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Dirk nickte zustimmend. »Ja. Ich kenne mich nur ein wenig in Geschichte aus, aber Sie scheinen eine Menge darüber zu wissen.« »Ich bin Historiker«, sagte Vikary.

»Der größte Teil meiner Arbeit war dem Problem gewidmet, auf meiner eigenen Welt, Hoch Kavalaan, Mythen und geschichtliche Ereignisse zu trennen.

Eisenjade schickte mich aus diesem Grund unter großem Kostenaufwand nach Avalon, um die Datenbänke der alten Computer zu überprüfen. Nun, ich verbrachte dort zwei Studienjahre, hatte sehr viel Freizeit und entwickelte Interesse an der allgemeinen Geschichte des Menschen.«

Dirk sagte nichts, sondern widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Morgendämmerung. Die rote Scheibe des Fetten Satan war jetzt halb aufgegangen, und eine dritte gelbe Sonne wurde sichtbar. Sie lag nörd-lich von den anderen und war kaum größer als ein Stern.

»Der rote Stern ist ein Überriese«, sinnierte Dirk, »aber von hier scheint er nur ein bißchen größer als Avalons Sonne zu sein. Er muß sehr weit entfernt sein.

Erstaunlich, daß es hier noch relativ warm ist. Eigentlich müßte sich doch längst Eis gebildet haben. Aber es ist nur kühl.« »Das ist unser Verdienst«, erzählte ihm Vikary mit einem gewissen Stolz. »Nicht das Verdienst von Hoch Kavalaan allein, aber unzweifelhaft das gemeinsame Werk der Außenwelten. Während des Zusammenbruchs bewahrte Tober einen Teil des Wissens um die Kraftfeldtechnologie der Erdgeborenen. Seither haben die Toberianer auf diesem Gebiet dazugelernt.

Ohne ihren Schild wäre niemals ein Festival auf Worlorn möglich gewesen. Im Perihel hätte die Hitze von Höllenkrone und Fettem Satan die Atmosphäre des Planeten verbrannt und sein Meer verdampft. Aber der toberianische Schild schützte vor allen Naturgewalten, und wir verlebten einen langen, strahlenden Sommer.

Auf ähnliche Weise hilft er jetzt, die Wärme zu halten.

Dennoch hat er, wie alles, seine Grenzen. Die Kälte wird kommen.«

»So habe ich mir unser Zusammentreffen eigentlich nicht vorgestellt«, sagte Dirk. »Warum sind Sie heraufgekommen?« »Auf gut Glück. Vor Jahren erzählte mir Gwen, daß Sie die Morgendämmerung lieben. Und andere Dinge auch, Dirk t’Larien. Ich weiß mehr von Ihnen als Sie von mir.«

Dirk lachte. »Das ist wahr. Bis gestern abend wußte ich nicht einmal von Ihrer Existenz.«

Jaan Vikarys Gesicht war hart und ernst geworden.

»Aber ich existiere. Denken Sie immer daran. Und wir können Freunde sein! Ich hoffte darauf, Sie allein anzutreffen und Ihnen dies mitzuteilen, bevor die anderen aufwachen. Wir sind hier nicht auf Avalon, t’Larien, und heute ist nicht gestern. Wir befinden uns auf einer sterbenden Festivalwelt, einer Welt ohne eigene Normen.

Deshalb muß jeder streng die Normen befolgen, die ihm mitgegeben wurden. Versuchen Sie nicht, mein Selbstverständnis auf die Probe zu stellen. Seit meinen Jahren auf Avalon habe ich mich bemüht, mich selbst als Jaan Vikary zu begreifen, aber ich bin immer noch ein Kavalare. Zwingen Sie mich nicht, Jaantony Riv Wolf Hoch-Eisenjade Vikary zu sein.«

Dirk stand auf. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was Sie meinen«, sagte er. »Aber ich glaube, ich kann herzlich und offen sein. Ich habe bestimmt nichts gegen Sie, Jaan.«

Das schien zu genügen, um Vikary zufriedenzustellen.

Er nickte gemächlich und griff dann in seine Hosentasche. »Ein Zeichen meiner Freundschaft und meines Interesses an Ihnen«, sagte er. In seiner Hand lag eine schwarze Kragennadel aus Metall, ein winziger Manta. »Würden Sie es für die Zeit Ihres Aufenthalts auf Worlorn tragen?« Dirk nahm die Nadel aus seiner Hand.

»Wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann«, sagte er, amüsiert über die Förmlichkeit des anderen. Er heftete die Nadel an seinen Kragen.

