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Vikarys Gesicht wurde nachdenklich. »Gwen«, sagte er, »kannst du ihn nicht überzeugen, daß es sicherer wäre, wenn …« »Nein«, erwiderte sie scharf. »Ich begrüße deine wohlwollenden Absichten, Jaan, das weißt du. Aber ich kann Dirks Gefühle verstehen. Auch mir gefällt es nicht, beschützt zu werden, und ich weigere mich, wie Dirk, Eigentum zu sein.« Der Klang ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß eine weitere Diskussion sinnlos war.

Vikary sah die beiden hilflos an. »Na schön«, sagte er und nahm Dirks abgelegte Nadel auf. »Ich sollte Ihnen etwas sagen, t’Larien. Die Braiths sind hoffnungslose Sklaven ihrer Tradition. Sie durchstöbern die Wälder und finden selten einen Menschen in der Wildnis. Wir hingegen suchen in den Städten, und nur aus diesem Grunde haben wir bisher mehr Erfolg gehabt als die Jäger. Bis vor ein paar Tagen hatten sie keine Ahnung, was Garse und ich hier treiben. Aber heute morgen kam Lorimaar Hoch-Braith zu mir und beschwerte sich, daß er den Tag zuvor mit seinem teyn gejagt habe und dabei auf Wild gestoßen sei, das er sich nicht habe nehmen können.

Das Wild, das er meinte, war ein Mann auf einem Himmelsflitzer, der allein über den Bergen dahinflog.«

Er hob die Bansheenadel hoch. »Ohne dieses hier«, sagte er, »hätte er Sie zur Landung gezwungen oder vom Himmel gelasert, Sie durch die Wildnis gehetzt und schließlich getötet.«

Er steckte die Nadel in die Tasche und sah Dirk eine ganze Weile bedeutungsvoll an. Dann ging er fort.

4

»Es ist wirklich ein Pech, daß du heute morgen in Lorimaar hineingerannt bist«, sagte Gwen, nachdem Jaan gegangen war. »Es gab keinen Grund, dich da hineinzuziehen, und ich hatte gehofft, dir all diese gräßlichen Details ersparen zu können. Ich hoffe, du behältst das alles für dich, wenn du Worlorn verlassen hast.

Überlasse die Braiths nur Jaan und Garse. Unternehmen werden andere sowieso nichts — es wird höchstens darüber geredet, und unschuldige Leute auf Hoch Kavalaan werden verleumdet. Erzähle vor allem Arkin nichts! Er verachtet die Kavalaren und bringt es fertig, sofort nach Kimdiss aufzubrechen.« Sie stand auf. »Und jetzt schlage ich vor, daß wir von etwas Vernünftigerem sprechen. Wir haben nur wenig Zeit füreinander. Bevor ich zurück an meine Arbeit gehen muß, kann ich mich dir gern noch als Fremdenführer zur Verfügung stellen. Wir wollen uns von den Braith-Schlächtern die wenigen Tage nicht verderben lassen, die uns zur Verfügung stehen.«

»Ich lasse mich gern von dir führen«, sagte Dirk, eifrig darauf bedacht, sie bei guter Laune zu halten, obwohl ihn die Angelegenheit mit Lorimaar und seinen Spottmenschen doch ziemlich verwirrt hatte. »Hast du dir schon etwas ausgedacht?«

»Ich könnte wieder mit dir in die Wälder fliegen«, sagte Gwen. »Sie erstrecken sich über endlose Weiten, und es gibt Hunderte von faszinierenden Sehenswürdigkeiten in der unberührten Natur: Seen voller Fische, die weit größer sind als wir, Erdhügel, größer als dieses Gebäude, erbaut von Insekten, die kleiner sind als der Nagel deines kleinen Fingers, ein unglaubliches Höhlensystem, das Jaan in den Bergen entdeckte. Jaan ist der geborene Höhlenforscher. Trotzdem finde ich es besser, wenn wir es heute einmal ruhig angehen lassen. Wir wollen nicht zuviel Salz in Lorimaars Wunde streuen, sonst veranstalten er und sein fetter teyn womöglich noch eine Jagd auf uns, und Jaan hat dann den ganzen Ärger. Heute zeige ich dir die Städte. Auch sie können faszinierend sein, ein Hauch makabrer Schönheit umgibt sie. Wie Jaan schon sagte, ist Lorimaar noch nicht darauf gekommen, dort zu jagen.«

»In Ordnung«, sagte Dirk ohne großen Enthusiasmus.

Gwen zog sich schnell um und nahm ihn mit zum Dach hinauf. Die Himmelsflitzer lagen noch immer dort, wo sie von ihnen einen Tag zuvor zurückgelassen worden waren. Dirk hob sie auf, aber Gwen nahm ihm das silbern schimmernde Metallgewebe aus der Hand und warf die Flitzer auf den Rücksitz des grauen Mantaflugwagens.

