»Ich scherze niemals«, sagte die Kriegerin, senkte den Bogen und sprang von dem Stein. Langsam schritt sie auf die beiden Ritter zu. »Meine Gefährtin und ich werden Euch zur Burg begleiten.«
Sie riß einen Streifen Stoff aus ihrem Umhang. »Reicht mir Euren Arm Ritter«, sagte sie. »Ich werde ihn verbinden.«
Bruno gehorchte wortlos. Für einen Augenblick überlegte er, daß er die Frau mitsamt ihrer Gefährtin überlisten könnte, doch die Wunde blutete stark, es fehlte ihm an Kraft.
Als sie mit dem Verband fertig war, drehte Bruno sich herum. Immerhin hatten Faramund und er fast den Paß erreicht. Sein Blick fiel auf den jungen Ritter. Bruno fühlte genau, was in dem anderen vorging. Es gab nichts, was einem mehr Lebensmut rauben konnte als eine mißlungene Flucht.
»Wißt Ihr nun, mein Freund, warum ich nicht gerne von großen Heldentaten berichte. Manche Dinge, die man erlebt, vermögen den eigenen Ruhm nicht zu mehren.«
Der Junge schaute ihn wütend an und schwieg. Bruno sah, daß die Gefährtin der Kriegerin mit Faramund das Pferd getauscht hatte. Es mußte dem armen Kerl ganz schön zusetzen, das Pferd mit einem Weib zu tauschen. Aber es war vermutlich besser so. Faramund hatte das schöne Tier kaum zu bändigen gewußt, beinahe wäre er sogar in den Abgrund gestürzt, weil das Pferd nicht auf die Zügelführung reagierte. Es war zwar ein ausnehmend schönes Tier, mit einem weichen Gang, doch für eine Flucht war es ganz und gar nicht geeignet.
Die Kriegerin gab das Zeichen zum Aufbruch, und Bruno beeilte sich, in den Sattel zu steigen.
Mit Einbruch der Dämmerung gelangten sie zum Eingang der Wasserhöhle. Die blonde Kämpferin hatte immer wieder zur Eile angetrieben, doch jetzt schien sie zu zögern. Sie hielt die Stute an und betrachtete den Himmel.
»Es ist zu spät«, sagte sie und wandte sich an ihre Gefährtin, die mit gezogenem Bogen die Flucht für die beiden Ritter unmöglich machte. »Wir können es nicht mehr wagen.«
»Willst du vielleicht bis morgen warten?«
Die Blonde schüttelte den Kopf. Bruno fiel ein, was Luovana ihnen von dem Höhlenbewohner erzählt hatte.
»Wir können unmöglich bei Nacht über das Gebirge gehen.« Sie deutete auf die Männer. »Die beiden wären ein gefundenes Fressen für den Adler. Denk daran, Arma, du hast sie der Hüterin lebend versprochen. Dort oben werden sie sterben.«
»Das werden sie in der Höhle vielleicht auch, wenn es zu spät ist.« Ohne ein weiteres Wort zog die Blonde ihr Schwert und ritt in die Höhle. Bruno folgte ihr. Sie trieb ihre Stute so rasch es ging über die nassen Planken. Der Ritter hatte Mühe mitzuhalten. Er war froh, daß er nicht zum ersten Mal diesen Weg ritt. Das ständige Rauschen des Wasser und die feuchte Luft, die einem entgegenschlug, konnten einen schon sehr irritieren. Er wischte sich mit der Hand durch sein Gesicht. Dünne zarte Fäden streiften seine Haut.
Eben als er glaubte, daß vor ihnen nun bald das rote Schimmern des Lavarings auftauchen mußte, wurde es plötzlich hell in der Grotte. Eine Fackel hatten sich vor ihnen aus dem Nichts entzündet. Bruno sah schattenhaft die Stute vor ihm auf die Hinterbeine steigen und zügelte sein Pferd, das unruhig zu tänzeln begann.
»Zurück«, rief die Frau und schwang das Schwert. Bruno versuchte, an ihr vorbeizuspähen, und erkannte einen Fackelträger in grauschwarzen Gewändern, der einen Stock in der Hand hielt.
Die Kriegerin fluchte laut und wirbelte mit der Klinge herum, als wäre sie leicht wie ein Dolch. Wie eine donnernde Rachegöttin ließ sie die Waffe tanzen, aber es ließ sich nicht erkennen, ob sie wirklich irgendwen traf, und um ihr zu Hilfe zu kommen, war der Gang zu schmal. Außerdem war Bruno nicht sicher, ob er ihr wirklich helfen wollte. Sein Arm und die Schulter schmerzten.
»Verdammt, Ihr sollt endlich umkehren, habt Ihr nicht gehört? Ich kann Erna nicht ewig aufhalten«, schrie die Kriegerin.
