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»Schön«, sagte Dirk. »Verraten Sie mir nur noch, wo Gwen ist.« »Das habe ich Ihnen bereits gesagt.« »Wann wird sie zurück sein?«

»Spät, und dann ist sie müde. Ich bin sicher, sie wünscht Sie nicht zu sehen.«

»Sie halten sie mir wirklich fern!«

Janacek schwieg einen Augenblick. »Ja«, sagte er schließlich mit spöttisch verzogenem Mund. »So ist es am besten, t’Larien, für euch beide, obwohl ich nicht erwarte, daß Sie das einsehen werden.« »Dazu haben Sie kein Recht.«

»In Ihrer Kultur vielleicht nicht. In meiner habe ich jedes Recht. Sie werden nicht wieder allein mit ihr sein.«

»Gwen ist kein Teil Ihrer verdammten kranken Kavalarkultur «, sagte Dirk. »Sie wurde nicht in sie hineingeboren, dennoch nahm sie Jade-und-Silber und den Namen betheyn an. Jetzt ist sie eine Kavalarin.«

Dirk zitterte, seine Selbstbeherrschung war dahin.

»Und was sagt Gwen dazu?« wollte er wissen und trat näher an Janacek heran. »Was sagte sie letzte Nacht?

Drohte sie zu gehen?« Er tippte den Kavalaren mit dem Finger an. »Sagte sie, sie würde mit mir gehen — war es das? Und Sie schlugen sie und trugen sie fort?«

Janaceks Miene verfinsterte sich. Er wischte Dirks Hand energisch beiseite. »Dann spionieren Sie uns auch noch nach. Sie machen es schlecht, t’Larien, aber es kommt trotzdem einer Beleidigung gleich. Ein zweiter Fehler. Der erste ging auf Jaans Konto. Als er Ihnen alles sagte, Ihnen vertraute und Ihnen seinen Schutz anbot.«

»Ich brauche keinen Schutz!«

»Das sagen Sie. Der falsche Stolz eines Schwachsinnigen. Nur die Starken sollten das Schutzangebot zurückweisen, die Schwachen aber brauchen es.« Er wandte sich ab. »Mit Ihnen vergeude ich meine Zeit nicht länger«, sagte er und ging ins Eßzimmer hinüber. Dort lag ein schwarzer Aktenkoffer auf dem Tisch. Janacek öffnete beide Schlosser gleichzeitig und hob den Deckel. Im Inneren sah Dirk fünf Reihen schwarzer Bansheenadeln auf rotem Filz. Janacek hielt eine davon hoch. »Sind Sie ganz sicher, daß Sie keine davon wollen? Korariel?« Er grinste. Dirk verschränkte die Arme und ließ sich nicht dazu herab, diese Frage zu beantworten.

Janacek wartete einen Moment lang auf die Erwiderung. Als keine kam, legte er die Bansheenadel an ihren Platz zurück und schloß den Koffer. »Die Puddingkinder sind nicht so wählerisch wie Sie«, sagte er. »Jetzt muß ich das hier zu Jaan bringen. Verschwinden Sie.«

Es war früher Nachmittag. Mitten am Himmel brannte die Nabe trüb, die verstreuten kleinen Lichter der vier sichtbaren trojanischen Sonnen unregelmäßig um sie angeordnet. Vom Osten her blies ein starker Wind, der immer mehr auffrischte. Staub wirbelte durch die grauroten Gassen. Dirk saß auf dem Rand des Daches und spielte seine Möglichkeiten durch. Seine Beine baumelten über der Straße. Er war Garse Janacek zum Dach hinauf gefolgt und hatte ihn samt Bansheekoffer in sein wuchtiges, olivgrün gepanzertes Militärrelikt steigen und wegfliegen sehen. Die anderen beiden Gleiter, die graue Mantaschwinge und die hellgelbe Träne, waren ebenfalls fort. Er lag hier in Larteyn auf Eis und hatte keine Ahnung, wo Gwen war, oder was sie mit ihr anstellten. Er wünschte sich kurz, daß Ruark in der Nähe wäre. Jetzt hätte er einen eigenen Gleiter nötig gehabt.

Zweifellos konnte man in Challenge welche mieten — wenn er doch nur früher daran gedacht hätte. Oder auf dem Raumhafen, direkt nach seiner Ankunft. So war er allein und hilflos, selbst die Himmelsflitzer waren nicht aufzufinden. Die Welt war rot und grau und sinnlos. Er wußte nicht, was er tun sollte. Während er dasaß und über Gleiter nachdachte, ging ihm plötzlich ein Licht auf.

