Niemals hatte sie daran gezweifelt, daß es eines Tages anders sein könnte. Der warme Ausdruck seiner Augen, der sanfte Klang seiner Stimme, sein Lächeln, seine Zärtlichkeiten, dies alles gehörte ihr und nicht einer anderen.
»Warum habt Ihr mir das angetan? Warum gerade Antana?«
Er zuckte mit den Schultern und lächelte. »Warum? Vielleicht weil sie das hat, was mir fehlt? Ich weiß nicht, sie ist so anders.«
»Dafür zerstört Ihr mich?«
»Verwechselt Ihr da nicht etwas? Ihr habt Antana zerstören wollen!«
»Und unser Kind? Ihr hattet es ihr gegeben.«
Pyros lachte. »Harmlosigkeit steht Euch vortrefflich, Priesterin. Dieser Knabe ist ein Kind der Magie, falls Ihr das vergessen habt. Er ist ein Kind der Macht. Erinnert Euch an Euren Schwur. Ihr wolltet dieses Kind, um Eure Schwester und ihre Tochter zu töten.«
»Ja, das wollte ich, und ich wollte Euch!«
»Davon habe ich heute morgen nicht viel bemerkt. Wo war Eure Hingabe? Ihr habt Euch aufgeführt wie eine gewöhnliche Frau, die nicht mehr Herrin ihrer Gefühle ist!« Er trat noch einen Schritt näher. »Und die vergessen hat, wer ihr Meister ist!«
Lursa riß sich mit der Linken das Gewand von der Brust und zeigte auf die Narbe. »Ist das vielleicht nur Fleischeslust, oder ist es nicht auch Hingabe an den Meister?« zischte sie.
Pyros lächelte. »Fleischeslust ist ein vortrefflicher Ausdruck dafür. Ich gratuliere Euch.«
Lursa riß die Augen auf. Mit einer solchen Kälte war Pyros ihr nie zuvor begegnet. Wo war der sanfte, zärtliche Magier, der in ihren Augen zu lesen vermochte? Sie schaute ihn voller Verzweiflung an. Er hatte ihr einen Sohn geschenkt und die Heilerin geholt, um ihr Leben zu retten, nicht um sie damit zu zerstören.
»Warum geschieht das alles, Pyros?«
»Warum stellt Ihr immerzu solche albernen Fragen? Ihr müßtet doch am besten wissen, daß man stets das bekommt, was man gibt.«
»Wie meint Ihr das?«
»Jeden Schwur und jeden Zauber bekommt man zurück. Habe ich etwa vergessen, Euch das beizubringen, als ich Euch in der Magie unterwies?«
Lursa wandte den Blick ab. »Antana lebt, nicht wahr? Sie ist es, die Euch zurückgerufen hat.«
»Nein, da irrt Ihr Euch. Sie hätte nicht einmal das Lied gekannt, um den Zauber zu bewirken, und außerdem war sie tot, Lursa.« Er nahm ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Ein dunkles Glimmen überschattete seinen Blick. »Ich mußte diese Gestalt annehmen, um Antana retten zu können.«
»Aber wie? Dort unten zwischen den Felsen gibt es keine Frau, die ihre Brust opfert, um Euch zu verwandeln, Pyros.«
»Ich schätzte von jeher Eure Klugheit, Priesterin der Nacht«, erwiderte Pyros spöttisch. »Aber leider mangelt es Euch nur allzuoft an der nötigen Phantasie. Erinnert Euch! Die Wasserhöhle liegt nicht weit von den Felsen entfernt, auf die Antana niederfiel.«
»Erna? Nein!« Lursa riß die Augen auf und ließ sich auf die Samtkissen fallen. »Das habt Ihr nicht getan!«
»Was läßt Euch daran zweifeln?« Pyros ließ sich sanft neben ihr auf das Kissen gleiten. Sie roch den unverwechselbaren Duft seiner Haut. Mit Tränen in den Augen schaute sie ihn an. »Ihr habt ihm Euren Tod geschenkt?«
»Im Tausch gegen seine magischen Kräfte.«
»Ihr seid wahnsinnig.«
Pyros lachte. »Noch nicht ganz! Aber meine Schöne...« Er lächelte und strich mit dem Finger sanft über ihr Kinn. »... habt Ihr das nicht immer gewußt?«
Lursa sah die glänzend dunklen Augen. An diesen Augen würde sie es zuerst erkennen. Wenn Pyros wirklich mit Erna den Handel um den Tod eingegangen war, würde er genau wie Erna mit der Zeit verrückt werden. Sein Geist würde sich verwirren! Jedes Kind wußte, daß nur ein Narr versuchen würde, das Wissen der Jahrhunderte in einem Leben zu erfahren. Und wenn sein Leib verfallen würde, dann wäre Pyros gezwungen, in der Wasserhöhle zu bleiben, ein finsterer Geist, der für ewige Zeiten gefangen war, genau wie Erna.
