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Mühsam stellte er sich auf seine Beine. Er hüpfte vorsichtig zu dem Hacken. Dort ließ er sich fallen und rieb die Fesseln so lange daran, bis das Seil endlich nachgab und durchriß. Faramund wartete, bis das unangenehme Kribbeln aus seinen Gliedern verschwunden war. Dann schlich er zur Tür. Es war verrückt, dachte er, das Weib hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sein Schwert mitzunehmen. Sie hatte es direkt neben dem Bett fallengelassen und war gegangen. Wenn er das Schwert zuvor entdeckt hätte, wären die Fesseln eine Kleinigkeit gewesen.

Mit der Linken versuchte er vorsichtig die Türe zu öffnen und war erstaunt, daß nirgends ein Widerstand zu spüren war. Die Tür war nicht verschlossen!

Vorsichtig spähte er auf den Gang. Mit dem Schwert voraus schlüpfte er nach draußen. Es ließ sich niemand sehen, und so wurde Faramund mutiger. Er schlich bis zu Brunos Zimmer, lugte hinein: Der Raum war verlassen! Auf dem Boden vor dem Bett lagen ein paar zerschnittene Stricke. Faramund nickte. Der edle Ritter hatte sich offenbar ebenfalls auf Erkundungsgang begeben.

In der Burg hier lebten nicht so viele Menschen wie am Hofe König Dankrats, aber daß ihm gar niemand auf den Fluren begegnete, fand Faramund doch unheimlich. Er gelangte zu Luovanas Gemach. Die Tür stand offen.

Leise tippte er mit der Schwertspitze an das dunkle Holz. »Hüterin?« Er horchte, doch nichts geschah.

Er schaute in den Raum und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund, um nicht laut zu schreien. Tränen schossen ihm in die Augen. Er zitterte am ganzen Leib.

Ein solch blutiges Durcheinander hatte er noch nie gesehen. Der Anblick dreier Frauenleichen vor dem zerwühlten Bett ließ ihn würgen. Er hatte Mühe, nicht davonzulaufen.

Faramund nahm allen Mut zusammen und warf einen Blick in die Kinderwiege. Sie war leer. Vielleicht hatte Luovana rechtzeitig mit dem Kind fliehen können. Oder vielleicht war sie geraubt worden, so wie einst Genovefa in Worms von dem schwarzen Ritter Eberhard von Bronkhorst geraubt worden war. Der finstere Geselle hatte Genovefa auf seiner Burg gefangengenommen, bis Bruno von Falkenstein sie von dort auf abenteuerlichste Weise befreit hatte. Jedenfalls hatte man sich das bei Hofe erzählt.

Faramund straffte sich. Er mußte herausfinden, was hier geschehen war. Mutig schaute er über den grausigen Anblick der Frauen hinweg und entdeckte eine große schwarze Adlerfeder, die vor dem Kamin lag.

Das Teufelsweib aus den Bergen hatte also ihre furchtbaren Krallen im Spiel, dachte er. Fluchend erinnerte er sich an Luovanas Wort. Er hob die Feder auf, sie würde ihm als Beweis dienen. Unter der Feder entdeckte er einen kleinen Stein, der wunderschön glänzte. Kurz entschlossen steckte er beides in seine Tasche und verließ eilig das Gemach der Hüterin. Jetzt galt es nicht nur Bruno zu finden, sondern auch die Hüterin mit ihrem Kind.

Wieder stand er ratlos im Gang. Wen sollte er zuerst suchen?

Er dachte nach und entschied sich für Bruno. Wenn er ihn an seiner Seite hatte, war doch manches leichter. Vielleicht war er auf dem Burgturm! Mit leisen Schritten machte Faramund kehrt, bis er vor die kleine Tür gelangte, die hinauf zum Turm führte. Immer noch war ihm niemand begegnet.

Der Riegel war zurückgeschoben. Fast erleichtert atmete Faramund aus. Also war jemand nach oben gegangen, überlegte er und tastete sich leise die schmalen steinernen Stufen hinauf. Und wer außer Bruno sollte sonst um diese frühe Morgenstunde dort oben sein? Bruno stand immer um diese Zeit dort!

Wie frohgemut war er gestern noch mit dem Ritter diese Stufen hinabgesprungen, und wie anders waren die Menschen hier gestern gewesen. Sie hatten sich gefreut, waren ihm lachend entgegengekommen, und einer hatte dem anderen erzählt, daß Luovana eine Tochter geboren hatte. In all dem Trubel waren Brunos und seine Aufregung wegen der geplanten Flucht nicht weiter aufgefallen. Er hatte es fast sogar ein bißchen bereut, an einem solchen Tag wegzureiten. Am Abend hätte es gewiß ein grandioses Fest gegeben. Faramund liebte Feste. Allerdings war es klug gewesen, inmitten eines solchen Trubels zu fliehen.

