»Chell«, sagte er sehr bedächtig und mit großer Selbstbeherrschung. »Ja?« erwiderte der alte Braith.
»Nur Narren glauben an Spottmenschen«, warf ihm Vikary an den Kopf. »Ihr seid beide Narren, wenn Ihr an Spottmenschen glaubt.« Dirk sah sich noch immer Bretan Braith gegenüber, als Vikary zu sprechen begann. Das vernarbte Gesicht zuckte einmal, zweimal, dreimal.
Chells Stimme klang, als würde er sich in Trance befinden. »Das ist eine Beleidigung, Jaantony Hoch-Eisenjade, falscher Kavalare, Spottmensch! Ich fordere Genugtuung.«
Bretan wirbelte herum und versuchte, etwas zu schreien. Seine Stimme war dazu jedoch nicht in der Lage, sie überschlug sich, und er stotterte. »Ihr … Duellbrecher! Eisenjade … Ich …«
»Dergleichen ist im Kodex vorgesehen«, erwiderte Vikary halbherzig. »Aber für den Fall, daß Bretan Braith großzügig über den kleinen Fehltritt eines unwissenden Fremden hinwegsehen könnte, würde ich mich dazu bereit finden, von Chell fre-Braith Vergebung zu erbitten.« »Nein«, sagte Janacek düster. »Bitten sind unehrenhaft.« »Nein«, echote Bretan. Sein Gesicht glich jetzt einem Totenschädel. Sein Glühsteinauge funkelte, und seine Wange war vor Wut total entstellt. »Ich habe mich so tief wie möglich vor Euch verbeugt, falscher Kavalare. Ich werde die Weisheit meines Festhalts nicht in den Schmutz ziehen lassen. Mein teyn sah die Dinge richtiger als ich. Es war falsch von mir, ein Duell mit Euch Lügner vermeiden zu wollen, Spottmensch. Welch eine Schande für mich! Aber jetzt wasche ich mich rein.
Chell und ich werden Euch alle drei töten.«
»Vielleicht wird es so sein«, sagte Vikary. »Es soll schon bald geschehen, und dann werden wir sehen.«
»Und deine beteyn- Schlampe auch«, sagte Bretan. Er konnte nicht schreien, wenn er es versuchte, versagte ihm seine Stimme den Dienst. Deshalb sprach er so tief wie immer, und das Raspeln wich nicht aus seiner Stimme.
»Wenn wir mit Euch fertig sind, werden wir unsere Hunde wecken und sie und ihren fetten Kimdissi durch die Wälder jagen, die sie so gut kennen.«
Jaan Vikary ignorierte ihn. »Ich wurde gefordert«, sagte er zu Chell fre-Braith. »Die erste der vier Wahlen obliegt mir. Ich wähle die Anzahl der Teilnehmer. Wir werden geteynt kämpfen.«
»Ich habe die Wahl der Waffen«, erwiderte Chell. »Ich wähle Handfeuerwaffen.«
»Ich treffe die Wahl der Art und Weise«, sagte Vikary.
»Ich wähle das Todesquadrat.«
»Zuletzt die Wahl des Ortes«, sagte Chell. »Hier.«
»Der Kampfrichter wird nur ein Quadrat aufzeichnen«, sagte Janacek. Von den fünf Männern auf dem Dach war er der einzige, der noch lächelte. »Den Kampfrichter müssen wir noch bestimmen. Soll es für beide Duelle derselbe Mann sein?«
»Einer genügt«, sagte Chell. »Ich schlage Lorimaar Hoch-Braith vor.« »Nein«, sagte Janacek. »Erst gestern kam er in Hoher Beschwerde zu uns. Kirak Rotstahl Cavis!«
»Nein«, erwiderte Bretan. »Er schreibt wohltönende Gedichte, aber zu etwas anderem taugt er nicht.«
»Es sind noch zwei Männer aus dem Shanagate-Trutz hier«, sagte Janacek. »Ihre Namen kenne ich allerdings nicht.«
»Wir würden einen Braith vorziehen«, hielt Bretan dagegen. »Ein Braith kennt alle Regeln und hält den Kodex in Ehren.« Janacek sah zu Vikary hinüber, der zuckte nur mit den Schultern. »Einverstanden«, sagte Janacek, wieder an Bretan gewandt. »Dann eben ein Braith: Pyr Braith Oryan.« »Nicht Pyr Braith«, sagte Bretan.
»Ihr seid nicht leicht zufriedenzustellen«, meinte Janacek trocken. »Er ist einer Eurer kethi.«
»Ich hatte Meinungsverschiedenheiten mit Pyr Braith«, sagte Bretan. »Einem Hochleibeigenen stünde diese Aufgabe besser an«, mischte sich der alte Chell ein.
»Einem Mann von Rang und Weisheit. Roseph Lant Banshee Hoch-Braith Kelcek.« »Einverstanden«, meinte Janacek achselzuckend. »Ich werde ihn darum bitten«, sagte Chell. Die anderen nickten. »Dann bis morgen«, sagte Janacek. »Es ist alles getan«, verkündete Chell.
