5
Antana schwebte leichtfüßig durch die langen Flure, bis sie vor eine großen hölzernen Saaltür stehenblieb.
»Ihr könnt eintreten, die Hüterin des Feuers erwartet Euch«, sagte sie lächelnd und verschwand hinter einer der schwarzen Säulen.
Faramund sah ihr nach, bevor er sich der mächtigen schweren Holztüre zuwandte. Er öffnete die Tür und hielt den Atem an. Augenblicklich war ihm klar, warum Antana vom Raum des Lichtes gesprochen hatte. Hunderte von Kerzen erfüllten den großen Saal und wurden von glänzenden Kristallen, die an den Wänden angebracht waren, tausendfach gespiegelt. Doch seine Augen wurden trotz des Lichtes magisch in die Mitte des Raumes gezogen, wo ein kleiner Seerosenteich lag.
Vorsichtig schritt der junge Ritter näher und schaute in das klare Wasser. Bunte Fische tummelten sich darin, tauchten unter den grünen Blättern der Seerosen durch, schwammen im Kreis und verschwanden hin und wieder in den dunklen Tiefen, um sich seinen Blicken zu entziehen.
»Tretet ruhig noch ein wenig näher, Faramund, ich heiße Euch an dem Ort des Lichtes willkommen«, sagte Luovana und erhob sich von einem Kissen, das am gegenüberliegenden Ende des Raumes vor dem Kamin lag.
»Das ist das Schönste, was ich seit langem sah.« Faramund schaute über die Lichter.
Luovana lächelte. »Dies ist der Raum der Liebe, es ist ein Ort der Vereinigung von Wasser und Feuer. Hier ruht die lichte Seite der Göttin in beiden Elementen.«
»Dann seid Ihr also die Hüterin des Feuers?« fragte Faramund und wandte sie an Luovana. Sie sah anders aus, so ohne Umhang und Kapuze. Sie wirkte irgendwie leuchtender, nicht so zerbrechlich, sondern auf ihre eigene Art majestätisch. Vielleicht lag es auch an ihrem weißen Kleid. Im Licht der vielen Kerzen schimmerte es zart und bildete einen klaren Gegensatz zu ihren roten Haaren, die ungebändigt über ihre Schultern fielen.
»Setzt Euch eine Weile zu mir an das Feuer«, sagte sie und bot Faramund ein Kissen an. Er nickte, ging gehorsam um den Teich herum und ließ sich auf dem weinroten Samt nieder. Einen solch prachtvollen Raum hatte er noch nie gesehen. Es wunderte ihn, daß es nirgendwo Wachen gab, die diese spiegelnden Schätze bewachten. Er schaute sich um; vielleicht hatte er sie ja auch nur übersehen. Als er niemanden entdeckte, fragte er Luovana danach.
»Wozu sollte dieses Heiligtum bewacht werden?« Luovana lächelte. »Es gibt hier niemanden, der die Orte der Göttin schänden würde. Die Göttin straft einen solchen Frevel weit mehr, als die Wachen oder ich es je könnten.«
»Auch nicht diese Adlerfrau?«
»Auch Lursa nicht.« Luovana hob ihr Haupt. Faramund erkannte eine tiefe Traurigkeit in ihrem Gesicht. »Lursa liebt die Göttin auf ihre Art, und sie würde niemals zerstören, was der Göttin gehört.«
»Sie hat unsere Pferde getötet. Sind die Tiere denn nach Eurem Glauben nicht auch Geschöpfe der Göttin?«
»Deshalb ist das Unglück ja geschehen.«
Faramund schaute Luovana fragend an.
»Lursa hatte die Pferde bereits der Göttin geopfert, als ich sie fand. Sie konnte nicht zulassen, daß die Tiere in den Ring des Feuers oder gar bis in die Burg gekommen wären. Sie mußte sie töten. Sie hatte keine Wahl.«
»Deshalb das Blut an Brunos Fuchswallach?«
»Ja, deshalb das Blut. Er gehörte bereits der Göttin.«
»Warum habt Ihr dann überhaupt versucht, die Pferde zu retten?«
»Weil Lursa den dunklen Teil der Göttin verehrt und es nicht gut ist, diesen Teil der Macht gewähren zu lassen. Er bringt uns die Finsternis und den Tod. Wenn wir vor ihr den Burgweg erreicht hätten, wären die Tiere in Sicherheit gewesen. Es war ein Wettlauf, den Lursa gewann.«
Faramund ließ seinen Blick über die Lichter schweifen. »Warum habt Ihr mich hierher rufen lassen? Was soll ich in Eurem Heiligtum?«
»Seht Euch um.« Luovana machte eine weite Geste, als wolle sie den ganzen Raum vor Faramund ausbreiten. Doch der junge Ritter bedachte sie nur mit einem spöttischen Blick.
