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Es war nur ein Kilometer, weniger als ein Kilometer. Er fröstelte. Ihm war heiß. In der Brust peinigten ihn tausend Nadeln. Er rannte weiter, ruderte mit den Armen, stolperte und fiel, raffte sich auf, hetzte weiter. Die Hunde waren hinter ihm, ganz nahe, ganz nahe, die Hunde waren hinter ihm.

Und dann plötzlich — er wußte nicht, wann oder wie lange er gelaufen war, er wußte nicht, welchen Weg er zurückgelegt hatte, denn der Stern war fort — glaubte er einen leichten Brandgeruch wahrzunehmen. Mit langen Sätzen sprang er in die vermeintliche Richtung, zwischen den Bäumen hindurch auf eine Lichtung hinaus, jagte auf die andere Seite der öden, unbewachsenen Stelle zu — und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Die Hunde waren direkt vor ihm.

Wenigstens einer. Knurrend, mit kleinen, bösen Augen, die haarlose Schnauze geöffnet, so daß die häßlichen Fangzähne entblößt waren, kam er aus dem Wald geschlichen. Dirk versuchte, um ihn herumzulaufen, aber das Tier hatte ihn schon erreicht, sprang ihn an, warf ihn um und war wieder auf allen vieren. Mit einiger Anstrengung kam Dirk erneut auf die Knie, der Hund umkreiste ihn und schnappte unerbittlich zu, wenn er Anstalten machte, sich zu erheben. Das hatte ihm bereits einen tiefen Biß am linken Arm eingebracht. Er verlor zwar Blut, aber der Hund fuhr ihm nicht an den Hals, um ihn zu töten. Abgerichtet, dachte Dirk, er ist abgerichtet.

Der Hund umkreiste ihn fortwährend und ließ ihn keinen Sekundenbruchteil lang aus den Augen. Pyr hatte ihn vorausgeschickt und kam mit seinem teyn und den anderen Hunden nach. Der hier würde ihn zur Unbeweglichkeit verdammen, bis die anderen heran waren.

In wilder Verzweiflung sprang Dirk auf die Beine und warf sich den Bäumen entgegen. Der Hund machte einen Satz, erwischte ihn am Arm und riß ihn daran zu Boden.

Diesmal stand er nicht wieder auf. Der Hund ließ ihn los und stand wie versteinert über ihm. Blut und Geifer tropften von seinem Maul herab. Dirk versuchte sich mit dem unverletzten Arm hochzustemmen. Er kroch einen halben Meter. Der Hund knurrte wütend. Die anderen waren nahe. Er hörte das Bellen. Dann hörte er über sich etwas anderes. Er sah zu dem kleinen Stückchen Himmel hinauf, das die dunklen Wolken nicht verdeckten. Der Braithhund zog sich einen Meter zurück und starrte ebenfalls nach oben. Da war das Geräusch wieder. Es glich einem gellenden Kriegsruf, einem langanhaltenden, keifenden Kreischen, einem Todesschrei, der in seiner Intensität beinahe melodisch wirkte. Dirk fragte sich, ob er nun starb und dabei die Gesänge von Kryne Lamiya im Ohr hatte. Aber der Hund hörte es auch. Er setzte sich und starrte wie gebannt nach oben. Etwas Schwarzes verdunkelte das rötlichgrau schimmernde Fleckchen Himmel.

Dirk sah es fallen. Es war riesig, pechschwarz, und an der Unterseite gab es tausend kleine, rote Mäuler. Sie standen alle offen und sangen, stießen das nervenzerfetzende, schreckliche Geheul aus. Das Ding war dreieckig und besaß keinen Kopf, ein großes, dunkles Segel, ein windgetragener Mantarochen, ein Lederumhang, den jemand am Himmel verloren hatte.

Ein Lederumhang mit Mäulern und einem langen, dünnen Schwanz.

Er sah, wie der Schwanz plötzlich herumpeitschte und dem Hund quer über die Schnauze schlug. Aufheulend zog er sich zurück. Aber schon schwebte die fliegende Kreatur über ihm, wobei sich ihre riesigen Flügel auf graziöse Weise wellenförmig bewegten. Dann senkte sie sich auf den Hund hinab und schloß die Schwingen um ihn. Beide Tiere gaben keinen Laut von sich. Der Hund, der riesige, kräftige Hund mit der Rattenschnauze, der aufgerichtet fast so groß war wie ein Mann — der Hund war verschwunden. Das andere Wesen hatte ihn gänzlich eingehüllt und lag nun wie eine schwarze Lederwurst von immenser Größe im Gras. Es herrschte tiefe Stille. Der Jagdruf des Raubtieres hatte den gesamten Wald zum Schweigen gebracht. Von den anderen Hunden hörte er nichts mehr.

