Sie warteten direkt vor den Haupteingängen auf ihn, wie er es mehr oder weniger fest erwartet hatte. Der Kapitän der Schaudern hatte eine Laser-Botschaft abgestrahlt, als das Schiff in den Normalraum zurück-getaucht war.
Gwen Delvano hatte sich zu seinem Empfang eingefunden, aber sie war nicht allein gekommen. Gwen und ihr Begleiter sprachen leise miteinander, als er aus dem Terminal herauskam.
Dirk blieb direkt hinter der Tür stehen, lächelte so leger, wie er nur eben konnte und stellte seine leichte Tasche auf den Boden. »Hallo«, sagte er leise, »ich habe gehört, hier wird ein Fest gefeiert?« Beim Klang seiner Stimme hatte sie sich umgedreht, und jetzt lachte sie ihr vertrautes Lachen. »Nein«, sagte sie, »dafür bist du etwa zehn Jahre zu spät dran.«
Dirk bemühte sich, ein finsteres Gesicht zu machen und schüttelte den Kopf. »Verdammt!« Dann lächelte er wieder. Gwen kam auf ihn zu, und sie umarmten sich.
Der andere Mann, der Fremde, stand regungslos da und schaute zu.
Die Umarmung war nur kurz. Kaum hatte Dirk die Arme um sie gelegt, da entzog sie sich ihm wieder. Nach diesem Intermezzo standen sie dicht beisammen, und jeder schaute, welche Veränderungen die Jahre bei dem anderen bewirkt hatten.
Sie war älter, hatte sich aber kaum verändert, und was ihm anders erschien, beruhte wohl nur auf Lücken in seinem Gedächtnis. Ihre großen, grünen Augen waren nicht ganz so groß und grün, wie er sie in Erinnerung hatte. Auch war sie etwas größer, als er sich entsann, und vielleicht auch ein bißchen schwerer. Aber sie war nahe genug, sie lächelte auf die gleiche Art, und ihr Haar war wie damals, fein und dunkel, wie ein glänzender Strom, schwärzer als eine Außenweltnacht, der auf ihre Schultern fiel. Sie trug einen weißen Rollkragenpullover und eine Gürtelhose aus derbem Chamäleonstoff, der sich inzwischen in Nachtschwarz verfärbt hatte, dazu ein breites Stirnband, wie sie es auf Avalon so gerne angelegt hatte. Ihren Arm schmückte ein Armreif, und das war neu. Eigentlich war es eher eine Armspange, ein massives Stück, kaltes Silber, mit Jade besetzt, das die Hälfte ihres linken Unterarms bedeckte. Den Ärmel ihres Pullovers hatte sie aufgerollt, um das Stück besser zur Geltung zu bringen.
»Du bist schlanker geworden, Dirk«, sagte sie.
Er zuckte die Achseln und schob die Hände in die Jackentaschen. »Ja«, sagte er. Tatsächlich war er fast hager, höchstens noch ein wenig rund an den Schultern durch den häufigen Müßiggang. Auch auf andere Weise hatten ihn die Jahre älter werden lassen, sein Haar schimmerte jetzt eher grau als braun — einst war es umgekehrt gewesen —, und er trug es fast so lang wie Gwen, obgleich seines einem sich kräuselnden Locken-meer glich.
»Eine lange Zeit«, sagte Gwen.
»Sieben Standardjahre«, stimmte er kopfnickend zu.
»Ich hatte mir das anders vorgestellt…«
Der andere Mann, jener wartende Fremde, hüstelte, als wollte er sie daran erinnern, daß sie nicht allein waren.
Dirk blickte auf, und Gwen drehte sich um. Der Mann trat näher und verbeugte sich höflich. Er war klein, rundlich und hatte hellblonde, fast weiße Haare. Er trug einen hellfarbenen Seidenanzug, ganz in Grün und Gelb gehalten, dazu eine winzige schwarze Strickmütze, die trotz seiner Verbeugung an ihrem Platz blieb.
»Arkin Ruark«, stellte er sich vor. »Dirk t’Larien.«
»Arkin arbeitet mit mir an dem Projekt«, sagte Gwen.
»Projekt?«
Sie blinzelte. »Weißt du nicht einmal, warum ich hier bin?« Er verneinte. Das Flüsterjuwel war von Worlorn abgeschickt worden, das war alles, was er wußte. »Du bist Ökologin«, sagte er, »auf Avalon …« »Ja, am Institut. Besser, ich war es, vor sehr langer Zeit, Ich hörte dort auf, bekam mein Beglaubigungsschreiben und habe mich seitdem auf Hoch Kavalaan aufgehalten. Bis ich auf diesen Planeten geschickt wurde.«
»Gwen gehört der Eisenjadeversammlung an«, erklärte Ruark. Die Andeutung eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht. »Ich vertrete die Impril-City-Akademie.
