kamen direkt zu ihr, und sie waren ihr auch gleichgültig. Sie wollte viel lieber Alviarin demütigen und auf den Knien liegen sehen.

Doch nun war also Fain da. Sie tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Lippen. Ein knochiger, kleiner Mann mit einer großen Nase, der erst vor ein paar Tagen in verschmutzter, einst guter, aber viel zu großer Kleidung in der Burg eingetroffen war. Er benahm sich einmal arrogant und dann wieder kriecherisch, als er um eine Audienz bei der Amyrlin nachsuchte. Abgesehen von denen, die in der Burg arbeiteten, kamen nur wenige Männer hierher, nur unter großer Belastung oder in größter Not, und selbst von denen bat keiner um eine Audienz bei der Amyrlin. Auf gewisse Art mußte er wohl ein Narr sein oder vielleicht ein Verrückter. Er behauptete, aus Lugard in Murandy zu kommen, sprach aber mit wechselnden Akzenten. Manchmal änderte er den Dialekt mitten im Satz. Doch es schien ihr, als könne er durchaus nützlich sein.

Alviarin sah sie immer noch an, eisig ruhig, und nur eine Andeutung all der Fragen, die ihr Fains wegen durch den Kopf gehen mußten, fand sich in ihrem Blick. Elaidas Züge verhärteten sich. Beinahe hätte sie nach Saidar gegriffen, der weiblichen Hälfte der Wahren Quelle, um die Frau mit Hilfe der Macht zu lehren, wo sie in der Rangfolge der Burg stand. Aber so ging das nicht. Alviarin würde vielleicht sogar kämpfen, und sich wie ein Bauernmädchen im Hühnerhof herumzuprügeln war nicht die richtige Methode, um ihre Autorität als Amyrlin durchzusetzen. Aber Alviarin würde auch noch das Gehorchen lernen, genauso wie alle anderen. Der erste Schritt dazu war, Alviarin nichts über Meister Fain wissen zu lassen, oder wie er sonst heißen mochte.

Padan Fain vergaß die hektische junge Aufgenommene, als er in das Arbeitszimmer der Amyrlin trat. Sie war wohl ein süßes Ding, und er hatte es gern, wenn sie wie kleine Vögel in seiner Hand flatterten, aber er mußte sich jetzt auf andere Dinge konzentrieren. Er rang die Hände und neigte den Kopf, wie es sich gehörte, aber die beiden, die ihn erwarteten, schienen seine Anwesenheit zunächst gar nicht zu bemerken, so vertieft standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Er mußte sich zwingen, nicht seine Hand auszustrecken, um die Spannung zwischen den Frauen zu ertasten. Überall in der Weißen Burg herrschte nervöse Spannung und Uneinigkeit. Das war auch gut so. Anspannung konnte man verstärken und Uneinigkeit ausnützen, wie man es gerade für nötig befand.

Er war überrascht gewesen, Elaida auf dem Amyrlin-Sitz vorzufinden. Doch das war noch besser, als er erwartet hatte. Auf gewisse Art war sie nicht so hartnäckig wie die Frau, die vor ihr die Stola getragen hatte. Das hatte man ihm jedenfalls erzählt. Härter, ja, und grausamer, aber auch zerbrechlicher. Wahrscheinlich schwieriger, sie seinem Willen gefügig zu machen, aber leichter zu zerbrechen, falls das eine oder das andere notwendig werden sollte. Trotzdem war es ihm im Prinzip gleich, welche Aes Sedai, welche Amyrlin er vor sich hatte. Alles Närrinnen. Gefährliche Närrinnen, sicher, aber auch manchmal nützlich ihrer Leichtgläubigkeit wegen.

Schließlich jedoch bemerkten sie seine Anwesenheit.

Die Amyrlin zog die Augenbrauen hoch, weil sie offensichtlich überrascht worden war, während sich die Behüterin der Chronik nichts anmerken ließ. »Ihr dürft jetzt gehen, Tochter«, sagte Elaida entschlossen, wobei sie das ›jetzt‹ leicht, aber doch hörbar betonte. O ja. Die Spannungen zwischen ihnen, die Risse im Machtgefüge. Risse, in die man Samen setzen konnte. Fain ertappte sich dabei, daß er beinahe gekichert hätte.