»Diese Morgendämmerung ist düster«, sagte Vikary, »und der Tag wird nicht viel besser werden. Kommen Sie hinunter zu unseren Quartieren. Ich werde die anderen wecken, dann können wir essen.«

Das Appartement, das Gwen mit den beiden Kavalaren teilte, war riesengroß. Der Wohnraum wurde durch einen zwei Meter hohen und doppelt so breiten Kamin beherrscht, über dem sich ein schiefergrauer Sims mit finster blickenden Wasserspeiern befand, die wohl die Asche bewachen sollten. Vikary führte Dirk über einen breiten schwarzen Teppich in ein Eßzimmer hinein, das fast ebenso groß war. Dirk setzte sich auf einen der zwölf Holzstühle mit hoher Rückenlehne, die den großen Tisch umstanden, während sein Gastgeber sich um das Essen und Gesellschaft für ihn kümmerte.

Kurze Zeit später kam er mit einer Platte, auf der dünngeschnittene Fleischscheiben lagen, und einem Korb mit Zwieback zurück. Er stellte beides vor Dirk ab, wandte sich um und ging wieder. Er war gerade verschwunden, als sich eine andere Tür öffnete und Gwen mit schlaftrunkenem Lächeln eintrat. Sie trug ein altes Stirnband, verwaschene Hosen und eine unförmige grüne Bluse mit weiten Ärmeln. Er konnte das Glitzern ihres schweren Jade-und-Silber-Armreifs sehen, der ihren linken Arm eng umschloß. Einen Schritt hinter ihr kam ein weiterer Mann in den Raum, fast ebenso groß wie Vikary, aber einige Jahre jünger und viel schlanker. Er trug einen kurzärmeligen, einteiligen Anzug aus rotbraunem Chamäleonstoff und blickte Dirk aus lebhaften, blauen Augen an, den blauesten, die Dirk je gesehen hatte. Ein roter Vollbart schmückte sein hageres, scharfgeschnittenes Gesicht. Gwen setzte sich. Der Rotbart hielt vor Dirks Stuhl an. »Ich bin Garse Eisenjade Janacek«, sagte er. Er bot seine Handflächen an. Dirk erhob sich, um die seinen dagegen zu pressen.

Garse Eisenjade Janacek trug, wie Dirk feststellte, eine Laserpistole an seiner Hüfte, eingehängt in ein Lederhalfter an einem silberglänzenden Netzstahlgürtel.

Seinen rechten Unterarm umspannte ein schwarzer Armreif, ein Zwilling des Reifs von Vikary — Eisen und Glühstein. »Wahrscheinlich wissen Sie, wer ich bin«, sagte Dirk. »In der Tat«, erwiderte Janacek. Er stellte ein recht arglistiges Grinsen zur Schau. Beide setzten sich.

Gwen kaute bereits auf einem Zwieback herum. Als Dirk sich auf seinem Stuhl niedergelassen hatte, beugte sie sich über den Tisch, befingerte die kleine Mantanadel an seinem Kragen und lächelte dabei amüsiert. »Ich sehe, daß du und Jaan euch schon gefunden habt«, sagte sie.

»Mehr oder weniger«, gab Dirk zurück, und genau in diesem Augenblick kam Vikary wieder. In der rechten Hand hielt er ungeschickt vier Zinnbecher bei den Henkeln, mit der Linken balancierte er einen großen Krug Dunkelbier. Er setzte alles auf der Tischmitte ab, dann ging er ein letztes Mal in die Küche zurück, um Teller, Eisenbestecke und einen glasierten Krug zu holen, der eine süßgelbe Paste enthielt, die als Aufstrich für den Zwieback dienen sollte.

Während er draußen war, schob Janacek die Becher über den Tisch zu Gwen. »Schenk ein«, befahl er ihr in recht schroffem Ton, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Dirk zuwandte. »Wie ich erfahren habe, waren Sie der erste Mann, den sie kannte«, sagte er, während Gwen einschenkte. »Sie haben sie mit einer stattlichen Zahl schlechter Angewohnheiten zurückgelassen«, fuhr er kalt lächelnd fort. »Ich bin geneigt, das als Beleidigung aufzufassen und fordere Genugtuung.« Dirk sah verstört aus. Gwen hatte drei der vier Becher mit Bier und Schaum gefüllt. Einen schob sie an Vikarys Platz, den zweiten reichte sie Dirk, und aus dem dritten nahm sie einen langen Zug. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Lippen, lächelte Janacek an und gab ihm den leeren Becher. »Falls du Dirk wegen meiner Angewohnheiten belangen willst«, sagte sie, »dann muß ich wohl Jaan bitten, mir für die Jahre Genugtuung zu verschaffen, die ich unter deinen Angewohnheiten gelitten habe.« Janacek wog den leeren Bierbecher in den Händen und blickte finster drein. » Betheyn-Schlampe«, sagte er fast im Plauderton. Dann schenkte er sich sein Bier selbst ein. Einen Augenblick später war Vikary zurück. Er setzte sich, nahm einen Schluck aus seinem eigenen Becher, und alle begannen zu essen. Sehr schnell merkte Dirk, daß Bier zum Frühstück nicht das verkehrteste war. Auch der Zwieback, bestrichen mit einer dicken Schicht der süßen Paste, war ausgezeichnet.