»Wie geht es Lursa?« fragte sie.
»Du wolltest, daß sie überlebt. Ich habe ihr soviel Kraft gegeben, wie mir möglich war, also wird sie es schaffen.«
Antana wiegte den Knaben in ihren Armen und lächelte wieder. Es war ein schönes Gefühl, dieses warme Bündel zu halten. Eine Weile hing sie ihren Träumen nach, schaute abwechselnd auf die dunkle Burg und auf den heller werdenden Himmel über dem Gipfeln der Berge, bis Pyros ihre Schulter berührte.
»Meine Zeit ist um, Schwester«, sagte er. »Ich spüre schon, daß die Wirkung des Zaubers nachläßt.« Seine Augen hatten immer noch den seidigwarmen Glanz. »Lursa ist zu schwach, um meinen Sohn zu nähren. Du wirst für Raban sorgen, bis es ihr besser geht!«
Die Heilerin sah auf den Knaben und nickte. Sie würde mit Pyros gehen oder bleiben. Was immer er für richtig hielt, würde sie tun. Sie würde auch sein Kind aufziehen oder es töten. Sie war willenlos, seit sie ihm gehörte.
»Er braucht Blut«, sagte Pyros, »damit er stark wird. Wenn er jetzt dein Blut trinkt, so bekommt er das doppelte Erbe seines Großvaters.«
Antana schaute auf. Die dunklen Augen brannten in ihren, und sie ließ es zu. Sie nickte und gab dem Magier das Kind. Mit ruhigen Händen öffnete sie geschickt ihr Gewand und entblößte ihre linke Brust. Der Magier bückte sich ein wenig nach vorn und küßte die empfindliche Spitze, die sich ihm rosig entgegenstreckte. Er spielte mit der Zunge daran, bis warme Wellen durch ihren Körper fluteten. Immer schneller kreiste die Zunge um die Spitze, doch genau in dem Augenblick, als sie sich dem Wonnegefühl ganz hingeben wollte, zerriß ein wilder Schmerz all ihre Lust. Sie schrie auf.
»Es ist für meinen Sohn«, flüsterte Pyros an ihr Ohr. »Es ist für Raban.« Antana spürte, wie er ihr den Knaben an die blutende Brust legte. »Komm, mein Sohn, trink dich satt.«
Antana schwebte in einem wirren Zustand aus Schmerz und Leidenschaft. Sie spürte die tiefe Lust in sich, geliebt zu werden, und die verzweifelte Lust am Schmerz, für Pyros zu leiden. Sie fühlte sich schwach und erschöpft, doch gleichzeitig erwachte ein feuriges Pulsieren in ihr, als sie dieses winzige Wesen an ihrer Brust wirklich wahrnahm, das sich mit seinen kleinen Fäustchen gegen sie stemmte und ihr Blut trank, als wäre es Muttermilch.
Lursa brauchte eine Weile, bis sie wirklich erkannte, was sie da sah. Sie hatte sich mühsam von ihrem Lager erhoben, als ein durchdringender Schrei sie geweckt hatte. Leise, weil sie nicht wußte, was draußen geschah, war sie zum Eingang der Höhle geschlichen und hatte die Decke vorsichtig beiseite gehoben.
Auf dem Felsvorsprung vor ihr stand Pyros, ihr Geliebter, und umarmte die Heilerin voller Leidenschaft. Irgendwo dazwischen lag ihr kleiner Sohn an der Brust dieser Frau und trank ihr Blut.
Lursa hatte augenblicklich das Gefühl, eine mächtige Faust donnerte vom Himmel herab, um sie zu zerschmettern. Eine ungeheure Wut belebte plötzlich ihren Geist, und eine Kraft erwachte in ihrem Körper, die sie nie zuvor gekannt hatte. Der Magier gehörte ihr, ihr allein. Niemals würde sie ihn teilen, und mit dieser Frau schon gar nicht. Was hatte dieses Weib anderes als lange schwarze Haare und helle Augen? Ihr Körper war jünger, aber er würde es genausowenig bleiben wie ihr eigener. Die Heilerin hätte in der vergangenen Nacht ihre Chance, sie umzubringen, nutzen sollen, dachte Lursa bitter, jetzt würde sie sich an ihr rächen. Sie schaute sich das Bild dieser tiefen Innigkeit lange an. Dann stürzte sie sich mit einem einzigen wilden Schrei auf das Paar und riß an Pyros, bis er die Heilerin endlich losließ. Der Magier flog herum. Er wollte sie mit den Armen festhalten, doch er bekam sie nicht so rasch zu fassen. Sie rangen einen Augenblick miteinander, aber noch ehe er sie wirklich überwältigen konnte, endete der Zauber, der ihm die menschliche Gestalt verlieh, und er verwandelte sich wieder in einen Adler.
