»Warum hat er seinen Tod verkauft?«
Arma war nicht in Stimmung für Geschichten und wollte endlich weiterreiten. Doch der junge Ritter schien unersättlich zu sein. »Vielleicht aus Habgier oder aus Größenwahn«. Sie fuhr ungeduldig mit der Hand durch die Luft. »Was müßte man Euch bieten, damit ihr der Verlockung eines ewigen Lebens nachgeben würdet? Gold? Macht? Magie?«
»Ich weiß nicht...« Faramund hielt inne. »So habe ich das noch nie betrachtet.«
»Das dachte ich mir!« Die Kriegerin straffte den Rücken und trieb die Stute an. Sie schaute auf die Gefährtin. »Bring die beiden Männer sicher hinüber.«
»Verzeiht mir meine Unnachgiebigkeit, Kriegerin.« Als sie den Lavaring hinter sich hatten, drängte sich Faramund mit seinem Pferd neben sie. »Aber ich würde gerne die ganze Geschichte hören.«
Arma seufzte. »Ich sehe schon, Ihr werdet wohl nicht eher Ruhe geben, bis Ihr alles über Erna erfahrt.«
Der Ritter nickte.
»Die Legende erzählt, daß ein Zauberer des alten Volkes einst vor vielen hundert Jahren nach dem ewigen Leben gesucht hat. Er braute sich einen Trank, mit dem er den Tod zu besiegen vermochte. Die Göttin jedoch, die Herrin über Leben und Tod ist, sah diesen Frevel und zürnte dem Magier. Sie legte einen Fluch über ihn. Er würde, so hieß es, nicht sterben, genau, wie er es wünschte. Außerdem würde er alles erlernen können, was er zu wissen begehrte, und würde der größte Magier aller Zeiten werden.«
»Aber das ist doch kein Fluch!« fuhr Faramund dazwischen.
»Doch, junger Freund, denn das große Wissen konnte den Magier niemals befriedigen. Die Göttin machte aus ihm einen Suchenden, der niemals seine Ruhe wiederfand. Die Zeit verging, und auf einen Winter folgte der nächste. Der Zauberer widmete sich zuerst ganz der Magie. Er lernte viele der alten Lieder, lernte die Verse von Wind, Feuer und Sturm, und er wurde ein Meister in der Verwandlungen. Er konnte jede Tiergestalt annehmen, die ihm beliebte, und er war unsterblich, was immer auch geschah.«
»Was passierte dann?«
»Der Alte wurde immer unglücklicher.«
»Unglücklicher?« Faramund schaute die Kriegerin ernst an.
»Nach mehreren hundert Wintern sehnte er sich nach dem Tod, denn das Leben vermochte ihm keinen Reiz mehr zu geben. Dann begegnete der Magier eines Tages dem jungen Ema, der ihm einen Handel antrug. Der Junge wollte alle Magie des Alten und bot ihm dafür seinen eigenen Tod. Ihr könnt Euch vorstellen, daß der Alte bereitwillig seine Zauberkraft gab, um endlich sterben zu dürfen.« Arma fuhr sich wieder mit der Hand über die Augen. »Mirka, erzähle du ihm die Geschichte weiter«, bat sie leise und lenkte die Stute auf den Burghof. »Du bist eine aus dem alten Volk und kennst die Geschichte besser als ich.«
Die Bogenschützin ritt näher und schaute Faramund an. »Ema war nicht geschaffen für die Kraft, die er von dem Alten erhielt. Das Wissen umfaßte eine Zeit von mehreren Leben und war für einen allein kaum zu ertragen. Der Alte war froh, endlich sterben zu können, er stürzte sich lachend in das nächste Schwert, ohne dem Junge noch irgend etwas zu sagen. Für Erna wurde es eine schwierige Zeit, er war dem Wahnsinn nahe. Plötzlich hörte er die Stimmen seiner Ahnen, und des Nachts sah er die Geister über den Himmel reiten. Er konnte den Wind verstehen, und das Feuer sprach zu ihm. Erna wurde immer seltsamer, er fand keine Ruhe mehr. Oft kreiste er um sich selbst, weil er glaubte, verfolgt zu werden. Schließlich kam die Zeit, in der ihn der Wahnsinn vollends einholte. Erna konnte nur noch dunkle Einsamkeit um sich herum ertragen, deshalb zog er in die Wasserhöhle. Tagsüber schläft er dort, doch nachts hofft er wohl immer noch, einen Menschen zu finden, der den gleichen Handel wagt wie er einst.«
Arma ließ sich erschöpft von der Stute gleiten und führte sie rasch in den Stall. Sie wollte nicht, daß die Gefährtin ihr im Widerschein der Fackeln die Anstrengung ansah. Durch die offene Tür hörte sie, daß der junge Ritter Mirka weiter fragte. Arma war froh, nicht antworten zu müssen. Die Schmerzen in ihren Gliedern wurden immer stärker. Sie überlegte, sofort in den Raum des Lichtes zu gehen. Wahrscheinlich würden Luovana und die Heilerin bei Inmee sein. Hoffentlich hatte Antana ein gutes Mittel gegen die Schmerzen bei sich.