»Ihr wißt, daß es Euch in den Wahnsinn treiben wird.« Lursa schaute zwischen dem Kleinen in ihrem Arm und dem Mann hin und her. Eine Träne lief über ihre Wange. Pyros wischte sie zärtlich fort. »Pyros, verzeiht mir.« Sie drehte den Kopf und schmiegte ihn in seine Hand.
»Ihr wolltet ihren Tod, Lursa«, flüsterte er. Es war wie ein Peitschenhieb, den er ihr gab. »Sie war nicht schuldig! Hört Ihr? Sie war nicht schuldig!« Seine Stimme war dunkel und voller Schmerz. »Ihr seid gewöhnlich, Jägerin, denn das einzig wahre Gefühl, welches Ihr kennt, ist Neid.«
Lursa wich ein Stück zurück. Einen Lidschlag lang glaubte sie, eine Träne in seinen Augen zu sehen, doch es war zu wenig Licht in diesem Raum.
»Ich mußte sie retten, Lursa.«
»Nur mit Antanas Hilfe werde ich meinen Vater befreien können«, sagte er nachdenklich und nahm seine Hand schließlich ganz fort. Wieder fiel sein Blick auf die stumpfen Kristalle. »Ihr habt die Freiheit meines Herzens verraten, für etwas, das Euch ohnehin niemals gehören konnte.« Er schaute auf. »Ich bin gekommen, um meinen Sohn zu holen, Lursa. Das ist alles, was ich noch von Euch will. Antana wird ihn erziehen, wenn sie wieder völlig gesund ist. Er muß ein Magier des Feuers sein, bevor ich dem Wahnsinn verfalle!«
»Nein!« Lursa sprang mit dem Kind in dem Arm auf die Füße. Voller Entsetzen schaute sie ihn an. »Dieses Kind ist alles, was ich habe, Ihr könnt es mir nicht nehmen.«
»Warum nicht? Es ist mein Sohn, und Ihr seid meine Dienerin.« Langsam stand Pyros auf und kam einen Schritt auf sie zu. Lursa wandte sich um und stürzte zum Ausgang, doch der Magier war schneller. Noch bevor sie die Tür hätte erreichen können, stand er schon wieder vor ihr.
»Ihr wißt, daß es zwecklos ist«, sagte er ruhig, als hätte er sich überhaupt nicht bewegt. »Gebt ihn her!« Er streckte ihr die Arme entgegen, wie einem Kind, mit dem man Mitleid hatte.
»Niemals!« zischte Lursa und fühlte, wie der Kampfgeist in ihr erwachte. Der Magier würde um seinen Sohn streiten müssen. Gehetzt schaute sie sich um, es gab keinen zweiten Weg aus diesem Raum. Sie saß in der Falle, solange der Magier ihr den Weg versperrte.
»Lursa!« Seine Stimme war leise und so sanft, daß es sie schmerzte. »Bitte!«
»Nein, niemals!« Er durfte sie nicht bezaubern, wenn sie schwach wurde und ihre Sehnsucht nach dem Mann unerträglich würde, dann war sie ihm hoffnungslos ausgeliefert. Sie mußte verhindern, daß er mit ihrer Leidenschaft spielte. Fieberhaft suchte sie nach einer Möglichkeit. Ihr Blick fiel auf die graue Asche im Kamin. Es war viel zu kalt in diesem Raum. Dann lächelte sie. Natürlich, das Feuer war ihre Rettung! Sie schaute auf und blickte dem Magier in die Augen.
»Wagt es nicht, mir nahe zu kommen«, flüsterte sie. »Ihr werdet Euren Sohn sonst nicht lebendig wiedersehen.«
Pyros lehnte sich gelassen an den Türrahmen. »Wollt Ihr ihn vielleicht mit dem Samtkissen ersticken, wenn ich ihn hole?« Er schüttelte den Kopf. »Dazu seid selbst Ihr nicht fähig, Priesterin.«
»Wie Ihr wollt«, erwiderte Lursa und schaute den kleinen Raban an. Langsam begann sie die Worte, welche die Gwenyar sie vor vielen Jahren gelehrt hatten, rückwärts zu sprechen. Sie erinnerte sich gut an die Verse. Wenn sie keinen Fehler machte, würden nach einer Weile in der ganzen Flammenburg die Feuer wieder angehen, die mit Luovanas Tod erloschen waren. Lursa hielt inne und starrte auf den Kamin. Dann sprach sie weiter. Leise zuckten rotgelbe Flämmchen aus der Asche empor. Das gleiche geschah in jedem anderen Kamin innerhalb der Mauern. Ihre Stimme wurde lauter, und die Flammen brannten warm und hell. Schließlich sang die Jägerin den letzten Vers, und glühendheiß ergoß sich im selben Augenblick die Glut in den Raum hinein. Schwer wälzte die Glut sich über den steinernen Boden und vernichtete alles, was sie mit ihrem kochendem Atem berührte.