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Die Wahrheit, wie auch die Lüge, liegt in der Namensgebung, denn nichts verzerrt so wie ein falscher Name. Ein falscher Name vermag die Realität genauso zu verändern wie den Schein.

Ich wollte, daß du mich liebtest, nicht sie. Ich war Gwen Delvano, und ich wollte Gwen Delvano so gut wie nur möglich sein, aber dennoch ich selbst bleiben. Ich kämpfte dagegen an, Jenny zu sein. Aber du wolltest sie nicht aufgeben und hast nie etwas davon gemerkt.

Deshalb habe ich dich verlassen.« Als sie endete, war ihre Stimme leidenschaftslos und ruhig, ihr Gesicht glich einer Maske. Dann wandte sie sich wieder ab. Und endlich verstand er alles. Sieben Jahre war er im unklaren gewesen, und jetzt verstand er plötzlich alles auf einen Schlag. Das war also der Grund, aus welchem sie das Flüsterjuwel geschickt hatte. Nicht um ihn zurückzurufen, nein, keineswegs. Sondern um ihm endlich zu sagen, warum sie ihn weggeschickt hatte. Das ergab irgendwie einen Sinn. Plötzlich verwandelte sich sein Ärger in lähmende Melancholie. Kalt und unbeachtet rann Sand durch seine Finger. Sie sah sein Gesicht, und ihre Stimme wurde sanfter. »Es tut mir leid, Dirk«, sagte sie. »Aber du hast mich wieder Jenny genannt. Und ich mußte dir die Wahrheit sagen. Ich habe nicht alles vergessen und kann mir das bei dir auch nicht vorstellen. Die ganzen Jahre habe ich darüber nachgedacht. Es war so gut, als es gut war, habe ich immer wieder gedacht. Wie konnte es nur schiefgehen?

Es ängstigte mich, Dirk. Ich hatte wirklich Angst davor.

Ich dachte: Wenn es mit uns nicht klappt, mit Dirk und dir, dann ist nichts sicher, dann kann ich mich auf nichts mehr verlassen. Zwei Jahre lähmte mich diese Furcht.

Aber schließlich, als ich Jaan traf, da verstand ich alles.

Jetzt kam alles hervor, und ich fand die Antwort. Es tut mir so leid, wenn sie dir Schmerzen bereitet. Aber du mußtest es wissen.« »Ich hatte gehofft…«

»Nein«, warnte sie. »Fang nicht wieder an, Dirk! Nicht noch einmal. Versuche es niemals mehr. Zwischen uns ist es aus, bitte begreife das. Wenn wir es noch einmal miteinander versuchen, bringen wir uns dadurch um.«

Er seufzte. Sie kam ihm jedesmal zuvor. Während des langen Gesprächs hatte er sie nicht einmal berührt. Er fühlte sich hilflos. »Ich nehme an, Jaan nennt dich nicht Jenny?« fragte er endlich mit bitterem Lächeln. Gwen lachte. »Nein. Als Kavalarin habe ich einen geheimen Namen, mit dem nur er mich ruft. Aber diesen Namen habe ich übernommen, also erwachsen keine Probleme daraus. Es ist mein Name.« Er zuckte nur mit den Achseln. »Dann bist du also glücklich?« Gwen erhob sich und wischte sich den verbliebenen Sand von den Beinen. »Jaan und ich — nun, da ist einiges nicht leicht zu erklären. Einst warst du ein Freund, Dirk, vielleicht mein bester Freund. Aber du warst lange Zeit weg. Dränge mich bitte nicht allzusehr. Im Moment brauche ich einen Freund. Ich rede mit Arkin, und er hört mir zu, aber er kann mir kaum helfen. Er ist zu voreingenommen, blind gegenüber den Kavalaren und ihrer Kultur. Jaan, Garse und ich haben Probleme, wenn du das meinst. Aber es ist schwer, darüber zu reden. Gib mir Zeit. Warte, wenn du willst. Und sei wieder mein Freund.«

Kein Lüftchen bewegte den See im ewigen grauroten Sonnenuntergang. Dirk beobachtete das dick mit Schlieren und Algenräude überzogene Wasser und dachte an den Kanal auf Braque zurück. Dann brauchte sie ihn also doch, überlegte er. Möglicherweise verlief nicht alles so, wie er sich das erhofft hatte. Aber es gab etwas, das er ihr bieten konnte. An diesen Strohhalm klammerte er sich: Er wollte geben, er mußte geben. »Wie dem auch sei«, sagte er beim Aufstehen, »ich verstehe eine ganze Menge noch nicht, Gwen. Zuviel verstehe ich nicht. Mir kommt es so vor, als wäre die Hälfte der Gespräche der letzten vierundzwanzig Stunden einfach an mir vorbeigerauscht. Ich weiß nicht einmal, was ich fragen soll, ich kann es aber versuchen. Ich glaube, ich schulde dir etwas, ich schulde dir aus irgendeinem Grunde etwas.« »Wirst du warten?«

»Und zuhören, wenn die Zeit gekommen ist.«

»Dann bin ich froh, daß du da bist«, sagte sie. »Ich brauchte einen Menschen. Einen Außenstehenden. Du kamst zur rechten Zeit, Dirk. Welch glückliche Fügung.«

Seltsam, dachte er, eine glückliche Fügung zu bestellen. Er sagte jedoch nichts. »Was nun?«

»Jetzt werde ich dir den Wald zeigen. Schließlich sind wir deshalb hergekommen.«

Sie nahmen ihre Himmelsflitzer auf und entfernten sich von dem spiegelglatten See. Vor ihnen wartete der dichte Wald. Sie folgten keinem Pfad, denn das Unterholz stand licht und erschwerte das Vorankommen in keiner Weise.

