Denken Sie vielleicht, ich weiß nicht, worauf Sie aus sind?« »Worauf ich aus bin?«
Janacek lächelte wieder. Seine Augen waren klein, und winzige Fältchen zerfurchten die Haut in ihren Winkeln.
»Sie versuchen Gwen Delvano meinem teyn wegzunehmen. Stimmt’s?« Dirk schwieg. »Es ist die Wahrheit«, antwortete Janacek schließlich für ihn. »Und es ist nicht richtig. Es wird niemals geschehen, merken Sie sich das. Ich werde es nicht erlauben. Ich bin durch Eisen-und-Feuer an Jaantony Hoch-Eisenjade gebunden, und ich vergesse das nicht. Wir beide sind teyn-und-teyn.
Keine Verbindung, die Sie kennen, ist stärker.« Dirk ertappte sich bei einem Gedanken an Gwen und eine dunkelrote Träne voller Erinnerungen und Versprechen.
Er fand es bedauerlich, daß er das Rüsterjuwel Janacek nicht einen Augenblick geben konnte, damit der arrogante Kavalare fühlte, wie stark die Verbindung zwischen Dirk und Jenny gewesen war. Aber eine solche Geste hätte nichts genützt. Janaceks Gehirn war kein Resonanzkörper für die in den Stein hineingeätzten Gefühle, er würde in ihm lediglich ein Schmuckstück sehen. »Ich liebte Gwen«, sagte er schneidend. »Und ich bezweifle, daß eine Ihrer Verbindungen mehr als das bedeutet.«
»So, tun Sie das? Nun, Sie sind kein Kavalare, genausowenig wie Gwen. Sie verstehen das Eisen-und-Feuer nicht. Ich traf Jaantony zum ersten Mal, als wir beide noch sehr jung waren. In Wahrheit war ich noch erheblich jünger als er. Er spielte lieber mit jüngeren Kindern als mit gleichaltrigen und kam häufig in unseren Hort. Von Anfang an hielt ich so große Stücke auf ihn, wie es nur ein Junge kann. Weil er älter war als ich und daher den Hochleibeigenen näherstand, weil er mich auf Abenteuer in fremde Gänge und Höhlen führte und weil er spannende Geschichten erzählte. Als ich älter war, erfuhr ich, warum er so oft zu den jüngeren Kindern kam.
Ich war schockiert und schämte mich. Er fürchtete sich vor den Gleichaltrigen, weil diese ihn aufzogen und oft verprügelten. Als ich das alles erfuhr, gab es jedoch schon einen Bund zwischen uns. Sie würden es Freundschaft nennen, aber damit hätten Sie unrecht, denn Sie würden wieder Ihre eigenen Konzepte auf unser Leben übertragen. Es war mehr als eure Außenweltlerfreundschaft, und obgleich wir noch nicht teyn-und- teyn waren, gab es schon Eisen zwischen uns.
Als Jaan und ich das nächste Mal auf Erkundung gingen — wir befanden uns weit von unserem Festhalt entfernt, in einer Höhle, die er gut kannte —, griff ich ihn überraschend an und schlug ihn, bis er am ganzen Körper Abschürfungen und blaue Flecken hatte. Den ganzen Winter über besuchte er mich nicht in der Jugendbaracke, dann kam er endlich zurück. Es stand nichts zwischen uns. Wieder begannen wir, zusammen herumzustreifen und zu jagen, und er erzählte mir weitere Geschichten, Erzählungen aus Mythos und Geschichte. Ich für meinen Teil überfiel ihn von Zeit zu Zeit, traf ihn immer unvorbereitet und überwältigte ihn. Mit der Zeit begann er zurückzuschlagen. Er wurde immer besser. Dann kam der Tag, an dem ich ihn mit meinen Fäusten nicht mehr überwinden könnte. Einige Zeit später versteckte ich unter meinem Hemd ein Messer aus Eisenjade, zog vor Jaan blank und verletzte ihn. Von nun an trugen wir beide Messer, Als Jaan seine Adoleszenz erreichte, jenes Alter, in welchem er sich seine Wahlnamen aussuchen durfte und unter den Duellkodex fiel, war er den Spötteleien nicht mehr hilflos ausgesetzt.
