Vom Oberdeck her sickerte ein bißchen Licht durch den Niedergang, und er konnte erkennen, wie die Geschützmannschaften ihr Gerät kontrollierten und die Persennigen abnahmen, um ihr Gerät zu kontrollieren und die Blöcke der Zugleinen und die Handspeichen zu überprüfen.
Von oben konnte er das gedämpfte Quietschen der Taljen hören, als die Netze über das Deck gezurrt wurden, welche die Kanonen und ihre Bedienungen vor fallenden Spieren und Rahen schützen sollten. Wie oft hatten sie das während der Viertausend-Meilen-Reise geübt?
Oben trieb die mächtige Stimme des Bootsmanns die Matrosen an ihre Plätze; die Decksplanken über Bolithos Kopf erzitterten unter dem Getrampel ihrer eilenden Füße.
Unten, in der Finsternis, dröhnte Tergorrens Stimme:»Beeilung, ihr verdammte Bande! Das dauert schon viel zu lange!»
Im mittleren Geschützdeck befanden sich, abgesehen von den Matrosen, die zur Bedienung der doppelten Reihe von Zweiunddreißigpfündern nötig waren, zwei Leutnants (nämlich Tergorren, der den Oberbefehl führte, und sein Adjutant, der Sechste Leutnant Mr. Wellesley) sowie vier Midshipmen. Diese letzteren waren gleichmäßig über alle Geschützdivisionen verteilt. Sie sollten Befehle weiterleiten, notfalls selbständig Feuerbefehl erteilen und als Gefechtsläufer zum Achterdeck fungieren. Bolitho und Dancer waren auf der Backbordseite; ein mürrischer Jüngling namens Pearce und der kleine Eden hatten die Steuerbordbatterie.
In der Mitte des Decks stand Tergorren mit dem Rücken zum Hauptmast, die Arme verschränkt, und überspähte mit gesenktem Kopf seinen Bereich. Nicht weit von ihm stand ein Posten der Marine-Infanterie am Niedergang, ebenso wie an den anderen Luken. Diese Posten sollten verhindern, daß im Durcheinander des Gefechts einer, den der Kampfesmut verließ, etwa irgendwo im Schiffsrumpf Zuflucht suchte.
Wellesley, der Sechste, lief säbelrasselnd die Backbordseite ab, wo er bei jedem Geschütz gerade so lange stehenblieb, bis der Geschützführer meldete:»Feuerbereit, Sir!»
Endlich war alles ruhig, nur das leise Heben und Senken des Schiffs, das regelmäßige Quietschen der Blöcke, wenn die Kanonen gegen die Taljen arbeiteten, unterbrach die Stille.
Bolitho konnte die Spannung, die über dem ganzen Schiff lag, förmlich riechen. Er versuchte, nicht an das Midshipmen-Logis im Orlopdeck zu denken, das ebenfalls umgeräumt war. Dort befanden sich jetzt der Schiffsarzt und seine Sanitätsgasten. Laternen brannten, chirurgische Instrumente blinkten in ihren offenen Behältern. Jedesmal, wenn Kapitän Conway» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen hatte, sah das Midshipmen-Logis so aus — kaum zu zählen, wie oft er es schon so gesehen hatte.
Tergorren schrie:»Mr. Wellesley! Warum dauert das so lange?»
Der Sechste rannte schlurfend zu ihm, stolperte über einen Ringbolzen und wäre beinahe lang hingefallen.
«Untere Batterie klar zum Gefecht, Sir!«Er verschluckte sich beinahe.
Auf dem Deck über ihnen gellte eine Pfeife, und jemand rief:»Klar zum Gefecht, Sir!»
Tergorren fluchte lästerlich.»Die haben uns schon wieder geschlagen, hol sie der Teufel!«Wütend fügte er hinzu:»Mr. Eden! Stellen Sie die Zeit fest! Aber marsch, marsch!»
Eden kam zurück und meldete keuchend:»Kompliment vom Ersten Leutnant, Schiff gefechtsklar in zwölf Minuten. «Er zögerte.»Aber…»
«Was — aber?»
Der Junge schluckte.»Aber wir haben länger als alle anderen Divisionen gebraucht, Sir.»
Weitere Befehle wurden gepfiffen; die Signale der Bootsmannspfeifen schrillten wie die Stimmen der Vögel auf einem Moor in Norfolk.
«Stückpforten auf!»
Bolitho beugte sich vor, weil eine übereifrige Geschützmannschaft aus der Reihe tanzte. Es war erstickend heiß im unteren Deck, aber gleich würden sich alle Pforten mit einem Schlag öffnen, hier und auf dem nächstoberen Deck. Jetzt — die Luken gingen hoch, und sofort spürte er die kühle Luft einströmen, und die Männer in seiner nächsten Umgebung gewannen Persönlichkeit und Bedeutung; matt glänzten ihre nackten Oberkörper im fahlen Frühlicht. Er warf einen raschen Blick nach achtern und sah, wie Dancer ihm flüchtig zuwinkte.