Dann suchte sie die Flugstiefel und Kontrollinstrumente zusammen und verfuhr mit ihnen genauso. »Heute nehmen wir die Flitzer nicht«, sagte sie. »Wir haben einen weiten Weg vor uns.«

Dirk nickte, und beide schwangen sich über die Flügel des Gleiters auf die Vordersitze. Worlorns Himmel gab ihnen das Gefühl, als kämen sie von einer Expedition zurück, anstatt zu einer aufzubrechen. Um den Gleiter heulte der Wind. Dirk übernahm für kurze Zeit den Steuerknüppel, damit Gwen ihr langes schwarzes Haar zusammenbinden konnte. Seine eigene graubraune Mähne flatterte in ungestümen Konvulsionen, als sie in den Himmel hinaufschossen, aber er war so in Gedanken versunken, daß er es gar nicht bemerkte, geschweige denn sich daran gestört hätte.

Gwen zog die Maschine hoch über den Bergkamm und steuerte nach Süden. Das friedliche Freigelände mit den sanft gewellten Linien der grasbewachsenen Hügel und den sich zwischen ihnen hindurchschlängelnden Flüßchen, erstreckte sich zu ihrer Rechten, bis der Himmel in weiter Ferne mit ihm zusammentraf. Zu ihrer Linken, wo das Bergmassiv auslief, konnten sie den Rand der Wildnis ausmachen. Die würgerinfizierten Stellen waren selbst aus dieser Höhe zu erkennen — gelbe Krebsgeschwüre, die sich in das dunklere Grün gefressen hatten. Fast eine Stunde lang flogen sie schweigend dahin. Dirk war in Gedanken versunken und versuchte, die neuen Fakten miteinander in Einklang zu bringen — was ihm aber nicht gelingen wollte. Er gab es auf, als ihn Gwen schließlich lächelnd ansah. »Ich fliege gern einen Gleiter«, sagte sie, »selbst diesen. Ich fühle mich dabei so frei und sauber, abgeschnitten von all den Problemen dort unten. Weißt du, was ich meine?« Dirk nickte. »Ja.

Du bist nicht die erste, die so etwas sagt. Eine Menge Leute fühlen so. Ich übrigens auch.«

»Stimmt«, sagte sie. »Ich bin mit dir geflogen, erinnerst du dich? Auf Avalon! Ich flog stundenlang, einmal sogar vom frühen Morgen bis zum späten Abend, und du hast nur neben mir gesessen, einen Arm aus dem Fenster gehängt und mit verträumtem Blick in die Ferne gestarrt.« Sie lächelte schelmisch.

Er erinnerte sich genau. Jene Ausflüge waren etwas ganz Besonderes gewesen. Sie hatten dabei niemals viel gesprochen, sich nur von Zeit zu Zeit angesehen, und jedesmal, wenn ihre Augen einander begegnet waren, mußten sie lächeln. Es war unausweichlich gewesen, so sehr er auch dagegen angekämpft hatte, das Lächeln war automatisch gekommen. Aber nun schien alles so schrecklich weit weg und für immer entschwunden zu sein.

»Wie bist du darauf gekommen?« fragte er sie.

»Du«, sagte sie gestikulierend. »Du sitzt hier schlaff herum und läßt einen Arm ins Freie baumeln. Ach, Dirk!

Du hältst mich zum Narren, nicht wahr? Ich glaube, du hast das mit Absicht gemacht. Du willst, daß ich mich an Avalon erinnere, daß ich lächle und dich wieder umarmen möchte. Pah.« Und sie lachten gemeinsam.

Ohne nachzudenken, glitt Dirk nach links und legte den Arm um sie. Gwen sah ihm kurz ins Gesicht, dann zuckte sie hilflos die Achseln, und ihr finsterer Gesichtsausdruck löste sich in einem resignierenden Seufzer, ging schließlich in widerstrebendes Lächeln über. Und sie entzog sich ihm nicht. Sie flogen zu den Städten.

Die Stadt des Morgens war eine weiche Pastellvision in einem weiträumigen grünen Tal. Gwen landete den Gleiter auf einem der terassenförmigen Plätze, und sie schlenderten eine Stunde lang auf den breiten Boulevards. Die Stadt war zauberhaft. Sie bestand aus blassem Stein und rosa Marmor, den feinste Äderchen von dunklerer Farbe durchzogen. Die Straßen waren breit und in Sinuskurven geschwungen, die Häuser flach und augenscheinlich zerbrechliche Strukturen aus poliertem Holz und farbigen Mosaikfenstern. Überall fanden sie kleine Parks und großzügige Promenaden. Wohin man sah, erfreuten künstlerische Arbeiten das Auge: Statuen, Gemälde, Wandbilder an Gebäuden und auf Gehwegen, Steingärten und lebende Baum-Skulpturen. Aber nun machten die Parks einen desolaten und verwilderten Eindruck. Das blaugrüne Gras wucherte außer Rand und Band. Schwarze Kletterpflanzen schlängelten sich über die Gehwege. Die Mäuerchen, welche oftmals die Parks umgaben, waren zugewachsen, und die wetterharten Baum-Skulpturen hatten solch groteske Formen angenommen, daß ihre Schöpfer sie wohl kaum wiedererkannt hätten.