Bruno hatte Mühe, sein Pferd zu beruhigen, doch fasziniert von der eleganten Beweglichkeit dieser Frau schaute er auf die Szenerie vor ihm. Die Kriegerin verteilte ihre Hiebe zügig und gnadenlos, aber den Fackelträger schien das wenig zu beeindrucken. Er stand sehr ruhig in dem Gang und hielt seinen Stock hin und wieder in die Höhe, um Armas Klinge Einhalt zu gebieten.
Er schien kein Gesicht zu haben, jedenfalls keines, das im Widerschein der brennenden Flamme zu erkennen gewesen wäre. Sie fauchte bei jedem Schlag wie eine wildgewordene Katze, daß es laut von den Wänden widerhallte.
»Mirka«, rief die Kriegerin, »verschwinde endlich von hier, ich kann nicht mehr.«
»Warte, Arma«, rief die Bogenschützin von hinten. »Hör auf mein Zeichen auf zu kämpfen. Legt Euch alle flach auf den Pferdehals.«
Bruno drehte sich erstaunt um und sah, daß die junge Frau, die hinter Faramund ritt, auf den Rücken ihres Pferdes stieg und sich dort niederkniete. Er schloß die Augen und dachte daran, was das Pferd nur ein paar Stunden zuvor mit Faramund in dieser Höhle gemacht hatte. Der junge Ritter verstand wahrhaftig etwas vom Reiten.
»Jetzt«, rief sie. Ihre Stimme schallte durch den schmalen Gang. Der Ritter ließ sich gehorsam nach vorn auf den Pferdehals fallen. Kurz darauf ertönte ein leises Zischen, das sich gemeinsam mit dem Klang der Frauenstimme zu einem eigenwilligen Ton steigerte, der nicht mehr aufzuhören schien. Immer lauter schallte es durch die Grotte, in singenden Kreisen, so daß Bruno sich die Ohren zuhielt. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange dieser Zauber wirkte, doch plötzlich war es dunkel um ihn herum.
»Der Wächter ist fort«, sagte die Kriegerin leise. Ihre Stimme klang erschöpft. »Schnell, wir müssen weiter!«
Arma zügelte Aysar. Vor ihnen lag der glühende Schlund des Lavarings. Erschöpft fuhr die Kriegerin sich mit der Hand über die Augen. Ihre Glieder brannten, und in ihrem Kopf drehte sich alles. Es war leichtsinnig gewesen, sich auf Erna, den Wächter, einzulassen. Genaugenommen war es eine ausgemachte Narretei, die sie jederzeit das Leben kosten konnte. Hoffentlich hatte die Heilerin einen warmen Kräutertee, dann würde sie sich zu Luovana ins Bett legen und mindestens drei volle Tage schlafen.
Mirka und die beiden Männer hatten ebenfalls den Höhlenausgang erreicht. Arma nickte der Gefährtin dankbar zu. Wenn Mirka den singenden Pfeil der Gwenyar nicht gehabt hätte, wären sie wahrscheinlich alle verloren gewesen! Erna ließ nicht zu, daß jemand bei Nacht seine Höhle lebend verließ.
»Verzeiht, Kriegerin.« Faramund hielt sein Pferd neben Arma an. »Ich sah Euch vorhin das Schwert schwingen, aber es schien diesem Höhlenbewohner nichts auszumachen. Wer ist er, daß ihn Eure Attacken unberührt lassen?«
Arma schaute ihn an. Das junge Gesicht vor ihr glühte vor Neugier. Langsam schüttelte sie den Kopf. Sie war entsetzlich müde und hatte nicht die geringste Lust auf lange Erklärungen. »Hat Euch die Hüterin nichts über den Wächter erzählt?« fragte sie leise.
»Nein.«
Sie seufzte. Der junge Ritter ließ sie nicht aus den Augen! »Die Legenden erzählen, der Wächter sei ein Mann aus dem alten Volk, der nicht sterben kann, weil er einem Magier seinen Tod verkauft hat.«
»Wollt Ihr damit sagen, er ist unsterblich?«
»Ganz recht.«
»Warum habt Ihr dann überhaupt gekämpft?«
Arma schaute eine Weile auf die brennende Schlucht vor ihnen, ehe sie antwortete. »Ich kann mit dem Schwert verhindern, daß er zaubert. Solange er angegriffen wird, kann er seine Magie nicht anwenden. Mehr kann ich nicht tun!«
»Und was ist, wenn er seine Magie anwendet?«
Arma zuckte mit den Schultern. »Er tötet damit jeden, der nachts in dieser Höhle ist, weil er selbst nicht sterben kann. Manche sagen, er tötet in der Hoffnung, eines von seinen Opfern gäbe ihm seinen Tod freiwillig, so wie er einst dem alten Magier. Aber das ist unwahrscheinlich.«