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»Woher weißt du, daß es keiner von uns hier ist?« fragte Graendal schlagfertig.

Lanfears Lächeln entblößte genauso viele Zähne wie das der anderen Frau und verströmte genauso wenig Wärme. »Weil ihr drei euch erst einmal eure eigenen Pfründe erworben und eure Machtpositionen gesichert habt, während die anderen nur aufeinander losgegangen sind. Und aus anderen Gründen. Ich sagte euch ja, daß ich Rand al'Thor genau überwache.«

Was sie über die anderen gesagt hatte, stimmte durchaus. Rahvin selbst bevorzugte Diplomatie und geheime Manipulationen einem offenen Konflikt gegenüber, obwohl er ihn nicht scheute, wenn er notwendig war. Sammael dagegen hatte immer am liebsten Heere zur Eroberung eingesetzt. Er würde sich Lews Therin, nicht einmal dem als Schafhirten wiedergeborenen, auf keinen Fall nähern, bevor er sich seines Sieges nicht sicher war. Auch Graendal zog die Eroberung vor, aber ihre Methoden hatten nichts mit Soldaten zu tun. Obwohl sie sich ständig mit ihren menschlichen Spielzeugen beschäftigte, tat sie normalerweise einen sicheren Schritt nach dem anderen. Ganz offen, was die Auserwählten eben als offen betrachteten, aber sie wagte sich bei keinem Schritt zu weit vor.

»Ihr wißt ja, daß ich ihn unbemerkt im Auge behalten kann«, fuhr Lanfear fort, »aber ihr anderen müßt euch von ihm fernhalten, denn sonst riskiert ihr die Entdeckung. Wir müssen ihn zurückholen... «

Graendal beugte sich interessiert vor, und Sammael begann zu nicken, als sie weitersprach. Rahvin enthielt sich noch seiner Meinung. Es könnte so funktionieren. Falls nicht, sah er mehrere Möglichkeiten, durch ein paar kleine Änderungen Vorteile zu erlangen. Das Ganze könnte sich wirklich gut entwickeln.

1

Das Feuer wird entfacht

Das Rad der Zeit dreht sich, und die Zeitalter kommen und gehen, hinterlassen Erinnerungen, die zu Legenden werden, verblassen zu bloßen Mythen und sind längst vergessen, wenn das Zeitalter wiederkehrt, das diese Legende einst gebar. In einem Zeitalter, von einigen das Dritte genannt, einem Zeitalter, das noch kommen wird und das schon lange vorbei ist, erhob sich ein Wind im großen Wald, den man den Braem-Forst nannte. Der Wind stand nicht am Anfang. Es gibt weder Anfang noch Ende, wenn sich das Rad der Zeit dreht. Aber es war ein Anfang.

Nach Südwesten wehte der Wind unter einer Sonnenscheibe aus geschmolzenem Gold. Im Land unter dem Wind hatte es wochenlang nicht mehr geregnet, und die Hitze dieses Spätsommers wuchs von Tag zu Tag. Zu früh braun verfärbte Blätter sprenkelten einen Teil der Bäume, und blanke Steine wurden von der Sonne gebacken, wo Bäche fließen sollten. Auf einer offenen Fläche, von der das Gras längst verschwunden war und deren dünne Krume nur von den Wurzeln dürrer, verwitterter Sträucher festgehalten wurde, begann der Wind, lange begrabene Steine freizulegen. Auch sie waren verwittert und von der Zeit gezeichnet. Kein menschliches Auge hätte darin die Überreste einer Stadt zu erkennen vermocht, die, längst vergessen, zum Stoff von Legenden geworden war.

Vereinzelt tauchten Dörfer auf, bevor der Wind über die Grenze nach Andor fegte. Auf den Feldern pflügten besorgte Bauern trockene Furchen. Der Wald war zu bloßen Dickichten geschrumpft, als der Wind schließlich den Staub über die einzige Straße eines Dorfes namens Korequellen wirbelte. Selbst die Quellen hier begannen diesen Sommer zu versiegen. Ein paar Hunde lagen schwer schnaufend in der drückenden Schwüle, und zwei Jungen mit bloßen Oberkörpern rannten hinter einer luftgefüllten Rindsblase her, die sie mit Stöcken über den Boden trieben. Sonst rührte sich nichts, außer natürlich dem Wind und dem Staub und dem knarrend einherschwingenden Schild über dem Eingang der Schenke, die wie jedes andere Gebäude an der Straße aus rotem Backstein erbaut und mit einem strohgedeckten Dach versehen war. Mit zwei Stockwerken war es aber das höchste und auch ansonsten größte Gebäude in Korequellen, einem sauberen und ordentlich wirkendem kleinen Dorf. Die gesattelten Pferde, die vor den Schenke angebunden waren, zuckten kaum mit den Schweifen. Das geschnitzte Wirtshausschild gab den Namen als ›Der Guten Königin Recht‹ an.

