Und doch gibt es trotz allem auch noch andere Momente. Waffenstillstände, kleine Feuerpausen in unserem nie enden wollenden Krieg, Zeiten überraschender Wärme und Zuneigung. Oft treten sie nachts auf. Ich bin dann immer schockiert. Sie sind so unglaublich intensiv. Du kannst es mir glauben oder nicht, einmal sagte ich Garse, ich würde ihn lieben. Er lachte mich aus. Diese Gefühle könne er seinerseits nicht im geringsten erwidern, sagte er laut. Für ihn sei ich vielmehr cro-betheyn, und er behandle mich nur so, weil das die Beziehung zwischen uns dreien so erfordere. Es war das letzte Mal, daß ich dem Heulen nahe war. Aber ich kämpfte mit aller Macht dagegen an und gewann. Ich weinte nicht. Ich rief ihm nur ein Schimpfwort zu und rannte in den Gang hinaus. Wir wohnten unter der Erde, weißt du. Auf Hoch Kavalaan lebt alles unter der Erde.
Außer meiner Armspange trug ich nicht viel auf dem Leibe, und ich rannte kopflos herum, bis ich auf einen Mann traf, der mich aufhalten wollte. Ein Betrunkener, ein Idiot, was weiß ich, ein Blinder jedenfalls hätte mein Jade-und-Silber erkennen können. Ich war so wütend, daß ich ihm die Waffe aus dem Holster zog und ihm damit ins Gesicht schlug. Noch nie zuvor hatte ich jemand im Zorn geschlagen. Dann tauchten auch schon Jaan und Garse auf. Jaan schien sehr ruhig, aber innerlich kochte er. Garse war fast glücklich, er legte es auf einen Streit an. Als sei der Mann, den ich überwältigt hatte, noch nicht genug beleidigt worden, mußte Garse mir sagen, ich solle die Zähne, die ich ihm ausgeschlagen hatte, aufheben und an den Besitzer zurückgeben.
Glücklicherweise kam es darüber nicht zum Duell.«
»Wie, zum Teufel, konntest du nur in eine solche Situation hineingeraten, Gwen?« wollte Dirk wissen. Er hatte Mühe, seine Stimme am Überschlagen zu hindern.
Er war wütend auf sie, fühlte sich mit ihr verletzt und seltsamerweise — doch vielleicht war das gar nicht so seltsam — froh. Alles was ihm Ruark erzählt hatte, war wahr. Der Kimdissi war ihr guter Freund und Vertrauter, kein Wunder, daß sie nach ihm geschickt hatte. Ihr Leben war ein einziger Jammer, sie war eine Sklavin, und nur er konnte das ändern, auf ihn kam es an. »Du hättest dir doch denken können, was dabei herauskommt.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich habe mir etwas vorgemacht«, sagte sie, »und ich ließ mir von Jaan etwas vormachen, obwohl ich denke, daß er all die Trugbilder, die er mir vorgaukelt, als Realität nimmt. Hätte ich noch einmal die Wahl… Aber ich habe sie nicht. Ich war für ihn bereit, ich brauchte ihn — und ich liebte ihn. Sein Eisen-und-Glühstein war, schon vergeben, deshalb reichte er mir Jade-und-Silber. Und ich nahm es entgegen, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, was das bedeutete. Kurz zuvor hatte ich dich verloren.
Mit Jaan sollte es nicht genauso sein. Daher legte ich den hübschen kleinen Armreif um und sagte stolz: ›Ich bin mehr als nur betheyn.‹ Als ob das eine Rolle gespielt hätte. Gib einem Ding einen Namen, und es beginnt zu existieren. Für Garse bin ich Jaans betheyn und seine cro-betheyn, und damit hat es sich. Die Bezeichnungen definieren die Verbindungen und Pflichten. Was konnte es sonst noch geben? Alle Kavalaren leben danach. Wenn ich mich aufraffe und über die Bezeichnung hinauswachse, ist Garse da, der mir wütend betheyn zuruft. Nur Jaan ist da anders, aber manchmal komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie er in Wirklichkeit darüber denkt.«
Ihre Hände erschienen auf dem Tischtuch und ballten sich zu zwei kleinen Fäusten. »Wieder dieselbe dumme Geschichte, Dirk. Du wolltest mich zu deiner Jenny machen, und ich rettete mich, indem ich den Namen zurückwies. Aber wie eine Närrin nahm ich Jade-und-Silber. Und nun bin ich Haltfrau, und alles Lamentieren nützt mir nichts mehr. Dieselbe dumme Geschichte*.«
Ihre Stimme war schrill, die Fäuste hatte sie so krampfhaft geballt, daß die Knöchel weiß hervortraten.