Jetzt lachte hier niemand mehr. Alles war verlassen. Der junge Ritter betete heimlich zu Gott, daß oben auf dem Turm der edle Herr von Falkenstein stand.

Faramund kam an die letzte Biegung. Kalter Wind pfiff ihm um die Ohren, und im Schatten der Zinnen erkannte er die vertraute Gestalt seines Gefährten. Erleichtert atmete er auf.

Aber im gleichen Augenblick, als er den Fuß hob und einen Schritt auf Bruno zu gehen wollte, ertönte ein wildes entsetztes Kreischen von jenseits der Feuerschlucht zu ihm herüber. Es war der verzweifelteste Schrei einer Frau, den er je gehört hatte. Zitternd hielt er sich am Schwert fest.

Der Schrei hallte durch die Berge und zog ein langes unheimliches Echo hinter sich her. Das heisere Krächzen eines Adlers legte sich darüber und schien die ganze Welt mit Grauen zu erfüllen. Der junge Ritter hätte sich keinen Augenblick gewundert, wenn es auf der Stelle tiefschwarze Nacht geworden wäre.

Er brauchte eine ganze Weile, um wieder ruhig atmen zu können. Es war so still ringsum. So unheimlich totenstill.

Faramund trat auf den Turm hinaus. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. »Bruno? Was geht da vor?« flüsterte er und ging langsam auf seinen Gefährten zu. Doch der rührte sich nicht. Der Ritter stand nur da, bewegungslos, wie in Stein gehauen.

Faramund legte dem Freund vorsichtig die Hand auf die Schulter, aber der andere reagierte nicht, sondern starrte nur auf die Berge. »Herr von Falkenstein, hört Ihr mich?«

Der Junge wurde ungeduldig. »So antwortet doch: Was ist mit Euch?« Er schüttelte den Gefährten. »Warum sagt Ihr nichts?«

Er fuhr mit seiner Hand über die Augen des Älteren, als könnte er damit dessen Aufmerksamkeit erzwingen. Aber nichts geschah. Faramund sah an dem Ritter herunter. Er trug sein Schwert, und auch sonst schien er völlig unverletzt zu sein, bis auf die Wunde am Arm. Wieder schüttelte er ihn. Vergeblich!

Faramund kämpfte mit sich. Das war kein Abenteuer mehr, das war ein Fluch! Erst die toten Frauen, dann der Schrei und nun auch noch einen Ritter, der ihn nicht hörte, ganz so als hätte ihm etwas den Verstand geraubt. Faramund ließ von dem Gefährten ab und ging. Er mußte einen anderen Weg finden, um herauszubekommen, was hier geschah.

An der Treppe drehte er sich noch einmal um und warf einen Blick auf den Ritter.

»Die Liebe ist das einzige, was zählt«, hörte er Bruno von Falkenstein sagen.

Faramund war mit wenigen Schritten wieder bei dem Gefährten und starrte den Ritter an. »Was habt Ihr gesagt, Herr von Falkenstein? So redet doch endlich. Was ist mit der Liebe?«

Doch der Ältere schwieg, stand weiterhin da und blickte reglos auf die Berge. Ohne einen weiteren Blick an den Ritter zu verschwenden, verließ Faramund den Turm. Er bog von dort in den Säulengang ein, der zum Raum des Lichtes führte. Es mußte für all das eine Erklärung geben. Diese verstörte Gestalt dort oben war nicht der Schwertmeister Bruno von Falkenstein, dessen Künste weit über Worms hinaus gefürchtet waren. Das war nur noch ein müder, gebrochener Mann, dessen Geist sich verirrt hatte.

Endlich war diese durchdringende Stimme in seinem Kopf wieder verstummt. Bruno atmete auf. Wie sie an ihm gezerrt hatte. Unaufhörlich! Und immerzu hatte sie seinen Namen gerufen, als ob sie ihn verfolgen würde.

Aber jetzt war es, dem Himmel sei Dank, wieder still um ihn herum. Er wollte den frischen Duft des Waldes genießen. Ein Eichhörnchen, das vor ihm her über den Weg eilte und rasch an einem der nächsten Bäume in die Höhe lief, ließ ihn lächeln. Ihm gefielen diese putzigen kleinen Tierchen.