Auch dieser Mann war von imposanter Statur und besaß dasselbe sonnengebräunte, runzlige Gesicht. Er neigte jedoch mehr zur Leibesfülle, und wenn Lorimaar Hoch-Braith graue Haare hatte, so konnten seine nur als schlohweiß bezeichnet werden. Außerdem trug er einen Schnurrbart, den man für die Borsten einer Zahnbürste hätte halten können. Er und sein Gefährte trugen weiße Jacken über Hosen und Hemden aus Chamäleonstoff, die im Dämmerlicht der Garage einen tief schwarzen Farbton angenommen hatten. Beide waren mit Lasern bewaffnet.
»Roseph würde sich keinen Spaß mit mir erlauben«, sagte der zweite Kavalare, und seine Stimme klang wie ein Reibeisen. Er war viel kleiner als der andere Mann, etwa so groß wie Dirk, sah auch jünger aus und wirkte sehr schlank. An seiner Jacke fehlten die Ärmel, die er wohl entfernt hatte, um seine muskulösen braunen Arme und den Armreif aus Eisen-und-Glühstein zu entblößen.
Als er auf den Gleiter zuging, trat er für einen Moment ganz ins Licht und schien dabei auf jene Stelle in der Dunkelheit zu starren, wo sich Dirk versteckt hielt. Er besaß nur ein halbes Gesicht, der Rest bestand aus zuckendem Narbengewebe. Während er den Kopf wandte, bewegte sich sein »Auge« unablässig, und Dirk erkannte das verräterische Feuer. In der leeren Augenhöhle saß ein Glühstein.
»Woher willst du das wissen?« sagte der ältere Mann, als die beiden kurz neben dem Wolfsgleiter anhielten.
»Roseph liebt manchmal Scherze.«
»Ich aber nicht«, sagte der andere, den der Ältere Bretan nannte. »Roseph mag mit dir, Lorimaar und selbst mit Pyr seine Späßchen treiben, aber bei mir würde er es nicht wagen.« Seine Stimme klang erschreckend unangenehm, ihr Raspeln war eine Beleidigung für das Ohr. Aber bei den breiten Narben, die bis zum Hals hinabreichten, erschien es Dirk als ein Wunder, daß der Mann überhaupt reden konnte. Der hochgewachsene Kavalare rüttelte an der Seite des Wolfskopfes, aber das Verdeck hob sich nicht. »Nun, wenn das stimmt, müssen wir uns beeilen«, sagte er mürrisch. »Was ist mit dem Schloß los, Bretan?«
Der einäugige Bretan gab ein halb stöhnendes, halb knurrendes Geräusch von sich. Er versuchte sich selbst an dem Verdeck. »Mein teyn«, krächzte er. »Ich habe das Dach leicht offengelassen … ich … es dauerte nur einen Augenblick, dich herunterzuholen.«
In der Finsternis preßte sich Dirk noch enger gegen die Wand. Schmerzhaft drückten sich ihm die Eisenhaken zwischen die Schulterblätter. Bretan kniete sich wütend nieder, während sein älterer Kollege verwirrt stehenblieb.
Dann stand der Braith plötzlich wieder. Die Laserpistole in seiner Hand zeigte genau auf Dirk. Sein Glühsteinauge glomm schwach. »Komm raus und laß uns sehen, wer du bist«, rief er. »Die Spur, die du im Staub zurückgelassen hast, kann man genau verfolgen.«
Schweigend hob Dirk die Hände über den Kopf und trat vor. »Ein Spottmensch!« sagte der größere Kavalare.
»Hier entlang!« »Nein«, bemerkte Dirk vorsichtig. »Dirk t’Larien.« Der Großgewachsene ignorierte ihn. »Wir haben wirklich großes Glück«, sagte er zu seinem Begleiter mit dem Laser. »Diese Puddingmenschen, die Roseph aufgespürt hat, hätten eine armselige Beute abgegeben. Der hier sieht besser aus.«
Sein junger teyn gab wieder diesen seltsamen Laut von sich, und seine linke Gesichtshälfte zuckte nervös. Aber seine Laserhand blieb ganz ruhig. »Nein«, sagte er, an den anderen Braith gewandt. »Leider glaube ich nicht, daß wir ihn jagen dürfen. Es kann nur der sein, von dem Lorimaar sprach.« Er ließ die Laserwaffe wieder in das Halfter gleiten und nickte Dirk zu, eine unscheinbare, bedächtige Bewegung, mehr mit den Schultern als mit dem Kopf. »Du bist sehr unachtsam. Wenn das Verdeck ganz geschlossen wird, verriegelt es sich automatisch.