Alviarin zögerte und knickste dann ganz leicht. Als sie aus dem Zimmer rauschte, streifte ihn ihr Blick, ausdruckslos und doch verwirrend. Unwillkürlich zog er den Kopf ein und schob die Schultern schützend nach vorn. Seine Oberlippe bebte. Fast hätte er ihre schlanke Rückenpartie angeknurrt. Er hatte das Gefühl, wenn auch nur einen Augenblick lang, daß sie zuviel über ihn wisse. Doch er wußte nicht einmal, wieso er das empfand. Ihr kühles Gesicht und ihr kühler Blick veränderten sich nie. Zu solchen Anlässen hätte er sie nur zu gern geändert. Furcht. Schmerz. Betteln. Er hätte bei diesem Gedanken fast gelacht. Sinnlos natürlich. Sie konnte nichts wissen. Geduld, dann würde er bald mit ihr und ihren immer gleich blickenden Augen fertigwerden.

In den Schatzkammern der Burg ruhten viele Dinge, die ein wenig Geduld wert waren. Das Horn von Valere war dort, das sagenhafte Horn, mit dem man tote Helden aus den Gräbern zur Letzten Schlacht zurückrufen konnte. Selbst die meisten Aes Sedai wußten das nicht, aber er war in der Lage, solche Dinge zu wittern. Der Dolch befand sich dort. Er spürte seine Anziehung von dem Fleck aus, auf dem er stand. Er hätte darauf zeigen können. Er gehörte ihm, war ein Teil seiner selbst, das ihm von den Aes Sedai gestohlen und hier beschmutzt und versteckt worden war. Den Dolch zu besitzen würde so vieles wiedergutmachen, was er verloren hatte. Er wußte wohl nicht genau, auf welche Weise, aber er war sich da ganz sicher. Für das verlorene Aridhol. Zu gefährlich, nach Aridhol zurückzukehren und vielleicht wieder dort gefangen zu sein. Er zitterte. So lange war er dort gefangen gewesen. Nicht noch einmal.

Natürlich wurde es jetzt nicht mehr Aridhol genannt, sondern Shadar Logoth. Wo der Schatten Wartet. Ein passender Name. Soviel hatte sich geändert. Selbst er. Padan Fain. Mordeth. Ordeith. Manchmal war er sich nicht sicher, welcher Name wirklich zu ihm gehörte, wer er wirklich war. Eines war aber sicher: Er war nicht das, was die anderen glaubten. Diejenigen, die sich einbildeten, ihn zu kennen, irrten sich gewaltig. Er war jetzt verklärt. Er war nun selbst eine Macht und stand jenseits aller anderen Mächte. Sie würden es noch merken.

Mit einemmal wurde ihm bewußt, daß die Amyrlin etwas gesagt hatte, und er fuhr zusammen. Er suchte in seinem Gedächtnis und fand die Antwort: »Ja, Mutter, das Wams steht mir sehr gut.« Er strich mit der Hand über den schwarzen Samt, um zu zeigen, wie schön er den Stoff fand, als spielte Kleidung irgendeine Rolle. »Ist ein sehr gutes Wams. Herzlichen Dank, Mutter.« Er war darauf vorbereitet, noch mehr Komplimente über sich ergehen lassen zu müssen, damit er sich ›entspannte‹, bereit, niederzuknien und ihren Ring zu küssen, doch diesmal kam sie geradewegs zur Sache: »Berichtet mir, was Ihr noch über Rand al'Thor wißt, Meister Fain.«

Fains Blick glitt hinüber zu dem Gemälde mit den beiden Männern, und während er es betrachtete, richtete er sich kerzengerade auf. Al'Thors Portrait wurmte ihn beinahe genauso wie der Mann selbst, ließ ihm Wut und Haß durch die Adern schießen. Wegen dieses jungen Mannes hatte er Schmerzen jenseits aller Vorstellung erdulden müssen, Schmerzen, an die er sich gar nicht erinnern wollte. Und er hatte noch Schlimmeres als Schmerzen ertragen müssen. Al'Thors wegen war er zerbrochen und war wieder ins Leben gerufen worden. Natürlich gab ihm diese Wiedergeburt auch die Mittel zu seiner Rache in die Hand, aber das war nicht das Entscheidende. Neben seinem Wunsch, al'Thor zu vernichten, verblaßte alles andere.