»Und ob Sie töten können«, wiederholte Janacek.
»Bessere Chancen kann ich Ihnen nicht anbieten, t’Larien.«
»Ich akzeptiere sie trotzdem«, sagte Dirk. Dann schwiegen sie längere Zeit. Aber als die schwarzen Zacken des Bergmassivs unter ihnen hinweggeglitten waren und Janacek die Lichter des Gleiters gelöscht und ihren langsamen, vorsichtigen Abstieg eingeleitet hatte, wandte sich Dirk ihm wieder zu. »Was hätten Sie getan, wenn ich mit Ihrem Schwindel nicht einverstanden gewesen wäre?« fragte er. Garse Janacek rutschte auf seinem Sitz herum und legte die rechte Hand auf Dirks Arm. Die unberührten Glühsteine brannten schwach im Eisen seines Armreifs. »Der Bund von Feuer-und-Eisen ist stärker als alles, was Sie kennen«, sagte der Kavalare mit ernster Stimme, »und viel stärker als alle Bünde vergänglicher Dankbarkeit. Hätten Sie sich geweigert, t’Larien … ich hätte Ihnen die Zunge aus dem Mund geschnitten, um zu verhindern, daß Sie den Braiths meine Pläne verraten könnten. Dann wäre ich weiter so vorgegangen wie bisher. Willentlich oder nicht, Sie hätten sich mit Ihrer Rolle abfinden müssen. Verstehen Sie mich richtig, t’Larien, ich hasse Sie nicht, obwohl Sie meinen Haß schon mehrere Male verdient hätten.
Manchmal habe ich mich sogar dabei ertappt, wie ich Ihnen Sympathie entgegenbrachte, soviel Sympathie, wie ein Eisenjade für einen außerhalb aller Bünde Stehenden aufbringen kann. Ich hätte Ihnen kein Leid aus reiner Bosheit zugefügt. Dennoch hätte ich Sie verletzt, wenn es meinem Plan dienlich gewesen wäre. Er ist Jaan Vikarys einzige Hoffnung.«
Als er sprach, konnte Dirk in Janaceks Gesicht nicht die kleinste Spur von Humor entdecken. Diesmal war es kein Spaß für ihn.
Dirk blieb nicht viel Zeit, um über Janaceks Worte nachzudenken. Wie ein unglaublich leichter Felsblock fielen sie durch die Nacht und huschten geisterhaft über die Spitzen der Würger. Das Wrack glimmte noch schwach orangerot, und ein Rauchvorhang verdunkelte seine Umrisse. Auch schienen einige der umgestürzten Würgerstämme noch zu brennen, denn von ihnen stammte offenbar der Rauch. Janacek ließ den Gleiter über der Absturzstelle schweben, öffnete eine der dickgepanzerten Türen und warf das Lasergewehr hinaus, das einige Meter unter ihnen auf den umgepflügten Boden schlug. Auf Dirks Verlangen hin ließ er noch die Braithjacke folgen, die Dirk getragen hatte. Das schwere Leder und der Pelzbesatz waren für einen Mann, der nackt durch den Wald rannte, sicherlich ein Geschenk des Himmels. Danach stiegen sie wieder senkrecht in den nachtschwarzen Himmel auf, und Janacek fesselte Dirk an Händen und Füßen. Die dünnen Schnüre schnitten tief in das Fleisch und drohten die Blutzirkulation zu unterbinden. Alles sah sehr echt aus. Nachdem Janacek Innenbeleuchtung und Scheinwerfer wieder eingeschaltet hatte, beschleunigte er den Gleiter und hielt geradewegs auf den Lichtkreis zu.
Die Braithhunde schliefen angebunden am Wasserrand, aber als der fremde Gleiter sich herabsenkte, erwachten sie, und als Janacek landete, heulten sie schon um die Wette. Nur einer der Braiths hielt Wache. Es war der Haut-und-Knochen-Jäger, dessen schwarzes, ungekämmtes Haar nach allen Seiten abstand und den Eindruck machte, als wäre es mit Kohlenstaub festgebacken. Dirk wußte, daß es sich um Pyrs teyn handelte, aber er kannte nicht seinen Namen. Der Mann saß an einem heruntergebrannten Lagerfeuer gleich neben den Braithhunden, das Lasergewehr neben sich. Beim ersten Geräusch der Hunde war er jedoch sofort auf den Beinen.
Janacek entriegelte die massive Kabinentür, schwang sie kraftvoll nach oben und ließ die kalte Nachtluft hereinströmen. Er zog Dirk auf die Füße und stieß ihn unsanft nach draußen, wo er ihn in den kühlen Sand niederzwang.
»Eisenjade«, sagte der Wächter verächtlich. Nun begannen sich seine kethi aus ihren Schlafsäcken zu schälen oder wurden von den Gleitern ausgespien.
»Ich habe ein Geschenk für Euch«, sagte Janacek, die Hände in die Hüften gestemmt. »Ein Angebot Eisenjades an Braith.« Von seiner knienden Position aus sah Dirk, daß mittlerweile sechs Jäger zusammengekommen waren. Sie hatten sich alle auch an der Jagd in Challenge beteiligt. Der kahle, stämmige Pyr schien im Freien, nicht weit von seinem teyn entfernt, geschlafen zu haben. Er war als erster zur Stelle. Kurz danach gesellten sich Roseph Hoch-Braith und sein stiller muskulöser Begleiter dazu. Auch diese beiden hatten neben ihrem Gleiter auf dem Waldboden geschlafen. Zuletzt tauchte Lorimaar Hoch-Braith Arkellor auf. Seine linke Brustseite war stark bandagiert. Auf den Arm des dicken Mannes gestützt, der schon früher mit ihm zusammen gewesen war, kam er langsam aus dem wuchtig wirkenden roten Gleiter. Alle sechs erschienen so, wie sie geschlafen hatten — angezogen und bewaffnet.