Von innen kann man es öffnen, aber …« »Das sehe ich jetzt auch«, sagte Dirk. Er senkte die Hände. »Ich suchte nur nach einem verlassenen Wagen. Ich brauchte ein Transportmittel.«
»Also wolltest du unseren Wagen stehlen.« »Nein.«
»Doch.« Die Stimme des Kavalaren machte jedes Wort zur schmerzhaften Anstrengung. »Bist du korariel von Eisenjade?« Dirk zögerte, seine Verneinung blieb ihm im Halse stecken. Beide möglichen Antworten würden ihn in Schwierigkeiten bringen. »Weißt du darauf keine Antwort?« sagte das Narbengesicht. »Bretan«, drängte ihn der andere zur Mäßigung. »Was der Spottmensch sagt, spielt für uns keine Rolle. Falls Jaantony Hoch-Eisenjade ihn korariel nennt, dann ist das die Wahrheit.
Diese Tiere dürfen nicht selbst über ihren Status bestimmen, sie haben nicht einmal ein Mitspracherecht.
Deshalb ist es einerlei, was er sagt. Erschlagen wir ihn, dann haben wir uns an Eigentum von Eisenjade vergriffen — und das wird unweigerlich eine Herausforderung nach sich ziehen.« »Denke die Möglichkeiten durch, Chell«, sagte Bretan. »Dieser hier, dieser Dirk t’Larien, kann Mensch oder Spottmensch sein, korariel von Eisenjade oder auch nicht. Richtig?«
»Richtig. Aber er ist kein wahrer Mensch. Höre auf mich, mein teyn. Du bist jung, aber ich weiß diese Dinge von kethi, die schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilen.«
»Überlege trotzdem. Wenn er ein Spottmensch ist und die Eisenjades ihn korariel nennen, dann ist er korariel, ob er das zugibt oder nicht. Falls das aber die Wahrheit ist, müssen wir die Eisenjades zum Duell fordern, Chell.
Er versuchte uns zu bestehlen, das darfst du nicht vergessen. Wenn er Eigentum von Eisenjade ist, dann geht der Diebstahl auf deren Konto.«
Der große weißhaarige Mann nickte langsam, fast widerwillig. »Ist er ein Spottmensch, aber kein korariel, dann ergibt sich kein Problem«, fuhr Bretan fort, »denn dann darf er gejagt werden. Aber was ist, wenn er ein echter Mensch ist, menschlich wie ein Hochleibeigener und damit überhaupt kein Spottmensch?«
Chell war viel langsamer als sein teyn. Der ältere Kavalare runzelte gedankenvoll die Stirn und sagte:
»Nun, er ist nicht weiblich, deshalb kann man ihn nicht besitzen. Aber wenn er menschlich ist, muß er eines Mannes Rechte und eines Mannes Namen haben.«
»Richtig«, pflichtete Breton bei. »Aber er kann dann kein korariel sein. Demnach wäre es sein eigenes Verbrechen. Ich würde mich mit ihm duellieren, nicht mit Jaantony Hoch-Eisenjade.« Der Braith gab wieder das seltsame knurrende Stöhnen von sich.
Chell nickte, und Dirks Glieder fühlten sich plötzlich taub an. Der jüngere der beiden Jäger hatte die Sachlage augenscheinlich mit scheußlicher Präzision dargelegt.
Dirk hatte Vikary und Janacek ganz klar zu verstehen gegeben, daß er auf ihren anrüchigen Schutz keinen Wert legte. Auf geistig intakten Welten wie Avalon wäre diese Entscheidung auch fraglos richtig gewesen. Auf Worlorn lagen die Dinge anders. »Wo sollen wir ihn hinbringen?« fragte Chell. Die beiden taten so, als habe Dirk nicht mehr eigenen Willen als ihr Gleiter. »Wir müssen ihn zu Jaantony Hoch-Eisenjade und seinem teyn bringen«, sagte Bretan in seinem Sandpapiergebrumm. »Ich kenne ihren Turm vom Sehen.«
Dirk überlegte kurz, ob er nicht lieber flüchten sollte.
Es schien nicht angebracht. Sie waren zu zweit, außerdem hatten sie Feuerwaffen und sogar einen Gleiter. Weit würde er nicht kommen. »Ich komme schon«, sagte er, als sie auf ihn zugingen. »Ich kann Ihnen den Weg zeigen.« Wie es auch lief, in jedem Fall würde er einige Zeit zum Nachdenken haben. Die Braiths schienen nicht zu wissen, daß Vikary und Janacek schon draußen in der Stadt im Sternenlosen Teich waren und dort zweifellos die hilflosen Puddingkinder vor ihren Jägern zu schützen suchten.
»Dann zeige ihn uns«, sagte Chell. Und Dirk, der nicht wußte, was er sonst tun sollte, führte sie zu den unterirdischen Aufzügen. Auf dem Weg nach oben dachte er verdrossen darüber nach, daß er nur in diesen Schlamassel geraten war, weil er nicht hatte warten können. Nun hatte es den Anschein, als würde er erst recht warten müssen.