»Wir können es ändern«, sagte Dirk schnell. »Komm zu mir zurück.« Was er sagte, klang hohl, hoffnungsvoll, verzweifelt, triumphierend, besorgt, seine Stimme drückte all dies zugleich aus. Zuerst antwortete Gwen nicht. Sehr langsam, Finger für Finger, öffnete sie die Fäuste und starrte niedergeschlagen auf ihre Hände. Sie atmete tief und inspizierte einmal die Handflächen, dann wieder die Handrücken, als hätte sie fremdartige Artefakte vor sich, die es zu untersuchen galt. Dann legte sie die Hände flach auf den Tisch und stemmte sich hoch.
»Warum?« fragte sie und hatte ihre Stimme wieder völlig in der Gewalt. »Warum, Dirk? Damit du mich wieder zu deiner Jenny machen kannst? Ist das der Grund? Weil ich dich damals liebte, weil davon noch etwas zurückgeblieben sein kann?«
»Ja! Nein, meine ich. Du bringst mich völlig durcheinander.« Auch er erhob sich.
Sie lächelte. »Ja, aber ich habe Jaan auch einmal geliebt, sogar noch nach dir. Und mit ihm kamen andere Bindungen, die Verpflichtungen Jade-und-Silber gegenüber. Zwischen uns beiden gibt es nur Erinnerungen, Dirk.« Gwen stand da und wartete. Als er nicht antwortete, ging sie auf die Tür zu. Er folgte ihr.
Der Robotkellner kam heran und versperrte ihnen den Weg. Sein formloses Gesichtsoval glänzte metallisch.
»Die Rechnung«, sagte er. »Bitte nennen Sie mir die Nummer ihres Festivalkontos.« Gwen zog die Brauen hoch. »Bank von Larteyn, Eisenjade 797-742-677«, fauchte sie. »Bitte alles unter dieser Nummer registrieren.« »Registriert«, verkündete der Roboter und gab den Weg frei. Hinter ihnen gingen im Restaurant die Lichter aus.
Der Wagen wartete noch dort, wo sie ihn verlassen hatten. Gwen bat die Stimme, sie zur Landeschleuse zurückzufahren, und sie fuhren wieder durch Korridore, die plötzlich von frohen Farben und beschwingter Musik erfüllt waren. »Der verdammte Computer hat die Spannung in unseren Stimmen registriert«, sagte sie ein wenig zornig. »Jetzt versucht er uns aufzumuntern.«
»Das macht er aber nicht besonders gut«, sagte Dirk, aber er mußte dabei lachen. »Danke für das Essen. Ich habe vor der Ankunft meine Standards in Festivalgutscheine umgewechselt, aber viel ist dabei nicht herausgekommen, fürchte ich.«
»Eisenjade ist nicht arm«, sagte Gwen. »Und auf Worlorn gibt es ohnehin nicht viel zu bezahlen.«
»Hmm, ja. Ich glaubte bis jetzt, man würde überhaupt nichts los.« »Festivalprogrammierung«, ließ Gwen verlauten. »Dies hier ist die einzige Stadt, die noch nach diesem Prinzip arbeitet. Alle anderen haben den Betrieb eingestellt. Einmal im Jahr schickt pi-Emerel einen Mann, der die Rechnungen bei den Banken einlöst. Bald wird ihn die Fahrt mehr kosten als er einnimmt.«
»Ich bin überrascht, daß das jetzt noch nicht der Fall ist.« »Stimme!« rief sie. »Wie viele Menschen leben heute in Challenge?« Die Wände antworteten.
»Augenblicklich habe ich dreihundertneun legale Bewohner und, Sie eingeschlossen, zweiundvierzig Gäste. Falls Sie den Wunsch haben, können auch Sie legale Bewohner werden. Der Preis hierfür hält sich in Grenzen.«
»Dreihundertneun?« sagte Dirk erstaunt. »Wo sind die alle?« »Challenge wurde für zwanzig Millionen Menschen erbaut«, sagte Gwen. »Du wirst sie hier kaum antreffen, aber sie sind da. Auch in anderen Städten gibt es noch Leute, wenn auch nicht so viele wie in Challenge. Hier lebt es sich am leichtesten. Das Sterben wird auch nicht schwerfallen, falls die Hochleibeigenen von Braith auf die Idee kommen, in den Städten anstatt in der Wildnis zu jagen. Das war schon immer Jaans größte Sorge.