»Das Geschenk ist uns willkommen, Eisenjade«, sagte Pyr. Er trug die Handfeuerwaffe an seinem schwarzen, metallischen Gürtel, den Stock hatte er jedoch nicht bei sich, und ohne ihn sah er fast unvollständig aus.
»Aber Eure Anwesenheit behagt uns gar nicht«, sagte Lorimaar und drängte sich in den Kreis. Den größten Teil seines Gewichtes schien er auf seinen teyn verlagert zu haben, der unter der Last niedergedrückt und bucklig aussah und nicht mehr der Riese zu sein schien, der er einst gewesen war. Und Dirk, der ihn sich genau ansah, glaubte trotz der Dunkelheit Runzeln zu erkennen, gezeichnete Haut — frisch eingegrabene Falten des Schmerzes.
»Es liegt inzwischen klar auf der Hand, daß die Duelle, für die man mich zum Schiedsrichter bestimmte, niemals stattfinden werden«, verkündete Roseph ganz ohne den feindseligen Unterton, der Lorimaars Stimme so reichlich ausstattete. »Daher habe ich keine besondere Autorität mehr und kann folglich auch nicht mehr für Hoch Kavalaan oder Braith sprechen. Doch ich bin mir sicher, für uns alle sprechen zu können. Wir tolerieren Eure Störung nicht, Eisenjade, Blutgeschenk oder nicht.«
»Richtig«, stimmte Lorimaar bei.
»Ich will nicht stören«, sagte Janacek, »ich will mich Euch anschließen.«
»Wir jagen Euren teyn«, warf Pyrs Begleiter ein. »Das weiß er«, fauchte Pyr.
»Ich habe keinen teyn«, erwiderte Janacek. »Ein Tier, das mein Eisen-und-Feuer trägt, streift durch die Wälder.
Ich will euch helfen, es zur Strecke zu bringen und ihm abnehmen, was mir gehört.« Seine Stimme klang sehr hart und sehr überzeugend.
Einer der Hunde lief unaufhörlich auf und ab und riß an seiner Kette. Er knurrte, verzog sein Rattengesicht vor Janacek und zeigte ihm zwei gefährlich aussehende Reihen gelber Zähne. »Er ist ein Lügner«, schrie Lorimaar Hoch-Braith. »Selbst unsere Hunde können sein Lügen wittern. Sie mögen ihn nicht.« »Einen Spottmenschen«, fügte sein teyn hinzu.
Garse Janacek drehte seinen Kopf nur ganz leicht. Das tanzende Licht des Feuers beleuchtete seinen Bart, während er sein dünnes, bedrohliches Lächeln lächelte.
»Saanel Braith«, sagte er, »Euer teyn ist verwundet und beleidigt mich straffrei. Er weiß, daß ich ihn nicht zur Rechenschaft ziehen kann. Für Euch gelten diese Vergünstigungen nicht.« »Im Augenblick schon«, griff Roseph ein. »Das ist ein Trick, den wir Euch nicht durchgehen lassen, Eisenjade. Ihr werdet Euch nicht einzeln mit uns duellieren und auf diese Weise Euren aus dem Bund gefallenen teyn retten.«
»Ich schwor, daß ich ihn nicht retten werde. Ich habe keinen teyn.
Ihr könnt mir meine, dem Kodex unterliegenden Rechte nicht nehmen.« Der kleine, zusammengeschrumpfte Roseph — einen halben Meter kleiner als die anderen Kavalaren — starrte Janacek an und weigerte sich nachzugeben. »Wir sind auf Worlorn«, sagte er. »Und wir machen, was wir wollen.« Mehrere der anderen grummelten Beifall. »Ihr seid Kavalaren«, blieb Janacek hart, aber in seinen Gesichtsausdruck schlichen sich Zweifel. »Ihr seid Braiths und Hochleibeigene von Braith, gebunden an euren Festhalt, euren Rat und dessen Entscheidungen.« »In früheren Jahren«, sagte Janacek lächelnd. »Ich sah viele meiner kethi und noch mehr Männer anderer Festhalte die alten Weisheiten aufgeben. ›Dieses und jenes ist falsch‹, pflegten die gezierten Eisenjades zu sagen. ›Da können wir nicht mitmachen.‹ Und die Schafe von Rotstahl echoten hinterher, ebenso die weibischen Männer von Shanagate und leider auch viele Braiths. Sind meine Erinnerungen falsch? Ihr steht vor uns und heißt uns, den Kodex einzuhalten — aber erinnere ich mich etwa nicht daran, wie mir die Eisenjades in meiner Jugend sagten, ich dürfe nicht länger Spottmenschen jagen? Habe ich die weichen Kavalaren falsch in Erinnerung, die nach Avalon gesandt wurden, um alles über Raumschiffe, moderne Waffen und ähnlichen Dingen herauszufinden?