Er war immer unbeliebt. Er war immer einer von der kritischen Sorte, müssen Sie wissen, einer, der unangenehme Fragen stellte und unorthodoxe Meinungen vertrat, ein Liebhaber der Geschichte, aber ein offener Religionsverächter, der viel zuviel ungesundes Interesse an jenen Außenweltlern zeigte, die sich bei uns aufhielten. Als solcher wurde er im ersten Jahr seines Duellalters immer wieder gefordert. Und immer gewann er. Als ich einige Jahre später meine Adoleszenz erreichte und wir zu teyn- und -teyn wurden, gab es kaum einen Gegner, der gegen mich kämpfen wollte. Jaantony hatte sie alle eingeschüchtert, und keiner wagte es, uns herauszufordern. Ich war fürchterlich enttäuscht. Seit damals standen wir oft im Duell zusammen. Wir sind bei unserem Leben aneinandergebunden und haben viel durchgemacht. Es kümmert mich nicht, wenn Sie das mit jener bedeutungslosen ›Liebe‹ vergleichen, von der ihr Außenweltler so verzaubert seid, mit diesem Spottmen-schenbund, der mit dem Wind kommt und mit dem Wind geht. Selbst Jaantony wurde während seiner Jahre auf Avalon von dieser Vorstellung schwer korrumpiert. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch meine Schuld, weil ich ihn allein gehen ließ. Obwohl ich dort völlig fehl am Platze gewesen wäre, hätte ich ihn begleiten sollen. In dieser Zeit habe ich Jaan im Stich gelassen. Aber das wird mir nicht noch einmal passieren. Ich bin sein teyn und werde sein teyn bleiben. Ich werde niemandem erlauben, ihn zu töten, ihn zu verwunden, ihn geistig zu verwirren oder seinen Namen in den Schmutz zu ziehen.
Das gehört zu meinem Bund, das ist meine Pflicht.
Neuerdings läßt Jaan nicht selten seinen Namen von Leuten wie Ihnen oder Ruark bedrohen. Er ist auf manche Art ein querköpfiger, gefährlicher Mann, und seine Anwandlungen haben uns schon oft in Gefahr gebracht. Selbst seine Idole sind … Eines Tages erinnerte ich mich an eine Geschichte, die er in unserer Kindheit erzählte, und schlagartig erkannte ich, daß Jaans Lieblingshelden allesamt Einzelgänger waren, deren Leben durch Niederlagen gekennzeichnet wurde. Aryn Hoch-Glühstein zum Beispiel, der eine ganze Geschichtsepoche hindurch eine dominierende Gestalt war. Durch die Stärke seiner Persönlichkeit herrschte er über den mächtigsten Festhalt, den es je auf Hoch Kavalaan gab, den Glühsteinberg. Als sich seine Feinde im Hochkrieg gegen ihn verbündeten und sich alle Hände gegen die Seinen erhoben, bewaffnete er seine eyn-kethi mit Schwertern und Schilden und führte sie in die Schlacht, um seine Armee zu verstärken. Seine Gegner wurden geschlagen und erniedrigt — so jedenfalls hörte ich die Geschichte von Jaan. Später erfuhr ich jedoch, daß Aryn Hoch-Glühstein keineswegs gesiegt hatte. Von den eyn-kethi seines Festhalts wurden so viele erschlagen, daß später nur noch wenige Krieger geboren werden konnten. Glühsteinberg verlor ständig an Macht und Einwohnern, und vierzig Jahre nach Aryns kühnem Schlag fielen die Glühsteiner. Die Hochleibeigenen aus Taal, Eisenjade und Bronzefaust bemächtigten sich ihrer Frauen und Kinder und ließen nur leere Hallen und Gänge zurück. In Wirklichkeit war Aryn Hoch-Glühstein ein Versager und Narr, eines der schwarzen Schafe der Geschichte — und aus diesem Holz sind Jaans verrückte Helden allesamt geschnitzt.«
»Für mich hören sich Aryns Taten heroisch genug an«, sagte Dirk hart. »Auf Avalon hält man ihm wahrscheinlich die Befreiung der Sklavinnen zugute, selbst wenn er nicht gewann.«
Janacek warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Die Augen waren wie zwei blaue Funken in seinem schmalen Schädel. Ärgerlich zupfte er an seinem roten Bart.
»Genau vor Aussagen wie dieser habe ich Sie gewarnt, t’Larien. Eyn-kethi sind keine Sklavinnen, es sind eben eyn-kethi. Sie urteilen falsch, und Ihre Übersetzungen stimmen auch nicht.« »Das sagen Sie«, konterte Dirk.
»Ruark meint …« »Ruark!« Janacek sprach diesen Namen verächtlich aus. »Ist der Kimdissi etwa der Quell Ihrer Informationen über Hoch Kavalaan? Ich beginne zu begreifen, daß ich im Gespräch mit Ihnen Zeit und Worte verschwendet habe. Sie sind schon vergiftet und wollen überhaupt nichts verstehen. Sie sind Werkzeug der Manipulatoren von Kimdiss. Ich werde Ihnen nichts mehr erzählen.«