Während der Morgenwache hatte die Gorgon ihren Kurs geändert und steuerte jetzt Ostsüdost, denn der Wind hatte sich etwas nach Norden gedreht und war so geblieben. Das Schiff krängte leicht, und da der Wind von Backbord achtern kam, zeigten die Geschützläufe in Bolithos Abschnitt etwas nach oben und blieben frei von Gischt. Er konnte die lebhaften weißen Wellenkämme sehen, und auch ein paar seltsame Fische, die aus dem Wasser sprangen und wie Seevögel, auf der Fahrtwelle hüpfend, das Schiff ein Stück begleiteten. Er lehnte sich weiter hinaus, blickte um die Mündung eines Geschützes herum und sah drüben etwas Dunkles auf dem Wasser — das mußte die
Athen sein. Er versuchte zu erraten, was an Deck geschah. Das Prisenschiff kam aus seiner geschützten Leeposition heraus und nahm einen Kurs, der es offenbar zwischen die Gorgon und das Festland bringen sollte — aber wo sich das Festland befand, das wußte er nicht.
«Können Sie Land sehen, Sir?«fragte ein junger Matrose. Er war ein gutaussehender Bursche, der von Devon an Bord gekommen war. Während der Nachtwachen und bei heißen Exerziermanövern hatte er erzählt, daß seine gesamte Familie für einen dortigen Gutsherrn arbeite. Ein harter Mann, der dazu neigte, die Töchter seiner Pächter und Tagelöhner zu mißbrauchen. Mehr hatte er ihm nicht anvertraut, aber Bolitho war sicher, daß er den Gutsbesitzer verprügelt hatte und dann geflohen war, um an Bord eines Schiffes, irgendeines Schiffes, zu gelangen und so der Strafe zu entgehen.
Bolitho antwortete:»Wir müssen ganz dicht heran sein, Fairweather. Da sind schon ein paar Seevögel. Die wollen sich wohl mal unser Schiff ansehen würde mich nicht wundern.»
«Ruhe in der Batterie!«Tergorrens Wut schien sich über Offiziere und Matrosen gleichermaßen zu entladen.
Ein Mann schrie schmerzlich auf, als sein Geschützführer das Tauende sausen ließ; und von achtern her quäkte Wellesleys wenig imponierende Stimme:»He — schreiben Sie den Mann auf!»
Kein Mensch wußte, welchen Mann er meinte, und an wen der Befehl gerichtet war — nach Bolithos Schätzung wollte der Leutnant nur einen Anpfiff Tergorrens vermeiden.
Seltsam, hier unten kam man sich vor, als sei man vom ganzen übrigen Schiff abgeschnitten. Es wurde draußen heller, und auf der See malte sich ein Muster von Schwarz und Gelb, aber man konnte Himmel und Horizont noch nicht deutlich voneinander unterscheiden. Der quadratische Ausschnitt der Stückpforte in der dicken, eichenen Rumpfbeplankung wirkte wie der Rahmen eines Bildes; aber als das Licht stärker wurde und auf dem langen Rohr des Zweiunddreißigpfünders spielerisch entlanglief, schienen sie alle zu Teilen dieses Bildes zu werden. Jetzt bekam nämlich auch das Innere des Batteriedecks Farbe. Jetzt wurde der dunkelrote Anstrich der Innenseite des Schiffsrumpfes und eines Teils der Decksplanken unter ihren Füßen sichtbar. Warum ausgerechnet rot — das wußte jeder, auf dieser Farbe sah man das Blut der Toten und Verwundeten nicht so deutlich. Bolitho blickte über das abfallende Deck zur Gegenseite hinüber. Dort lagen die offenen Stückpforten noch im Dunkel, in das nur manchmal der Kamm einer Woge oder ein paar Schaumfetzen hineinblitzten.
Er blickte zu Tergorren hin. Der sprach ganz ruhig mit Jehan, dem Stückmeister. Dieser trug, wie immer, wenn er in seiner geliebten Pulverkammer arbeitete, dicke Filzschuhe, so daß er sich völlig lautlos bewegte. Eben verschwand er in der Luke, wo der Posten stand, und Bolitho überlegte sich, ob Dancer wohl daran dachte, daß er so ziemlich auf der gefährlichsten Stelle des ganzen Schiffes stand; denn genau unter seinen Füßen lagerte eine Unmenge Schießpulver, das bei einem Gefecht jederzeit in die Luft fliegen konnte.