Die Festivalstädte, die er gesehen hatte, unterschieden sich alle sehr stark, aber eines hatten sie gemeinsam: Keine bot genügend Landemöglichkeiten für so viele Gleiter, wie sie Einwohner beherbergen konnte. Das hieß, die Städte mußten durch ein anderes Transportsystem miteinander verbunden sein. Das wiederum verlieh ihm einen gewissen Aktionsradius. Er stand auf, ging zu den Aufzügen und fuhr zu Ruarks Quartier im Fuß des Turmes hinunter. Zwischen zwei schwarzrindigen, deckenhohen Pflanzen in Ton topfen wartete ein dunkler, ausgeschalteter Wandschirm, genau wie ihn Dirk in Erinnerung hatte. Er hatte ihn noch nicht in Betrieb gesehen, denn es gab nur noch wenige Menschen auf Worlorn, die man anrufen konnte. Aber ohne Zweifel mußte es so etwas wie ein Informationszentrum geben. Er untersuchte die Doppelreihe von Knöpfen unter dem Schirm, wählte einen aus und drückte ihn. Die Schwärze machte pastellblauem Licht Platz, und Dirk atmete auf. Wenigstens war die Anlage noch intakt.

Einer der Knöpfe trug ein Fragezeichen. Er betätigte ihn und wurde belohnt. Das blaue Licht hellte sich auf, und plötzlich erschienen viele kleine Schriftzeichen auf dem Schirm, hundert Nummern für hundert grundverschiedene Dienste. An alles war gedacht, von ärztlicher Hilfe und religiösem Beistand bis hin zu außerplanetarischen Nachrichten fehlte nichts.

Er drückte die Zeichenfolge für »Besuchertransport« ein. Daten und Schaubilder flossen über den Schirm, und Dirks Hoffnung schwand langsam dahin. Auf dem Raumhafen und in zehn der vierzehn Städte gab es Gleitervermietungen. Es hatte sie gegeben. Die noch funktionierenden Gleiter waren mit den letzten Besucherströmen von Worlorn verschwunden. Andere Städte hatten Hovercrafts und Tragflügelboote zur Verfügung gestellt — das war nun auch vorbei. In Musquel-am-Meer konnten Besucher in einem echten windgetriebenen Schiff von der Vergessenen Kolonie die Küste entlangsegeln: Dienst eingestellt. Die Intercity-Luftbuslinie hatte ihren Fahrplan gestrichen, die atomgetriebenen Stratoliner von Tober und die Heliumluftschiffe von Eshellin waren längst zerlegt und abtransportiert worden. Der Bildschirm zeigte ihm einen Plan der Hochgeschwindigkeitsbahnen, die vom Raumfeld aus unterirdisch in jede Stadt fuhren. Aber die Karte erschien in roter Farbe, und im Text darunter stand, was rote Farbe zu bedeuten hatte: »Außer Betrieb — nicht benutzbar«. Wie es schien, blieb ihm auf Worlorn kein Transportsystem außer seinen Beinen. Dazu kam nur das, was spätere Besucher mitgebracht hatten.

Dirk runzelte die Stirn und löschte die Schrift. Gerade wollte er den Schirm abschalten, da kam ihm noch ein Gedanke. Er drückte den Code für »Bibliothek«. Ein seltsames Zeichen erschien, Instruktionen folgten. Dann gab er die Begriffe »Puddingkinder« und »definieren« ein. Er wartete.

Die Wartezeit war nur kurz. Die Bibliothek überschüttete ihn geradezu mit Informationen über Geschichte, Geographie und Philosophie. Die gewünschten Informationen las er schnell, den Rest beachtete er nicht. »Puddingkinder« war, wie es schien, der gebräuchliche Spitzname für die Anhänger eines pseudoreligiösen Drogenkultes auf der Welt des Schwarzweinozeans. Man nannte sie so, weil sie jahrelang im höhlenreichen, feuchten Inneren von kilometerlangen Gelatineschnecken verbrachten, die mit unendlicher Langsamkeit über den Meeresgrund krochen.

Die Kultisten nannten diese Kreaturen Mütter. Die »Mütter« fütterten ihre »Kinder« mit süßen, halluzinogenen Sekreten und wurden als halbintelligent angesehen. Der Glaube, so mußte Dirk feststellen, hielt die Puddingkinder aber nicht davon ab, ihren Wirt zu töten, wenn die Qualität seiner Traumsekrete nachzulassen begann — was unweigerlich geschah, wenn die Schnecken ein gewisses Alter erreichten. Danach suchten sich die Puddingkinder eine neue Mutter. Rasch ließ Dirk die Informationen vom Schirm verschwinden und nahm wieder die Bibliothek in Anspruch. Auch die Welt des Schwarzweinozeans hatte eine Stadt auf Worlorn gebaut. Sie lag unter einem künstlichen See, dessen Ufer fünfzig Kilometer lang waren, und der das gleiche dunkle Wasser enthielt, das in so reicher Fülle die Oberfläche der Heimatwelt bedeckte. Ihr Name war Stadt im Sternenlosen Teich, und der See war voller Lebensformen, die man anläßlich des Randfestivals hierhergebracht hatte. Zweifellos zählten auch Mütter dazu.