»Laß von dem Kind ab, Antana, und komm her zu mir an den Kamin.« Seine Stimme hatte einen warmen Klang.
»Niemals«, sagte Antana und umklammerte die kleine Brunhild, als wäre sie ihre eigene Tochter. »Bevor du das Mädchen bekommst, mußt du mich töten.«
Der Mann lachte, und Antana schaute ihn verwirrt an.
»Lege die Kleine zurück in ihre Wiege. Sie hat heute, am Tag ihrer Geburt, genug Aufregung gehabt. Ich werde der Braut meines Sohnes kein Leid zufügen, das kannst du mir glauben.«
»Der Braut deines Sohnes? Ich glaube dir kein Wort«, erwiderte Antana, doch sie ging willenlos zurück zur Wiege und legte das Kind wieder zwischen die Decken. Vielleicht ist es besser, die Arme frei zu haben, dachte sie. Wenn sie mit dem Mann kämpfen mußte, würde das Kind vielleicht verletzt werden. Sie umklammerte fest den Dolch in ihrer Rechten. Entschlossen schaute sie ihn wieder an. Dann lauschte sie, ob vielleicht jemand die Saite einer Laute angeschlagen hatte. Ihr war plötzlich, als habe sie Musik gehört, doch es war still, bis auf die Stimme in ihr, die sie in den Raum des Lichtes rief. Doch wie weit war dieser Raum plötzlich fort. Es erschien überhaupt, in diesem Augenblick alles sehr weit von ihr entfernt zu sein. So viel weiter weg als dieser schöne Mann, der langsam auf sie zuschritt.
»Du wirst Lursa helfen, ihr Kind zu bekommen.« Pyros schaute auf ihren Arm und schüttelte den Kopf. »Dir bleibt keine Wahl, wenn du leben willst.«
»Lieber werde ich sterben, als Eurem Sohn zu helfen, auf die Welt zu kommen«, zischte Antana und wollte zurückweichen, doch hinter ihr stand die Wiege.
Pyros lachte leise. »Liebe Schwester, beeile dich nicht so sehr mit dem Sterben. Vielleicht bist du schon tot, ehe die Sonne ein weiteres Mal aufgeht. Außerdem...« Er strich sich mit der linken nachdenklich über das Kinn. »... gibt es auch weit Schlimmeres als den Tod. Du solltest unseren Vater sehen. Elinor leidet tausend Qualen, weil er hinter dem Wasserfall nicht sterben kann.«
»Was geht mich Euer Vater an.« Antana umklammerte den Dolch in ihrer Hand.
Mit einem weiteren Schritt war der Magier ihr so nah, daß sie den warmen Duft seiner Haut roch. Seine tiefen, dunklen Augen begannen zu glühen wie die Lavaschlucht draußen vor der Burg.
»Du bist wunderschön, Schwester.«
»Ich bin nicht Eure Schwester. Meine Mutter starb bei meiner Geburt«, flüsterte sie. Der Widerstand brachte sie an den Rand ihrer Kräfte. Sie wollte fliehen, bevor es zu spät war.
»Du bist eine tapfere kleine Frau, Antana.« Pyros hielt ihr einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihm wieder in die Augen zu sehen. Zärtlich strich er eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht und näherten sich ihren Lippen.
Mit aller Anstrengung, zu der sie noch fähig war, drehte Antana den Kopf von ihm weg. Was dem Magier jedoch nicht mehr als ein sanftes Lächeln entlockte.
»Ich brauche deine Hilfe, damit mein Sohn leben kann«, drängte er leise und strich mit seinen warmen Lippen über ihre Wangen.
»Nein!« Antana schaute auf und spürte sofort, daß es ein Fehler war, ihm in die Augen zu sehen. In seinem Blick lag soviel zärtliche Magie, die ihre gesamte Willenskraft mit einem einzigen Lidschlag außer Kraft setzen konnte. Antana schluckte. Verzweifelt bäumte sie sich auf, doch ihr Körper blieb regungslos stehen.
Sanft berührten seine Lippen ihren Mund. In ihrem Kopf drehte sich alles. Nichts war mehr wichtig. Nicht die kleine Brunhild in ihrer Wiege, nicht Lursa in ihrer Höhle. Antana hörte in ihrem Inneren Luovana verzweifelt nach ihr rufen, sah den Raum des Lichtes und fühlte wieder einen stechenden Schmerz in ihrem Arm. Das Zimmer um sie herum verschwand in grauem Nebel, als Pyros seine warme Zunge wie eine Schlange über ihre Lippen gleiten ließ.
