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Luovana nickte. Die Landschaft rund um den Wasserfall war sanft und immerzu grün. Dort gab es keinen Winter. Luovana war selbst auch sehr gerne dort, sie liebte den Frieden, den das alte Volk in seinem Herzen trug.

»Die Hohepriesterin ist in Sorge um dich, sie sandte mich zu dir. Sie sagte, du und dein Kind, ihr würdet Schutz brauchen, denn der Adler sei gefährlich nahe. Vielleicht näher als jemals zuvor. Niemand weiß genau, was er vorhat.«

Luovana nickte. »Lursa hat vor vielen Monden das Ritual gesungen und Pyros verwandelt. Wir alle dachten damals, er würde die Burg angreifen, doch nichts geschah. Seitdem weiß ich nicht, was sie tut. Ich begegne ihr nicht mehr in den Bergen.« Sie lächelte Arma an. »Allerdings war ich in der letzten Zeit auch nicht sehr oft jenseits des Lavarings. Ich war ziemlich unbeweglich.«

»Hast du den Adler heute morgen nicht gesehen?«

Luovana schüttelte stumm den Kopf.

Arma wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit einer der Frauen. »Das ist Mirka. Die Hohepriesterin schickt sie dir, sie soll deine Tochter segnen und über sie das Schicksal sprechen. Mirka hat den Adler heute morgen hier über der Burg kreisen sehen.«

Luovana schüttelte den Kopf. »Ich habe geschlafen.«

»Seid unbesorgt, Hüterin, vielleicht hat das alles nichts zu bedeuten. Wir werden ein paar Tage Eure Gäste sein und die Geburt Eurer Tochter feiern«, sagte Mirka. »Falls Inmee es überlebt.«

»Hast du beobachtet, was geschehen ist?« fragte Luovana. Sie riß ein Stück Stoff aus ihrem Umhang und verband die blutende Wunde damit notdürftig.

Arma schüttelte den Kopf. »Nein, Elena hat sie entdeckt. Sie kam zu mir, weil sie die Heilerin nicht fand. Sie wollte dich nicht stören. Da sie mich heute nacht zum Tor hineingelassen hatte, wußte sie, daß wir hier sind.«

Luovana nickte. »Antana ist eine gute Heilerin, aber sie ist nicht hier.«

»Dann hole sie«, sagte Arma. »Es wäre an der Zeit, daß sie noch einmal ihr Bestes tut.«

»Inmee ist schon sehr schwach«, mischte sich Mirka ein.

Lavana nahm die Hand des verletzten Mädchens. »Elena sagt, Antana sei nicht in der Burg. Ich werde Inmee selber heilen müssen.«

Arma und Mirka wechselten einen vielsagenden Blick.

»In deinem Zustand?« fragte Arma. »Es war schon falsch von dir, überhaupt das Bett zu verlassen. Es wird dich zu viel Kraft kosten, sie zu heilen. Du bist zu schwach, um sie zu retten.«

Luovana zuckte mit den Schultern. »Weißt du einen anderen Weg? Wenn ich es nicht versuche, wird sie auf jeden Fall sterben.«

Arma schaute auf das Mädchen. Luovana hatte recht. Es war offensichtlich, daß Inmee dem Tode näher als dem Leben war.

»Du weißt, was es bedeutet, wenn sie stirbt«, flüsterte Luovana. In ihren Augen schimmerten wieder Tränen.

Arma nickte stumm. Sie kannte das alte Volk. Sie hatte lange genug am schwarzen Wasserfall gelebt, um die seltsamen Riten zu verstehen. Wenn eine aus dem alten Volk durch die Schuld eines Fremden starb, dann forderte das alte Volk ein neues Leben von dem Mörder. So wie die Sache jetzt stand, würde Luovana ihre Tochter dem alten Volk geben müssen, wenn Inmee unter ihrem Dach zu Tode kam.

»Gut.« Arma winkte zwei ihrer Frauen heran, die Inmee vorsichtig aufhoben. »Bringt sie in den Raum des Lichtes.«

»Legt sie gleich neben den Teich«, rief Luovana ihnen nach und stand auf, um ihnen zu folgen. »Dann muß ich das Wasser nicht zu ihr tragen.« Sie wandte sich an Arma, die wieder ihre Hand hielt. Die Kriegerin gab ihr mit dieser Berührung einen Teil ihrer Kraft.

»Die Frauen werden bei dir bleiben und vor der Türe wachen. Sie werden da sein, wenn du sie brauchst. Ich will nicht, daß dir etwas geschieht«, sagte Arma. Sie strich der Hüterin sanft mit dem Finger über die Wange.

»Danke«, sagte Luovana und schlang ihren Arm um Arma. Sie war froh, die Kriegerin in ihrer Nähe zu wissen.

