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»Warum?« fragte er noch einmal.

Sie nippte seelenruhig an ihrem Wein, bevor sie antwortete: »Da du den Rest von uns meidest, werden ein paar der Auserwählten hierher zu dir kommen. Ich bin als erste gekommen, damit du nicht glaubst, es sei ein Angriff.«

»Andere? Ist das einer deiner Pläne? Ich habe es doch nicht nötig, mich nach den Plänen anderer zu richten!« Plötzlich lachte er. Es war ein tiefes, hallendes Lachen. »Also ist es kein Angriff, oder doch? Du bist ja niemand, der andere offen angreifen würde, ja? Vielleicht nicht so schlimm wie Moghedien, aber du hast immer am liebsten die Flanken und von hinten her angegriffen. Ich werde dir diesmal trauen, jedenfalls lange genug, um zu hören, was du zu bieten hast. Solange ich dich genau im Auge habe.« Wer Lanfear traute, wenn sie sich hinter ihm befand, war selbst schuld, wenn er ein Messer in den Rücken bekam.

Nicht, daß sie besonders vertrauenswürdig gewesen wäre, selbst wenn man sie im Auge hatte. Man konnte bei ihr nie sicher sein, ob sie nicht einen Wutanfall bekommen würde. »Wer soll denn noch an dieser Aktion beteiligt sein?«

Diesmal war die Warnung eindeutiger, denn es war ein Mann, der sich näherte. Ein weiteres Tor öffnete sich. Dahinter zeigten sich Marmorarkaden vor einem breiten Steinbalkon, und in einem wolkenlos blauen Himmel kreisten kreischende Möwen. Schließlich erschien ein Mann und trat hindurch. Der Torweg schloß sich hinter ihm.

Sammael war ein kräftig gebauter Mann, der größer erschien, als er tatsächlich war. Sein Schritt war schnell und energiegeladen, und sein Auftreten wirkte schroff. Mit seinen blauen Augen, dem goldenen Haar, dem sauber und eckig geschnittenen Bart hätte er vielleicht überdurchschnittlich gut ausgesehen, doch den Eindruck störte eine schräg verlaufende, lange Narbe, als hätte ein glühender Schürhaken seine Spur vom Haaransatz bis zum Kinn hinunter gezogen. Er hätte sie ja durchaus entfernen können, kaum, daß er die Verwundung erlitten hatte, vor so langer Zeit, doch er hatte sich dagegen entschieden.

Er war genauso eng wie Rahvin mit Saidin verbunden. Aus dieser Nähe konnte Rahvin es sogar spüren, wenn auch nur schwach. Sammael musterte ihn mißtrauisch. »Ich habe Dienerinnen und Tänzerinnen hier erwartet, Rahvin. Hattest du nach all diesen Jahren endlich die Nase voll von deinem Lieblingsvergnügen?« Lanfear lachte leise in ihren Wein hinein.

»Hat jemand das Wort ›Vergnügen‹ erwähnt?«

Rahvin hatte das dritte Tor noch gar nicht bemerkt, hinter dem ein großer Saal voller Brunnen und kannelierter Säulen, voller fast nackter Akrobaten und Diener, die noch weniger Kleidung trugen, zu sehen war. Seltsam, daß ein hagerer alter Mann in verknittertem Wams verloren zwischen den Akrobaten herumsaß. Ein Dienerpaar in durchscheinenden, winzigen Kleidungsstücken — der eine ein muskulöser Mann mit einem Tablett aus gehämmertem Goldblech und sie eine üppige Frau, die mit zitternden Händen Wein aus einer Kristallkaraffe in einen dazu passenden Becher auf dem Tablett goß — folgte dem eigentlichen Neuankömmling, bevor die Türöffnung verschwand.

In jeder anderen Gesellschaft als der ausgerechnet Lanfears hätte Graendal durch ihre reife und üppige Schönheit den gesamten Raum beherrscht. Ihr grünseidenes Kleid war tief ausgeschnitten. Zwischen ihren Brüsten hing ein Rubin von Hühnereigröße, und auf ihrem langen Haar von der Farbe der Sonne ruhte ein Diadem, das mit weiteren Rubinen besetzt war. Neben Lanfear wirkte sie aber lediglich mollig und hübsch. Falls sie der unvermeidliche Vergleich störte, ließ sie sich das aber nicht anmerken und lächelte lediglich amüsiert.