Lursa nutzte die Gelegenheit und riß der verwirrten Heilerin das weiche Bündel aus den Armen. Mit Schwung wirbelte die Jägerin herum und schleuderte die erstaunte Frau an den Rand der Felsen. Antana kam, von der Wucht des Aufpralls getroffen, ins Stolpern. Sie hielt sich jedoch nicht fest, sondern starrte immer noch wie gebannt auf den Adler, der kreischend seine Schwingen ausbreitete. Lursa holte noch einmal aus. Sie sprang mit aller Kraft gegen die andere Frau und stieß sie über den Rand hinweg in den Abgrund. Mit einem gellenden Schrei stürzte die Heilerin in die Tiefe.
Lursa blieb atemlos stehen und umklammerte zitternd das weinende Kind in ihren Armen.
Antana war wirklich verschwunden. Das grausame Bild der innigen Umarmung, das Lursa vorhin hier gesehen hatte, existierte nicht mehr. Sie hatte es ausgelöscht für alle Zeiten. Die Heilerin war fort. Sie würde den Aufprall auf den Felsen unten nicht überleben. Antana würde ihr Pyros nicht mehr wegnehmen können!
Lursa schaute auf. Über sich hörte sie ein heiseres Kreischen, das ihr vertraut war. Sie sah den Adler heranfliegen, aber es machte ihr keine Angst. Sie hielt schließlich seinen Sohn in ihren Armen. Sie würde solange sicher vor seiner Rache sein, wie sie das Kind hatte. Er würde das Leben des Knaben nicht riskieren.
Im Sturzflug ließ der Adler sich vom Himmel fallen, an ihr vorbei in die Tiefe. Er folgte Antana, dachte Lursa bitter, aber es würde ihr nichts helfen. Sie lächelte böse. Auch ein Magier wie Pyros konnte Antana nicht wieder zum Leben erwecken.
Sie atmete tief durch. Der Schrei des Adlers klang in ihren Ohren wie eine verzweifelte Todesmelodie und vergiftete ihr Herz mit einem brennenden Dolch. Lursa schaute hinüber zur Flammenburg. Die verloschenen Lichter bedeuteten, daß Luovana nicht mehr lebte. Das Schicksal begann sich zu erfüllen. Lursa hatte geschworen, ihr Sohn würde die Hüterin des Feuers und auch ihre Tochter vernichten. Sie lächelte. Der kleine Junge in ihren Armen begann recht früh mit seinem Lebenswerk, wenn allein seine Geburt schon den Tod von Luovana verursacht hatte. Lursa war zufrieden, daß die Schwester besiegt war. Auch Antanas Tod war ein gutes Zeichen, denn jetzt stand ihr nichts mehr im Weg.
Der Kleine war ein hübscher Bursche. Von jetzt ab würde sie für ihn jagen, damit er genügend Blut bekam.
»Die Flammenburg wird eines Tages dir gehören, mein kleiner Prinz«, sagte sie leise, als habe sie sich selbst damit ein Versprechen gegeben. Sie wollte hinuntergehen und ihr rechtmäßiges Erbe in Besitz nehmen.
Sie hob die Decke vor ihrer Höhle hoch. Beim Schein des Feuers betrachtete sie noch einmal den Ort, an dem sie so lange gelebt hatte. Es wurde Zeit, dachte sie, ein neues Leben zu beginnen.
11
Faramund erwachte mit einem schlechten Geschmack auf den Lippen. Er hatte geträumt, drei schwarzgewandete Ritter hatten versucht, ihn inmitten einer eisigen Schneewüste zu fangen. Faramund sah die Traumbilder noch genau vor sich. Die Ritter hatten ihn überwältigt, ihm das Schwert entrissen und ihn gefesselt im Schnee liegengelassen. Er schauderte und schlug die Augen auf. Was für ein Alptraum!
Vorsichtig versuchte er sich umzudrehen und erkannte, daß ein wesentlicher Teil seines Traumes nicht nur seiner Phantasie entsprang. Seine Hände und Füße waren gefesselt! Langsam kam die Erinnerung zurück. Armas Gefährtin hatte ihn in dieses Zimmer gebracht, und nachdem alle seine Fragen über Erna, den Wasserhöhlengeist, beantwortet waren, hatte sie den Strick genommen. Ehe er sich versah, lag er zusammengebunden da, wie ein Hühnchen, das gerupft werden sollte.
Faramund richtete sich so gut er konnte in seinem Bett auf und suchte mit den Augen nach etwas, das scharf genug war, um die Stricke durchzuscheuern. Es war nicht einfach, bei dem fahlen Licht, das durch das Fenster hereinschien, etwas zu erkennen. Er schaute zum Kamin. Jetzt verstand er auch, warum er fror. Das Feuer war erloschen. Faramund entdeckte den eisernen Schürhaken, der nahe am Kamin lag. Er hielt inne. Damit müßte er den Strick durchtrennen können.