Kimdiss. Ihnen bekannt?« Dirk nickte. Ruark war demnach ein Kimdissi, ein Außenweltler, und er gehörte einer Universität an.
»Impril und Eisenjade sind hinter der gleichen Sache her, verstehen Sie? Forschungen über ökologische Interaktionen auf Worlorn. Während des Festivals wurde dieses Gebiet vernachlässigt, weil keine der Außenwelten in Ökologie besonders leistungsfähig war. Eine pi-vergessene Wissenschaft, wie die Emereli sagen. Aber genau das ist das Projekt. Gwen und ich kannten uns gut aus früheren Zeiten. Da wir aus demselben Grund hier sind, ist es wohl nur vernünftig, wenn man zusammenarbeitet und lernt, was es zu lernen gibt.«
»Da haben Sie recht«, sagte Dirk. Er war im Moment wirklich nicht übermäßig an dem Projekt interessiert, er wollte nur mit Gwen sprechen. Er sah sie an. »Du wirst mir später alles darüber erzählen müssen. Wenn wir Zeit zum Plaudern haben. Ich kann mir vorstellen, daß du gerne mit mir reden möchtest.«
Sie bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick. »Ja, selbstverständlich. Wir haben in der Tat eine Menge zu bereden.«
Er hob seine Tasche auf. »Wohin?« fragte er. »Nach einem Bad und einem guten Essen nehme ich es mit jedem auf.« Gwen wechselte einige Blicke mit Ruark.
»Arkin und ich hatten eben darüber gesprochen. Er kann dich aufnehmen. Wir wohnen im gleichen Gebäude, nur ein paar Stockwerke auseinander.« Ruark nickte. »Mit Freuden. Es ist mir ein Vergnügen, etwas für Freunde zu tun. Und wir beide sind doch Freunde von Gwen, nicht wahr?« »Hm«, murrte Dirk. »Eigentlich glaubte ich ja, daß ich bei dir bleiben könnte, Gwen.«
Geraume Zeit konnte sie ihm nicht in die Augen sehen.
Sie blickte erst zu Ruark, dann auf den Boden, schließlich in den schwarzen Nachthimmel. Endlich fanden ihre Augen die seinen. »Vielleicht später«, sagte sie mit vorsichtiger Stimme, ohne zu lächeln. »Aber nicht gerade jetzt. Ich glaube nicht, daß es in diesem Moment das beste wäre. Aber wir werden natürlich gemeinsam heimfahren. Wir haben einen Wagen.« »Hier entlang«, ergänzte Ruark, ehe Dirk etwas erwidern konnte. Einiges war seltsam. Er hatte die Wiedersehensszene während der Monate an Bord der Schaudern immer wieder durchgespielt. Manchmal hatte er es sich zärtlich und liebevoll vorgestellt, manchmal war es eine wütende Konfrontation gewesen, und oft hatte es Tränen gegeben.
Aber niemals war es annähernd so gewesen wie hier: peinlich und unter sonderbaren Umständen, mit einem Fremden, der bei allem zugegen war. Er begann sich zu fragen, wer Arkin war, und ob seine Beziehung zu Gwen wirklich so war, wie es beide darstellten. Aber andererseits hatten sie kaum etwas gesagt. Ohne zu wissen, was er sagen oder denken sollte, zuckte er die Achseln und folgte ihnen zu ihrem Luftwagen. Der Weg war recht kurz. Als sie ankamen, erlebte Dirk eine Überraschung. Auf seinen Reisen waren ihm die verschiedensten Luftgleiter aufgefallen, aber keiner war mit diesem zu vergleichen. Er war riesig, stahlgrau und sah mit seinen gebogenen, gewölbten Dreiecksflügeln fast lebendig aus, wie ein großer Stachelrochen der Lüfte im metallenen Kleid. Zwischen den Flügeln befand sich ein Cockpit mit vier Sitzen. Unter den Flügelspitzen nahm er flüchtig ominöse Stangen wahr. Er sah Gwen an und deutete auf die Stangen. »Sind das Laser?« Sie nickte und deutete dabei ein Lächeln an.
»Zum Teufel, was hat denn das zu bedeuten?« fragte Dirk. »Der Wagen sieht aus wie eine Militärmaschine.
Steht ein Angriff der Hranganer bevor? Etwas Ähnliches habe ich nicht mehr gesehen, seit wir damals die Institutsmuseen auf Avalen besuchten.«
Gwen lachte, nahm ihm die Tasche ab und warf sie auf den Rücksitz. »Steig ein«, forderte sie ihn auf. »Es ist ein vollendet schöner Luftgleiter aus der kavalarischen Produktion. Erst kürzlich haben sie angefangen, eigene Fahrzeuge herauszubringen. Er soll wohl ein bißchen wie ein Tier aussehen, wie der schwarze Banshee. Ein fliegendes Raubtier, dazu das Brudertier der Eisenjadeversammlung. Das Tier bedeutet viel in ihrer Folklore, ist eine Art Totem, weißt du?«