Und während sich Dirk verloren und fehl am Platze vorkam, nahmen die vier Kavalaren voneinander Abschied, und Dirk sah, wie etwas Seltsames geschah.
Bevor sie auseinandergingen, küßte jeder seine beiden Feinde flüchtig auf die Lippen.
Und Bretan Braith Lantry, vernarbt und einäugig, der Mann, dem die halbe Lippe fehlte — Bretan Braith Lantry küßte Dirk.
Als die Braiths gegangen waren, begaben sich die anderen nach unten. Vikary öffnete die Tür zu seinem Appartement und schaltete das Licht an. Schweigend begann er damit, ein Feuer im Kamin vorzubereiten. Aus einem in der Wand verborgenen Kämmerchen nahm er Äste aus schwarzem, knorrigem Holz, die er in der Feuerstelle aufschichtete. Dirk saß mit finsterem Blick auf dem einen Ende der Couch. Am anderen Ende saß mit vagem Lächeln Garse und strich sich abwesend mit den Fingern durch seinen orangeroten Bart. Niemand sprach. Knisternd und prasselnd erwachte das Feuer zum Leben. Orange- und blaubespitzte Flammenzungen umleckten die Äste, und Dirk fühlte die plötzliche Hitze an den Händen und im Gesicht. Ein Geruch wie Zimt erfüllte den Raum. Vikary erhob sich und ging.
Mit drei Weinbrandschwenkern, schwarz wie Obsidian, kehrte er zurück. Unter den Arm hatte er eine Flasche geklemmt. Er gab ein Glas an Dirk, eines an Garse, stellte das dritte auf dem Tisch ab und entkorkte die Flasche mit den Zähnen. Der Wein war von tiefroter Farbe und roch scharf. Vikary füllte alle drei Gläser bis zum Rand, und Dirk hob seines unter die Nase. Die Dünste brannten geradezu, aber er fand sie seltsamerweise angenehm.
»Jetzt«, sprach Vikary, bevor noch einer den Wein probieren konnte. Er hatte die Flasche abgestellt und hob sein eigenes Glas. »Jetzt werde ich euch beide um etwas Schwieriges bitten. Ich verlange von jedem von euch, daß er einige Zeit aus sich herausgeht, seine nichtige, kleine Kultur vergißt und zu etwas wird, das er noch nie zuvor war, zu etwas ihm selbst Fremdartigem. Garse, ich bitte dich — zum Wohl von uns allen —, Dirks Freund zu sein. Altkavalar kennt dafür kein Wort, ich weiß. Auf Hoch Kavalaan ist das nicht nötig. Dort hat ein Mann seinen Festhalt, seine kethi und vor allem seinen teyn.
Aber wir befinden uns alle auf Worlorn, und morgen duellieren wir uns. Wir mögen nicht in einem Duell zusammenstehen, dennoch haben wir gemeinsame Feinde. Deshalb bitte ich dich als meinen teyn, die Namen und Namensbünde der Freundschaft mit t’Larien auszutauschen.«
»Du verlangst viel von mir«, erwiderte Janacek, seinen Wein vor sich haltend. Er beobachtete, wie die Flammen im schwarzen Glas tanzten. »T’Larien hat uns nachspioniert, hat meine cro-betheyn und deinen Namen zu stehlen versucht, und nun hat er uns in den Streit mit Bretan Braith verwickelt. Nach allem, was er uns antat, bin ich geneigt, selbst Genugtuung von ihm zu fordern.
Statt dessen bittest du, mein teyn, mich darum, den Freundschaftsbund mit ihm zu flechten.« Janacek blickte auf Dirk, dann kostete er den Wein. »Du bist mein teyn«, sagte er. »Ich komme deinen Wünschen nach. Welche Bedingungen muß ich für den Namensbund der Freundschaft erfüllen?« »Behandle einen Freund, wie du einen keth behandeln würdest«, sprach Vikary. Er wandte sich halb um und musterte Dirk. »Und Sie, t’Larien, Sie haben uns großen Ärger bereitet, aber ich weiß nicht, wie groß Ihre Schuld dabei ist — falls Sie überhaupt Schuld daran tragen. Auch Sie möchte ich um etwas bitten. Seien Sie für eine gewisse Zeit Garse Eisenjade Janaceks Festhaltbruder.«
Dirk kam nicht mehr zum Antworten, denn Janacek fuhr dazwischen. »Das kannst du nicht machen! Wer ist dieser t’Larien? Wie kannst du ihn für würdig erachten, der Eisenjade beitreten zu dürfen? Er wird falsches Spiel treiben, Jaan. Er wird die Bünde nicht halten, den Festhalt nicht verteidigen und nicht mit uns zur Versammlung zurückkehren. Ich protestiere dagegen.«