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Dancer spähte übers Schanzkleid und raunte Bolitho zu:»Der Erste hat Angst. Ich habe noch nie erlebt, daß er einen Scherz macht.»

«Horcht mal!«Verling hob die Hand.»Eine Trompete! Jetzt haben wir sie endlich wachgekriegt. «Er wurde ernst.»Teilen Sie die Leute ein, Mr. Tergorren. Sie wissen ja Bescheid. Weiter östlich ist so eine Art Mole, direkt unterhalb der Festung. Da sollen die Händler ihre Sklaven ausladen, heißt es, und von dort werden sie mit Booten auf die seegehenden Schiffe gebracht.»

Er legte seinen Hut aufs Deck und musterte die Umstehenden mit raschen Blicken.

«Legt alles ab, was nach Uniform aussieht, und laßt euch überhaupt so wenig wie möglich sehen. Befehl an die Marine-Infanterie: Unten bleiben und Angriffssignal abwarten ganz egal, was passiert!»

Die Brigg holte schnell auf; mehrere ihrer agilen Sechspfünder feuerten, und hier und da spritzte eine Kugel gefährlich dicht bei der Dhau ins Wasser.

Jetzt erschütterte ein mächtiges Krachen die Luft, und Sekunden später sah Bolitho, wie eine Fontäne dicht am Bugspriet der Sandpiper zum Himmel aufschoß.

Die Segel der Brigg flappten, als Leutnant Dallas noch dichter heranging und dabei die Flagge an der Gaffel hissen ließ, um den Feind noch mehr zu reizen.

Sofort blitzte es an mehreren Stellen hinter der Brustwehr der alten Festung auf. Aber die Schüsse waren ungenau; die spritzenden Einschläge, ebenso heftig wie der erste, lagen weit ab von der Brigg.

Wahrscheinlich, dachte Bolitho, waren die Geschütz-bedienungen noch halb im Schlaf, oder sie konnten nicht glauben, daß sich so ein zierliches Schiffchen, das außerdem erst vor wenigen Tagen im Bereich eben dieser Kanonen geentert worden war, noch näher herantrauen würde.

Er biß sich auf die Lippen, als eine schwere Kugel genau zwischen den beiden Masten der Brigg hindurchflog. Es war ein Wunder, daß kein Mast getroffen wurde, jedoch mehrere Enden gerissener Takelung wehten im Wind wie Lianen im Urwald. Dicht an seinem Ohr vernahm er Verlings Stimme:»Glotzen Sie nicht dauernd auf die Sandpiper! Richten Sie Ihre Augen und Ihre Gedanken nach vorn! Vielleicht irren wir uns mit der Einfahrt. Vielleicht ist Mr. Starkies Gedächtnis doch nicht so zuverlässig.»

Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf Verling. Jetzt, da der Leutnant seinen Hut nicht aufhatte, der normalerweise als Gegengewicht zu seiner Nase wirkte, glich diese mehr denn je einem Geierschnabel. Und noch etwas fiel ihm auf: Verlings Gesicht trug den Ausdruck äußerster Konzentration und Entschlossenheit aber es war auch das Gesicht eines Mannes, dem jetzt alles gleichgültig geworden war.

Bolitho blickte weg. Er hatte diesen Ausdruck schon einmal gesehen auf dem Gesicht eines Straßenräubers, der auf dem Schinderkarren zum Galgen gefahren wurde.

Behutsam tastete sich das Sonnenlicht über das Land und spielte auf den Festungsmauern. Hinter den verwitterten Zinnen sah man ein paar spähende Köpfe, und dann erblickte Bolitho am Fuß der entfernteren Mauer so etwas wie einen Flaggenmast.

Verling hatte ihn bereits gesehen.»Die Einfahrt. «Er drehte sich zu Hoggett um.»Das da drinnen muß ein Mast sein. Da liegt schon ein Schiff. Auch eine Dhau, höchst-wahrscheinlich. «Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von seinem hageren Gesicht.»Halten Sie darauf zu.»

Tergorren eilte nach achtern; nur unter Schwierigkeiten konnte er seinen massigen Körper hinter einem Haufen Reservesegel und Fischereigerät verbergen, die überall auf dem schmutzigen Deck herumlagen.

«Alles klar, Sir.»

Bolitho blickte ihn fest an; Tergorren zuckte mit keiner Wimper.

Trotz? Mißachtung? Es war schwer, im Antlitz dieses Mannes eine Gemütsbewegung zu entziffern. Sogar seine gesunde Gesichtsfarbe kehrte langsam wieder, und Bolitho fragte sich, was wohl passieren würde, wenn Tergorren vor dem Angriff Zeit fand, etwas zu trinken.

«Die Sandpiper geht über Stag, Sir. Anscheinend will sie nochmals feuern.»