Min blinzelte in den Staub hinein und preßte ihr Gesicht wieder gegen die grobe Holzwand des Schuppens, damit sie mit einem Auge durch einen Spalt schielen konnte. Sie konnte gerade noch die Schulter des Wachtpostens an der Schuppentür erkennen, doch ihre Aufmerksamkeit galt ganz und gar der Schenke weiter unten an der Straße. Sie wünschte, der Name würde nicht gar so gut als Omen auf ihre Situation passen. Ihr Richter, der hier regierende Lord, war offensichtlich vor einiger Zeit angekommen, aber sie hatte ihn nicht zu sehen bekommen. Zweifellos hörte er sich jetzt die Anklagen der Bauern an. Admer Nem, zusammen mit seinen Brüdern und Cousins und all ihren Frauen, hatte ja dafür gestimmt, sie schnell aufzuhängen, bevor einer aus dem Gefolge des Lords vorbeikam. Sie fragte sich, welche Strafe einen hier erwartete, wenn man eine Scheune samt den darin stehenden Milchkühen niederbrannte. Natürlich unfreiwillig, aber sie glaubte, das zähle wahrscheinlich nicht viel, nachdem sie ja unerlaubt das Land des Besitzers betreten hatten.

Logain war in der allgemeinen Verwirrung entkommen und hatte sie verlassen. Das sah ihm ähnlich — verdammter Kerl! Sie wußte nicht einmal, ob sie darüber froh sein sollte oder nicht. Es war er gewesen, der Nem zu Boden gestoßen hatte, als er sie kurz vor Sonnenaufgang entdeckte. Dabei fiel die Laterne des Mannes ins Stroh. Wenn überhaupt, dann war es seine Schuld. Manchmal fiel es ihm schwer, das zu beachten, was er selbst sagte. Vielleicht war es gut, daß er weg war.

Sie drehte sich um und lehnte sich an die Wand. Dann wischte sie sich den Schweiß vom Gesicht, aber gleich rollten die nächsten Tropfen über ihre Stirn. Im Inneren des Schuppens war es unmenschlich heiß, doch ihre beiden Begleiterinnen schienen das gar nicht zu bemerken. Siuan lag auf dem Rücken ausgestreckt. Sie trug ein dunkles, wollenes Reitkleid, ähnlich dem Mins, und sie blickte hoch zum Dach des Schuppens, wobei sie mit einem Strohhalm gelangweilt auf ihr Kinn klopfte. Leane mit der kupferfarbenen Haut, gertenschlank und groß wie ein Mann, saß im Schneidersitz am Boden, nur im Unterhemd, und arbeitete mit Nadel und Faden an ihrem Kleid. Man hatte ihnen ihre Satteltaschen gelassen, nachdem man sie nach Schwertern oder Äxten oder anderen Dingen abgesucht hatte, die ihnen bei einer Flucht behilflich sein könnten.

»Wie bestraft man in Andor das Niederbrennen einer Scheune?« fragte Min. »Wenn wir Glück haben«, antwortete Siuan ungerührt, »dann prügelt man uns auf dem Dorfplatz. Wenn unser Glück nicht reicht, peitscht man uns richtig aus.«

»Licht!« hauchte Min. »Wie könnt Ihr so etwas als Glück bezeichnen?«

Siuan drehte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellbogen. Sie war eine kräftige Frau, nicht schön, aber immerhin gutaussehend, und sie wirkte höchstens ein paar Jahre älter als Min, doch diese scharfen, blauen Augen verströmten eine Autorität, wie sie so gar nicht zu einer jungen Frau paßte, die in einem Hinterwäldlerschuppen auf ihre Verurteilung wartete. Manchmal war Siuan genauso schlimm wie Logain, wenn sie sich vergaß, oder vielleicht noch schlimmer. »Wenn man verprügelt wird«, sagte sie in einem ›Red-keinen-Unsinn-und-bleib-auf-dem-Teppich‹-Tonfall, »dann ist es schnell vorbei, und wir können uns wieder auf den Weg machen. Dabei versäumen wir weniger Zeit, als bei jeder anderen Strafe, die ich mir vorstellen kann. Erheblich weniger als durch Hängen, beispielsweise. Aber ich glaube nicht, daß es dazu kommen wird, jedenfalls, soweit ich die Gesetze in Andor kenne.«

Min wurde einen Augenblick lang von Lachen durchgeschüttelt, aber sonst wäre sie vermutlich in Tränen ausgebrochen. »Zeit? Wo wir hingehen, haben wir alle Zeit der Welt. Ich schwöre, daß wir jedes Dorf zwischen Tar Valon und dem hier abgeklappert haben, und doch haben wir nichts gefunden. Keinen Schimmer, nicht einmal ein Gerücht. Ich glaube nicht, daß es tatsächlich einen Treffpunkt gibt. Und wir sind jetzt auch noch zu Fuß. Nach dem zu schließen, was ich aufschnappen konnte, hat Logain die Pferde mitgenommen. Zu Fuß, in einen Schuppen gesperrt, und dann noch auf das Licht weiß was warten müssen!«