Vorsichtig erhob sich Dirk auf die Beine und ging humpelnd um den erstarrten Mörder-Umhang herum. Er schien sich kaum zu bewegen. Im frühmorgendlichen Dämmerlicht hätte ihn mancher sicherlich für einen mißgestalteten Baumstamm gehalten.

In Gedanken sah ihn Dirk aber noch so, wie er am Himmel ausgesehen hatte: ein schwarzer, heulender, fallender Schatten, der ganz aus Schwingen und Mäulern bestand. Einen kurzen Augenblick lang hatte er nur die Silhouette gesehen und gedacht, Jaan Vikary sei gekommen, um ihn mit dem grauen Mantagleiter zu retten.

Die andere Seite der Lichtung wurde von dichtgedrängt stehenden, braungelben Würgerbäumen beherrscht.

Hinter ihnen stieg Rauch auf. Müde wich Dirk dem wächsernen Geäst aus, quetschte sich hindurch oder brach Äste, wo es nötig war.

Das Wrack brannte nicht mehr, aber eine dünne Rauchfahne ringelte sich noch immer von ihm hoch.

Beim Absturz mußte der Gleiter zuerst mit einem Flügel Bodenberührung bekommen haben, denn in die Erde war ein langer Graben gepflügt worden. Bevor sie schließlich brach, hatte die Schwinge noch mehrere Bäume gefällt.

Der andere Flügel zeigte senkrecht in die Luft.

Schmelzbahnen im Metall und viele Löcher, die von einer Laserkanone herrührten, hatten die Fledermausform fast unkenntlich gemacht.

Die Kabine war eingedrückt und geschwärzt, auf Dirks Seite klaffte ein großes gezacktes Loch.

Direkt daneben fand Dirk sein Lasergewehr. Er stieß auch auf Knochen. Zwei Skelette lagen in tödlicher Umarmung. Die dunklen, nassen Knochen, die noch braun vom Blut und anhaftenden kleinen Fleischstückchen waren, hatten sich ineinandergeschoben. Ein Skelett war menschlichen Ursprungs. Alle Extremitäten waren gebrochen, und die Mehrzahl der Rippen war zerschmettert oder fehlte ganz. Eines übersah Dirk jedoch nicht: ein zweifach gebrochener Unterarm endete in einer dreifingerigen Metallklaue. Vermischt damit und genauso tot waren die Überreste eines Wesens, das die Leiche aus dem brennenden Gleiter ins Freie gezogen hatte — ein Räuber oder Aasfresser, dessen gummiartig anmutenden, von schwarzen Adern umgebenen Knochen gekrümmt und sehr groß aussahen. Der Banshee hatte das Tier beim Fressen der Leiche überrascht. Kein Wunder, daß er in der Nähe gewesen war. Von der pelzbesetzten Lederjacke, die Garse und er abgeworfen hatten, war keine Spur zu entdecken. Dirk schleppte sich zu dem ausgekühlten Wrack des Gleiters hinüber und kletterte in den dunklen Rachen. Als er sich hineinfallen ließ, schnitt er sich an einer scharfen Metallkante, aber er bemerkte es kaum, ein Kratzer mehr, darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Vor dem Wind geschützt, und — wie er hoffte — auch vor den Braiths und dem Banshee, wartete er. Die meisten seiner Wunden hatten sich geschlossen, wie er stumpfsinnig bemerkte. Wenigstens blutete er jetzt nur noch ein bißchen. Aber der braune Schorf war überall dick mit Schmutz verkrustet, und er fragte sich, ob er nicht etwas gegen eine drohende Infektion unternehmen konnte. Im Moment schien das jedoch keine große Rolle zu spielen, er schob den Gedanken beiseite und umklammerte den Laser noch fester, in der Hoffnung, die Jäger würden nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Was sie wohl aufhielt? Vielleicht fürchteten sie sich davor, den Banshee zu stören, ja, das schien einen Sinn zu ergeben. Auf der kalten Asche legte er den Kopf in die Armbeuge und versuchte, nicht zu denken und nicht zu fühlen. Seine Füße kamen ihm wie rohe Fleischklumpen vor. Ungeschickt versuchte er, sie in der Luft zu halten, so daß sie nichts berührte. Das half ein wenig, aber er hatte nicht die Kraft, in dieser unnatürlichen Stellung lange zu verweilen. Wo der Braithhund ihn gebissen hatte, schmerzte sein Arm höllisch. Eine Zeitlang wünschte er sich inbrünstig, er könnte den Schmerz unterbinden und seinen Kopf in einen klareren Zustand versetzen. Dann überlegte er es sich anders. Gerade die Schmerzen waren es, die ihn wahrscheinlich davor bewahrten, bewußtlos zu werden, dachte er. Und wenn er jetzt einschlief, dann würde er nie wieder aufwachen.