Bolitho hielt den Atem an, als zwei Kugeln zu beiden Seiten des schlanken Rumpfes der Brigg einschlugen, während sie mit gefierten Rahen durch den Wind ging, um die Dhau abzufangen. Die Geschütze auf den Mauern erglänzten im ersten Sonnenschein, und Bolitho stellte sich vor, wie die Festungsbesatzung sich über die Brigg lustig machte. Sie mochte ja ein kleines Schiff sein, aber jetzt, der Gewalt der Piraten entrissen, war sie eine schwer zu schluckende Herausforderung. Und außerdem war sie trotz allem ein Symbol für die Macht der größten Flotte der Welt. Doch der starken Festungsartillerie gegenüber war sie so hilflos wie ein lahmes Pferd.

«Männer auf dem Landungssteg, Sir«, meldete Pearce, der im Bug neben einem Drehgeschütz kniete.»Sie beobachten uns.»

Hoggetts verwittertes Gesicht wurde auf einmal ganz hart. Die nächsten Minuten waren entscheidend. Merkten die Piraten, was gespielt wurde, so hatte man sehr bald das Artilleriefeuer der Festung um die Ohren. Und ein paar Sekunden später lag die Insel zwischen ihnen und dem offenen Meer, dann konnten sie nicht mehr weg. Laut rumpelten ihm die Eingeweide im Leib, und er warf Dancer einen raschen Blick zu. Sein Freund atmete sehr heftig und fuhr erschrocken auf, als Bolitho ihn bei der Schulter faßte und an Deck niederzog.

Bolitho versuchte zu lächeln.»Wenn die dein blondes Haar sehen, dann wissen sie, daß wir wahrscheinlich nicht als Freunde kommen!»

Er wandte sich um, als Verling knurrte:»Gut, daß Sie das sagen. Daran hätte ich selbst denken sollen. «Aber dann blickte er wieder voraus; seine Gedanken waren schon viel weiter als die Dhau.

Wieder donnerten die Geschütze, aber es klang gedämpfter, denn die Brigg war jetzt durch einen Vorsprung der Festungsmauern verdeckt.

Näher, immer näher. Über der Stelle, wo Bolitho lag, tauchte die Turmspitze auf, und er versuchte mühsam, sich die trockenen Lippen zu lecken. Kannte der Feind die Dhau? War sie schon einmal hiergewesen?

Er blickte Verling an, der mit untergeschlagenen Armen neben den beiden Rudergängern stand. Einer von diesen war ein Neger; es gab mehrere Neger unter den Matrosen der Gorgon. Dadurch würde die kleine Gruppe echter wirken, dachte Bolitho; und Verling — jeder Zoll ein Sklaventreiber, das konnte man wahrhaftig sagen.»Laß fallen Großsegel!«kommandierte er.

Die Masse von geflickter Leinwand und Lederschlingen rauschte zu Boden und versank im Schiffsraum, und auf einmal lag das Deck in der hellen Sonne.

Am Kopf der Mole standen ein Dutzend Männer oder noch mehr. Regungslos sahen sie zu, wie die Dhau den brüchigen Steindamm umrundete. Jenseits der Mole befand sich ein hoher, grottenartiger Felseinschnitt, direkt unterhalb der Festungs-mauer. Dort lagen mehrere Schiffe vor Anker; und das größte, eine der ihrigen sehr ähnliche Dhau, lag noch außerhalb, denn ihre Masten waren zu hoch für die Einfahrt gewesen.

Dreißig Fuß. Noch zwanzig. Dann stieß einer der Männer auf der Mole einen Ruf aus, ein anderer kam die Stufen hinuntergerannt und spähte mißtrauisch in das Innere der Dhau.

Gepreßt rief Verling:»Anlegen! Sie haben uns erkannt!«Damit riß er seinen Degen aus der Scheide und sprang mit seinen langen Beinen vom Heckaufbau hinunter auf die Mole, noch ehe Hoggett und seine Leute das lange Ruder herumdrücken konnten.

Jetzt schien alles auf einmal zu geschehen. An Bug und Schanzkleid flogen die Persennige von den Drehgeschützen, und eine Salve fuhr krachend in die Gruppe auf der Mole. Die vordersten fielen, wanden sich schreiend unter einem Hagel von gehacktem Blei, und die weiter hinten Stehenden wurden vom Heckgeschütz reihenweise niedergemäht.

Bolitho merkte plötzlich, daß seine Beine ihn hinter dem Leutnant her auf die Mole getragen hatten, obwohl er sich nicht erinnern konnte, daß und wie er über das Schanzkleid gesprungen war. Matrosen quollen aus allen Luken, sprangen mit wildem Hurrageschrei von Bord und stürmten auf die Hafeneinfahrt zu. Musketenfeuer empfing sie von der Mauer her, und einige fielen bereits, ehe sie zwanzig Meter zurückgelegt hatten.