»Ich werde mit Mirka alleine losreiten und dir die Männer zurückbringen.« Arma lachte leise, als sie sich wieder von Luovana löste. »Soll ich sie am Leben lassen?«

Die Hüterin des Feuers nickte. Arma gab ihr einen sanften Kuß auf die Lippen. »Wahrscheinlich bin ich vor der Dämmerung zurück.« Sie trat zu ihrem Pferd.

»Nein, reite mit Aysar«, sagte Luovana. »Sie kennt das Gebirge wie kein anderes Pferd. Sie wird dich gewiß zu mir zurücktragen, denn ich will heute nacht in deinem Arm schlafen.«

»Aber Aysar ist das Pferd der Hüterin.«

»Hast du vergessen, daß du die Geliebte der Hüterin bist«, lächelte Luovana. »Was liegt da näher, als daß du mein Pferd reitest?«

Arma war seit vielen Wintern ihre Gefährtin, auch wenn ihre Wege nicht immer die gleichen waren. Die Kriegerin war rastlos, es trieb sie oft von einem Ort zum anderen. Doch Luovana liebte sie sehr. Sie hätte jederzeit ihr Leben für sie geopfert, und sie wußte, daß Arma das gleiche auch für sie tun würde. Ihre Liebe überwand alle Zeit und jede Entfernung.

Arma strich ihr wieder sanft über die Wange. »Gut, meine Schöne, ich werde deine Stute reiten«, sagte sie, küßte Luovana noch einmal und trat zu dem dunkelgrauen Pferd, das gespannt die Ohren aufstellte. Luovana flüsterte dem Tier ein paar Worte zu. Dann wandte sie sich an die Kriegerin.

»Arma, gib auf den Adler acht. Vielleicht haben die Pferde von dem Blut des Mädchens geleckt. Inmee gehört zum alten Volk. Der Adler wird sie jagen, und er wird dich jagen, weil du beim alten Volk gelebt hast. Pyros nimmt seine Rache sehr ernst.«

Arma nickte, beugte sich vom Pferd hinab und gab Luovana einen sanften Kuß auf die Lippen. »Mach dir keine Sorgen, ich werde zurückkehren, Hüterin. Wer außer mir sollte sonst deiner Tochter das Kämpfen beibringen?«

Luovana lächelte matt. Sie sah Arma nach, die aus dem Stall hinaus auf den Hof Richtung Tor ritt. Mirka trieb ebenfalls ihre Stute an und folgte der blonden Kriegerin.

Luovana machte sich auf den Weg zum Raum des Lichtes. Arma war stark. Sie würde ihr in der Nacht, wenn sie bei ihr lag, alle Kräfte zurückgeben, die sie jetzt für Inmee brauchte.

Die Hüterin kniete sich im Raum des Lichts neben den Seerosenteich. Ein paar der umstehenden Kerzen waren erloschen. Sie war am Morgen nicht aufgestanden, um sie neu zu entzünden. Mit kalten Fingern umschloß sie den schwach leuchtenden Rubin, der an dem ledernen Riemen um ihren Hals hing. Auch er besaß nicht mehr soviel Kraft. Sie würde ihn zur Quelle bringen müssen, wenn sie dies alles hinter sich gebracht hatte.

Luovana schaute auf das Mädchen.

»Wartet draußen«, sagte sie zu den beiden Frauen aus dem alten Volk. Langsam tauchte sie ihre Hände in das warme Wasser des Teiches und bat die Göttin um Hilfe. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst, daß eine Heilung über ihre eigenen Kräfte gehen könnte.

8

Atemlos kam Antana am Fuß des Berges an. Sie war so schnell sie konnte den Geröllpfad hinuntergelaufen, denn sie spürte plötzlich, daß ihre Kräfte sie verließen. Ihr Arm, an dem Lursa getrunken hatte, verfärbte sich um die Wunde bereits dunkel, dazu kamen die Anstrengungen der letzten Nacht, die an ihr zehrten. Sie mußte sich beeilen und auf dem schnellsten Weg in den Raum des Lichtes gelangen. Noch ein paar Schritte, dachte sie, dann würde sie den Burgweg erreichen. Wenn sie erst die Feuerbrücke hinter sich hatte und mit ein wenig Glück schnell genug an das heilige Wasser käme, würde sie der dunklen Macht, die sich in ihrem Körper auszubreiten begann, noch rechtzeitig entfliehen können.

Als sie aufschaute, sah sie zwei Reiterinnen, die über den Burgweg ihr entgegenkamen. Sie erkannte Arma, die große blonde Kriegerin, die Luovanas Stute ritt. Das hieß nichts Gutes. Irgend etwas mußte während ihrer Abwesenheit in der Burg geschehen sein.