Als der Magier sie wieder freigab, schmerzte ihr Arm entsetzlich, und auch ihre Lippen taten ihr weh.
»Sei meine Gefährtin. Gib dich mir, du bist eine wundervolle Schönheit.« Seine Hände fuhren immer wieder durch ihr langes schwarzes Haar, streichelten sanft die empfindlichen Stellen in ihrem Nacken und fuhren langsam ihren Rücken abwärts. »Und ich liebe Schönheiten, besonders wenn sie deine Fähigkeiten haben. Gemeinsam könnten wir unseren Vater befreien. Komm, ich werde dich lehren, eine wahre Magierin zu sein«, flüsterte er und biß dabei zärtlich an ihrem Ohr, daß es ihr Schauer über den Rücken jagte.
Pyros hob Antanas rechten Arm, der sich mittlerweile ganz schwarz verfärbt hatte, und leckte weich über die Wunden. Seine Zunge strich immer wieder darüber, bis das geronnene Blut erneut zu fließen begann. Es war, als ob er ihr Blut immer schneller durch ihre Adern trieb, bis es rauschte.
Von irgendwoher erklang wieder Musik. Diesmal nicht nur eine Laute, sondern auch eine Harfe, die Antana hörte, und doch war es still um sie herum, bis auf das Weinen der kleinen Brunhild.
Antanas Atem ging schneller, Pyros hielt einen Augenblick inne; er sah sie an und lächelte. »Du begehrst die Magie, denn du hast sie genauso in dir wie ich. Sie ist ein Geschenk unseres Vaters, und ich bin der einzige, der sie dich wirklich lehren kann.«
Die Heilerin schaute auf ihren Arm, der sich langsam von schwarz zu rot verfärbte. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Pyros gab ihr eine neue seltsame Kraft zum Leben. Sie war nicht nur die Heilerin. Lursa hatte recht. Die Macht zu heilen und die Macht zu töten waren zwei Seiten eines einzigen Amulettes. Sie gehörten zusammen.
»So gefällst du mir noch besser. Deine hellen, strahlenden Augen werden die Gier nach Leben nie mehr verbergen können.«
Er griff hinter sich nach einem Ende der blutigen Decke, auf der die tote Elena lag. Mit einem Ruck schlug er den Stoff samt der Leiche vom Bett und zog Antana zu sich.
»Komm, ich werde dich lehren, was du wissen mußt, und dann wirst du meinen Sohn retten.«
Antana nickte gehorsam. Sie warf noch einen kurzen Blick auf das weinende Kind in der Wiege, doch es bedeutete ihr nichts mehr; es war, als sei sie aus seiner Welt hinaus in eine andere geglitten.
Sie fühlte diese warmen fordernden Lippen auf ihrer Haut, spürte, wie seine Hände ihr Gewand von ihrem Leib streiften. Brunhild, Luovana und all die anderen waren ihr plötzlich gleichgültig.
9
Bruno lenkte sein Pferd um einen großen Felsen und erkannte, daß sie wieder auf dem Hochplateau angekommen waren, von dem aus der Paß hinunter zu dem weiten Schneefeld führte. Nachdem das Mißgeschick mit dem Mädchen im Stall der Flammenburg geschehen war, hatten Faramund und er beschlossen, so schnell wie möglich nach Worms zu reiten. Er wollte nicht wirklich in den Bergen nach dem Rechten sehen. Er wollte fliehen - das wußte er nun! Erst hatte Bruno noch das Gewissen geplagt, doch je weiter sie von der Burg fortkamen, um so freier fühlte er sich.
Bruno schaute hoch und erschrak. Auch Faramund, der neben ihm ritt, hielt entsetzt inne. Auf dem Felsen vor ihnen stand eine blonde Kriegerin in einer ledernen Rüstung und hielt einen gespannten Bogen auf sie gerichtet.
»Die Hüterin des Feuers erwartet Euch. Ihr werdet uns dorthin begleiten und sie unverzüglich aufsuchen!« Der Klang ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß ihre Worte ein Befehl waren.
Der Ritter wandte sich an Faramund. »Wollt Ihr zurück zur Flammenburg reiten, junger Freund?«
Faramund schaute ihn entsetzt an. »Nein, gewiß nicht!«
»Wohlan!«
Mit einem Satz war Bruno von seinem Pferd herabgesprungen und hatte sein Schwert gezogen. Doch ehe er zu einer Attacke ausholen konnte, fuhr ihm ein Pfeil surrend in den Arm. Bruno fühlte einen stechenden Schmerz. Sein Schwert fiel zu Boden.