Schweigend, mit hängenden Schultern, die Hände tief in die Taschen versenkt, studierte Dirk die Bäume seiner näheren Umgebung. Nur Gwen sprach, wenn überhaupt gesprochen wurde. Ihre Stimme klang tief und ehrfurchtsvoll wie das Flüstern eines Kindes in einer riesigen Kathedrale. Meistens jedoch zeigte sie nur auf etwas, und er sah in die Richtung ihres ausgestreckten Arms. Die Bäume in der Nähe des Sees waren vertraute Freunde, die Dirk schon tausendmal zuvor gesehen hatte.

Denn hier befand er sich im sogenannten Heimatwald, sah Bäume, die der Mensch von Stern zu Stern mitgenommen und auf allen bewohnbaren Welten angepflanzt hatte. Der Heimatwald stammte von Alt-Erde, aber dort zeigte er nicht das gleiche Erscheinungsbild. Auf jedem neuen Planeten kamen weitere Lieblingsbäume und -pflanzen der Menschheit zum Reservoir der exportierten Erdflora hinzu. Wenn sich danach die Sternenschiffe wieder auf ihren Weg machten, trugen sie zusammen mit den zweifach entwur-zelten Enkeln der Erde Setzlinge jener Welten mit sich.

Auf diese Weise wuchs der Heimatwald. Langsam bewegten sich Gwen und Dirk durch diesen Wald, wie es schon andere auf einem Dutzend anderer Welten immer wieder getan hatten. Sie kannten die Bäume. Ein Zuckerahorn dort, ein Feuerahorn hier, eine falsche und eine echte Eiche, Silbertannen, Giftkiefern und Asten.

Die Außenweltler hatten sie hierhergebracht, nachdem deren Vorfahren sie an den Rand verpflanzten, um den Planeten einen Anstrich jener fernen Heimat zu geben, die keiner von ihnen mehr kannte — und vielleicht als Fremde empfunden hätte. Aber hier sahen diese Wälder anders aus. Es war das Licht, stellte Dirk nach einer gewissen Zeit fest. Das so spärlich vom Himmel tropfende Licht, die blaßrote Düsterkeit, die sich als Worlorns Tag ausgab. Das hier war ein Zwielichtwald.

Eingeschlossen in die Behäbigkeit der Zeit — in einen langgedehnten Herbst —, starb er langsam.

Dann sah er genauer hin und bemerkte, daß die Zuckerahorn-Bäume kahl waren. Ihre verwelkten Blätter lagen am Boden. Sie würden keine neuen treiben. Auch die Eichen waren wie abgestorben. Er hielt inne und hob ein Feuerahornblatt auf. Die feinen roten Adern waren schwarz geworden. Und die Silbertannen waren in Wirklichkeit schmutziggrau.

Als nächstes würde Fäulnis einsetzen.

An einigen Stellen hatte der Wald schon angefangen zu vermodern. In einem verlassenen Tal, wo der Humus dicker und schwärzer lag als anderswo, bemerkte Dirk einen leichten Geruch. Fragend sah er Gwen an. Sie bückte sich und hielt ihm eine Handvoll schwarzer Erde unter die Nase. Er wandte sich ab.

»Das war ein Moosbett«, erklärte sie ihm mit klagender Stimme. »Sie haben es den ganzen Weg von Eshellin hierhergebracht. Vor einem Jahr noch war es ganz grün und scharlachrot mit vielen kleinen Blüten. Die Schwärze hat sich schnell ausgebreitet.«

Sie gingen tiefer in den Wald hinein, fort von dem See und fort von der Bergwand. Nun standen die Sonnen fast im Zenit. Fetter Satan, trüb und aufgedunsen wie ein blutgetränkter Mond, ungleichmäßig umringt von vier kleinen gelben Sonnensternen. Worlorn war zu weit und in die falsche Richtung zurückgewichen, der Radeffekt war dahin. Länger als eine Stunde waren sie schon gegangen, als die Beschaffenheit des Waldes sich veränderte. Langsam, ganz unterschwellig, stellte sich die Veränderung ein, fast zu schleichend, um von Dirk bemerkt zu werden. Aber Gwen wies ihn darauf hin. Der vertraute, heimatliche Mischwald löste sich auf, gab etwas Fremderem nach, etwas Einzigartigem, etwas Unbändigem. Trostlose schwarze Bäume mit grauen Blättern, hohe, rotbespitzte Dornensträucher, herabhängende Ranken von bleich phosphoreszierendem Blau, große zwiebelförmige Pflanzen mit flockigen Klecksen. Gwen zeigte auf alle und gab jedem einen Namen. Ein Typus begann mehr und mehr zu dominieren: ein hochaufragendes, gelbliches Gewächs, das aus seinem wächsernen Stamm eine Unzahl von Ästen sprießen ließ, denen wiederum kleinere Äste entsprangen und diesen noch kleinere, bis ein dichtes Holzgewirr daraus geworden war. Gwen nannte sie Würger, und Dirk erkannte schon sehr bald den Grund.