»Verzeiht, edle Hüterin des Feuers, nehmt es mir nicht übel, aber ich kann meinen Glauben nicht verraten. Es gibt nur einen allmächtigen Gott!« Er zögerte einen Augenblick. »Allein, Euer Reichtum würde mir einen gewissen Respekt abverlangen, nicht aber Eure heidnische Gottheit.«
Luovana wiegte lächelnd den Kopf hin und her. »Jeden Morgen betrete ich voller Freude diesen Raum, um einige Lichter, welche in der Nacht erloschen sind, neu zu entzünden. Ich grüße dann die Göttin, und ich bete für die Liebe.« Sie schaute auf. »So etwas Ähnliches tun Eure Priester doch auch?«
»Das könnt Ihr doch nicht vergleichen? Ich gebe zu, viele unserer Kirchen sind nicht so prächtig wie dieser Saal«, erwiderte Faramund mit heftiger Stimme. »Aber das müssen sie auch nicht sein, denn unser Gott ist das Licht selbst, er ist von den Toten auferstanden, er allein hat die Finsternis besiegt. Eure Göttin gibt es nicht, es ist folglich ein Irrglaube, dem ihr aufgesessen seid, edle Frau. Das alles ist nichts als fauler Zauber.«
»Wir werden nicht darüber streiten, wer den rechten Glauben hat«, sagte Luovana. »Ich weiß sehr wohl, daß Männer Eures Schlages nichts neben sich gelten lassen und daß Euer Gott es auch nicht tut.« Sie schloß die Augen, und als sie sie nach einer Weile wieder öffnete, schaute sie Faramund geradewegs an. Eine seltsame Tiefe lag in ihrem Blick. »Aber beantwortet mir dennoch eine Frage. Wenn Euer Gott die Dunkelheit besiegt hat, warum führt Ihr dann immer noch endlose Kriege? Warum tötet Ihr Leben, um anderen einen Glauben zu bringen, den sie nicht haben wollen?«
Faramund lächelte. »Ihr seid ein Weib, noch dazu ein heidnisches, darum sei Euch die Dummheit dieser Frage verziehen. Vielleicht versteht Ihr es so, wir führen keine Kriege, um zu morden, wie Ihr es nennt, sondern wir vermehren den Ruhm Gottes in der Welt. Wir Ritter sind das Schild gegen die Finsternis und gegen die Versuchung.«
»Ihr tötet für den Ruhm Eurer Gottheit?«
»Wir töten nur das Böse!«
»Indem Ihr es mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versucht? Das ist doch absurd.«
»Wie meint Ihr das?«
Luovana machte eine umfassende Geste. »Dieser Raum ist ein Ort des Friedens und des Lichtes. Aber heute morgen wurden meine Gebete, meine Gesänge, meine Liebe durch Tod und Krieg gestört!«
Faramund hob die Brauen. »Ihr habt Feinde?« Unwillkürlich griff er nach seinem Schwert. »Mein Gefährte und ich sind zwar nur zu zweit, aber schließt daraus nicht, daß wir es nicht mit einem ganzen Heer aufnehmen würden«, sagte er und beobachtete die Türe.
Luovana lachte leise. »Das, mein lieber Freund, glaube ich Euch gerne. Aber dort draußen warten keine Mörder. Ihr allein wart der Anlaß für Tod und Krieg in meiner Liebe. Mein Gebet wurde durch Euren Racheschwur gestört. Ihr habt dort draußen Lursa den Tod gewünscht, Euer Haß und Eure Wut waren so unerbittlich, daß sie bis hier herauf in diesen Raum drangen. Damit tragt Ihr zur Vermehrung des Bösen bei. Es ist ein Irrtum zu glauben, man könnte das Böse mit Waffen besiegen.«
»Was sagt Ihr da? Ich bin es, der Euch gestört hat?«
Luovana nickte. »Wenn Ihr Euren schwarzen Zorn den finsteren Bergen entgegenschickt, wenn Ihr Eure Wut, die Euch Lursa jenseits des Feuerrings töten lassen möchte, so laut hinausschreit wie heute morgen, dann vergrößert Ihr diese Finsternis. Dort oben in den Bergen gibt es Orte, die diesem Hort des Lichtes an Kraft in nichts nachstehen, aber sie sind schwarz und tödlich. Mit Eurem Zorn, den ihr dorthin entsendet, vermehrt ihr diese dunkle Macht. Deshalb ließ ich Euch rufen, bevor Ihr noch mehr Unheil anrichtet. Ihr selbst seid ein Teil der Finsternis, denn Ihr tragt den Haß in Euch.«