Goldene Armreifen klapperten, als sie mit einer stark beringten Hand nach hinten zu winkte. Ihre Dienerin reichte ihr schnell den gefüllten Kristallbecher und lächelte dabei unterwürfig, genau wie der Mann. Graendal beachtete es nicht. »Also«, sagte sie heiter. »Beinahe die Hälfte der überlebenden Auserwählten befinden sich am gleichen Ort. Und keiner versucht, den anderen umzubringen. Wer hätte das erwartet, und noch bevor der Große Herr der Dunkelheit zurückkehrt? Ishamael hat es eine Weile lang fertiggebracht, uns davon abzuhalten, daß wir uns gegenseitig an die Kehlen gehen, aber jetzt...«

»Sprichst du immer so offen vor deinen Dienern?« fragte Sammael mit leicht verzogenem Gesicht.

Graendal riß die Augen auf und blickte das Paar an, als habe sie die beiden vergessen gehabt. »Sie plaudern schon nicht. Sie verehren mich doch. Oder?« Die beiden fielen auf die Knie nieder und beteuerten fieberhaft ihre anbetungsvolle Liebe zu ihr. Es klang echt: Sie liebten sie wirklich. Jetzt. Nach einem Augenblick des Zuhörens runzelte sie ganz leicht die Stirn, und die Diener erstarrten mit offenen Mündern. »Sie reden wirklich ein bißchen viel. Na ja, nun werden sie dich wohl nicht mehr stören. Habe ich recht?«

Rahvin schüttelte den Kopf. Er fragte sich, wer sie wohl seien oder gewesen waren. Äußerliche Schönheit reichte Graendal bei ihren Dienern nicht aus; sie mußten auch Macht besitzen und hochstehende Persönlichkeiten gewesen sein. Einen früheren Lord als Lakai und eine Lady, die ihr das Bad richtete, so etwas gefiel Graendal. Sich damit zu amüsieren war ja auch schön und gut, doch sie verschwendete zuviel gutes Material. Wenn man sie richtig manipulierte, konnte dieses Paar von großem Nutzen sein, aber Graendal verlangte solche Hingabe von ihnen, daß sie nun wenig mehr als bloße Dekoration waren. Der Frau fehlte echtes Fingerspitzengefühl.

»Sollte ich mehr erwarten, Lanfear?« grollte er. »Hast du Demandred davon überzeugt, daß er doch nicht der Alleinerbe des Großen Herrn ist?«

»Ich bezweifle, daß er derart arrogant ist«, antwortete Lanfear verbindlich. »Er sieht ja, was das Ishamael eingebracht hat. Und das ist auch das Wesentliche. Graendal hat das vor einiger Zeit treffend ausgedrückt. Einst waren wir dreizehn Unsterbliche. Nun sind vier tot und einer hat uns verraten. Wir vier sind alle, die heute zusammentreffen, und das muß eben reichen.«

»Bist du sicher, daß Asmodean zum Überläufer geworden ist?« wollte Sammael wissen. »Er hatte doch sonst nicht den Mut, ein Risiko einzugehen. Woher hat er nun die Entschlossenheit, sich einer zum Scheitern verurteilten Sache anzuschließen?«

Lanfears kurzes Lächeln wirkte ausgesprochen amüsiert. »Er hatte den Mut, einen Hinterhalt zu legen, der ihn im Falle eines Erfolgs über uns alle gestellt hätte. Und als er vor der Wahl stand, entweder zu sterben, oder sich einer zum Scheitern verurteilten Sache anzuschließen, war nicht mehr viel Mut notwendig, um sich für letztere zu entscheiden.«

»Und er hat es sich wohl auch kaum lange überlegen müssen, wette ich.« Die Narbe ließ Sammaels höhnische Grimasse noch beißender erscheinen. »Wenn du nahe genug warst, um das alles zu wissen, warum hast du ihn dann am Leben gelassen? Du hättest ihn töten können, bevor er überhaupt wußte, daß du in der Nähe warst.«

»Ich töte nicht so schnell wie du. Es ist zu endgültig, ausweglos, und für gewöhnlich gibt es andere und profitablere Lösungen. Außerdem, um es in deiner Sprache auszudrücken, wollte ich keinen Frontalangriff auf überlegene Kräfte beginnen.«

»Ist er wirklich so stark?« fragte Rahvin leise. »Dieser Rand al'Thor. Hätte er dich in offener Auseinandersetzung überwältigen können?« Nicht, daß er oder Sammael das nicht gekonnt hätten, obwohl sich bei einem Versuch ihrerseits Graendal vermutlich Lanfear angeschlossen hätte. Was das betraf, waren beide Frauen höchstwahrscheinlich bis zum Bersten mit der Macht angefüllt und bereit, beim geringsten Verdacht sofort gegen einen der Männer loszuschlagen. Oder auch gegeneinander. Aber dieser Bauernbursche. Ein unausgebildeter Schafhirte! Unausgebildet, außer, falls Asmodean sich nun darum bemühte.