Arma erkannte gleich, daß etwas nicht stimmte, denn der Raum des Lichtes hatte an Glanz verloren. Viele der Kerzen waren erloschen. Der Seerosenteich in der Mitte des Raumes hatte sich blutrot verfärbt. Zögernd trat die Kriegerin ein. Es war ungewöhnlich kühl, sie warf rasch einen Blick auf den Kamin. Das Feuer loderte kaum noch. Die Hüterin lag neben Inmee auf dem Boden in der Nähe des Teiches und rührte sich nicht. Mit drei Schritten war Arma bei ihr. Luovanas Hand war bleich und kalt. Die Kriegerin wandte sich um. Nirgends konnte sie die Heilerin entdecken. Warum war sie nicht hier? Arma glitt mit der Hand über Inmees Brust. Ihr Herz schlug schwach, sie lebte also noch.
»Was ist denn hier geschehen?« Mirka trat verwundert ein.
»Ich weiß es nicht, ich kann die Heilerin nirgends entdecken. Sie müßte hier sein.«
»Die beiden anderen sind auch nicht da«, bemerkte Mirka und schaute besorgt in den Kamin.
»Luovana geht es nicht gut, sie atmet kaum noch«, sagte Arma.
Mirka nickte. »Es ist nur noch Glut im Kamin«, erklärte sie und machte ein ernstes Gesicht. »Du weißt, was das bedeutet.« Sie durchquerte den Raum und betrachtete einige der erloschenen Kerzen.
»Es geht mit der Hüterin zu Ende, wenn die Göttin kein Wunder wirkt«, sagte sie leise. Sie trat zum Kamin. Nahe davor lag ein eiserner Hacken, mit dem sie vorsichtig in der Glut herumstocherte. Es würde vergeblich sein, das wußte sie. Sie schaute auf Arma, die erschöpft und müde neben Luovana kniete. Der Kampf in der Wasserhöhle hätte sie töten können. Selbst jetzt noch wußte Mirka nicht, ob die Kriegerin stark genug war, die Folgen des Gefechtes zu überleben!
»Die beiden Männer habe ich in ihre Zimmer gebracht. Ich hoffe, die Geschichte von Erna wird sie daran hindern, gleich wieder loszuziehen«, sagte sie.
Arma nickte und hob Luovana auf. »Wir legen sie näher vor das Feuer, sie braucht Wärme und einen heißen Tee. Verflucht, wo ist die Heilerin?«
»Das Wasser hat sich gefärbt«, sagte Mirka. »Es muß etwas Schreckliches passiert sein. Ich habe diesen Raum so noch nie gesehen.«
»Wir müssen Antana suchen.« Arma stand langsam auf. Das Brennen in ihren Gliedern wurde stärker. Sie hätte sich gerne neben die Geliebte gelegt und sie in Decken gehüllt. Luovana mußte leben. Mirka hatte recht: Wenn der See in dieser Farbe schimmerte, lag das nicht nur daran, daß Luovana im Sterben lag. Mächtige Zauber von Blut und Tod waren am Werk, wenn der See sich verfärbte.
Sie fluchte leise. »Ich gehe, um Antana zu suchen. Sie muß Luovana helfen und...«
»Ihr Atem ist sehr schwach«, sagte Mirka, während sie in die Glut starrte. »Sie wird die Nacht nicht überleben.«
»Bleib bei ihr. Irgendwo muß Antana stecken.«
»Du mußt stillhalten«, sagte Antana, und legte Lursas blutiges Gewand beiseite. Der Zustand der Gebärenden hatte sich seit dem Morgen deutlich verschlechtert. Kraftlos lag sie auf dem Boden und wälzte sich unruhig hin und her. Pyros hatte das erloschene Feuer wieder entzündet und einen Kessel mit Wasser hineingestellt.
»Brauchst du sonst noch Hilfe?« fragte der Magier leise.
Die Heilerin schüttelte den Kopf. Selbst wenn er ein Magier war, so blieb doch das Kinderkriegen allein Frauensache.
»Warte draußen, damit ich dich rufen kann, für alle Fälle.«
Er nickte, strich mit einem Finger im Vorübergehen sanft über ihren Nacken und verließ die Höhle. Antana schaute ihm nach. Er trug nur einen wollenen Umhang, den sie ihm gegeben hatte, doch er schien nicht zu frieren. Sie lächelte. Nie zuvor hatte sie solch eine Ruhe in sich gespürt. Es gab nur noch die Sehnsucht in ihr, ihn für alle Ewigkeit zu lieben.