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»Ihr schickt mich weg?«

»Arma, es ist an der Zeit, daß die Priesterinnen sich um Brunhild kümmern. Sie werden das Kind auf ihre Aufgaben vorbereiten, die sie als Hüterin des Feuers haben wird. Sie soll die Zauberlieder lernen. Camire will sie selbst unterrichten.«

»Du kannst mir das Kind doch nicht einfach aus den Händen nehmen.«

»Es ist nicht für lange.« Mirka legte der Kriegerin wieder eine Hand auf die Schulter. »Wenn draußen, jenseits der magischen Grenze, die Sonne einmal über den Himmel gewandert ist, kehre mit Aysar zurück. Brunhild wird dann so weit sein, daß sie von dir das lernen kann, was sie für eine große Kriegerin noch wissen muß. Doch vorerst mußt du gehen. Die Göttin weiß warum. Gehorche ihrem Willen.«

Arma verzog dunkel das Gesicht. Es war nicht gerecht. Erst hatte sie Luovana verloren und jetzt auch noch das Kind.

»Sie wird die Zauberwörter nicht lernen wollen.« Die Kriegerin machte einen letzten Versuch, obwohl sie wußte, daß es sinnlos war. Die Priesterinnen hatten ihren Beschluß gefaßt. »Brunhild ist in diesem Punkt genau wie ihre Mutter. Luovana war auch nicht bereit, schwierige Zauberwörter zu lernen. Sie hat mit der Magie nicht viel im Sinn«, fügte sie leise hinzu.

»Das wird sich zeigen«, entgegnete Mirka. »Vielleicht ist sie schon so sehr deine Tochter, daß sie ihr Leben lang immer eher auf ihr Schwert vertrauen wird als auf ihre Magie.« Sie lächelte. »Geh zu Brunhild und verabschiede dich. Dann nimm deine Sachen und reite durch das grüne Tal über die Hügel hinweg, bis an die Grenze. Nach dem zwölften Mond, werde ich dich dort wieder erwarten. Ich werde mich über einen neuen Glanz in deinen Augen freuen.«

»Und Brunhild?«

»Ich werde das Mädchen mit mir nehmen. Camire will sie noch heute vor Sonnenuntergang sehen.«

»Der Wille der Göttin geschehe«, sagte Arma traurig, streichelte Aysar und wandte sich um.

»Gib acht auf die Kleine,« sagte sie, »sie ist oft störrischer als ein alter Esel.«

Mirka lachte leise. »Die Göttin wird mit mir sein.« Sie umarmte die Kriegerin. »Und vergiß nicht, in zwölf Monden kehrst du zurück!«

Arma löste sich von Mirka, hob die Hand zum Gruß und wanderte langsam über die Hügel zurück.

Die Felsen waren feucht und glitschig. Brunhild hatte Mühe nicht auszurutschen. Mit den kleinen Händen krallte sie sich an den Steinen fest und versuchte mit dem Fuß den nächsten Vorsprung unter ihr zu erreichen. Von dort aus müßte sie dann nur noch hinunter auf den Boden springen.

Mit Herzklopfen hatte sie gewartet, bis Mirka zu ihrem Abendspaziergang aufgebrochen war, dann war sie aus den warmen Decken herausgekrabbelt und auf Zehenspitzen aus dem steinernen Tempel der Göttin, in dem sie seit Armas Abreise lebte, fortgelaufen. Der Tempel lag nahe am schwarzen Wasserfall und war aus weißen Steinen gebaut. Nachts bei Mondschein schimmerte und glänzte er unwirklich, wie ein silberner Palast, von dem Brunhild nie ganz sicher war, ob es ihn wirklich gab, so schön sah er aus. Trotzdem wollte sie nicht dort bleiben. Sie wollte zurück zu Arma und in ihre Höhle. Sie mochte in dem Tempel nicht mehr schlafen.

Den finsteren Weg bis zu dem Felsen, an dem sie hinabklettern mußte, war sie so schnell gerannt, daß ihr Herz laut zu klopfen begann. Brunhild hatte zwar ein wenig Angst, aber es war der kürzeste Weg, der ihr einfiel, um zurück zur Höhle zu gelangen. Wenn da nur nicht dieses letzte Stück gewesen wäre, das sie hinabspringen mußte. Jetzt stand sie da.

»Verdammt«, murmelte sie und ärgerte sich. Es war doch ziemlich tief bis auf den Boden.

Sie schaute den Felsen hinauf. Dort wieder hochzuklettern war genauso verrückt! Außerdem würde es ziemlichen Ärger mit den Priesterinnen geben, wenn sie ihre Flucht entdeckten. Arma hatte ihr eindringlich befohlen, sich an alles zu halten, was die Frauen von ihr wollten. Ach Arma, sie wußte doch gar nicht, wie viele fremde Wörter Camire immerzu von ihr hören wollte. Nein, Steinwerfen machte weitaus mehr Spaß!

Brunhild schnaufte leise, um sich Mut zu machen. Vielleicht sollte sie zählen und bei zehn hinunterspringen.

»Eins, zwei, drei«, flüsterte sie, doch dann fiel ihr ein, daß diese Priesterinnen irgendwie immer alles wußten, was sie tat. Sie schienen die besten Ohren zu haben, die man sich überhaupt nur vorstellen konnte. Brunhild kniff die Augen zusammen. Manchmal waren ihr diese Priesterinnen nicht ganz geheuer. Sie wußten sogar etwas von Brunhild, was sie sich selbst oft noch gar nicht ausgedacht hatte. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Besser sie zählte heimlich, dann konnte man es nicht hören. Aber dann verrutschten die Zahlen schneller in ihrem Kopf, und sie brauchte viel länger.

Mirka war an allem Schuld, dachte Brunhild. Wenn sie Arma nicht fortgeschickt hätte, läge sie jetzt bei der Kriegerin im Arm vor dem kleinen Feuer, und sie würden miteinander flüstern. Warum mußte Arma fortgehen? Brunhild fühlte, wie die Tränen ihr in den Augen brannten. Sie wollte keine Priesterin werden, sondern eine Kriegerin! Arma sollte zurückkommen!

Der Mond schaute neugierig hinter einer kleinen Wolke hervor und spendete ein wenig Licht. Jetzt glaubte Brunhild wenigstens ein Stück vom Boden sehen zu können. Es ging ziemlich tief herab.

Sie atmete noch einmal tief ein und sprang mutig von dem Felsvorsprung hinunter. Unerwartet weich landete sie.

»Au!« rief es neben ihr, und irgend etwas rollte sich rasch von ihr weg, ins nahe Gebüsch.

Brunhild blieb vor Schreck regungslos auf dem feuchten Moosboden hocken. Was war das? Da hatte jemand deutlich »Au!« gesagt, doch jetzt war alles still. Unheimlich still! Nichts war zu hören.

Ängstlich horchte das Mädchen in die Nacht. Sie wagte kaum zu atmen. Ihre Augen hatten sich an die Finsternis schon gewöhnt, aber durch das Gebüsch konnte sie nichts erkennen. In ihrem Bauch begann es fürchterlich zu kribbeln, und ihr Herz hämmerte, als sei es ein wildes Pferd.

»Wer ist da?« flüsterte sie in das Gebüsch. Ein leises Rascheln verriet, daß sie nicht geträumt hatte.

Brunhild nahm ihren ganzen Mut zusammen. Sie krabbelte auf allen vieren an den Felsen heran, von dem sie herabgesprungen war. Mit geschickten Fingern suchte sie einen losen Kiesel aus der Wand. »Du bist der Richtige«, flüsterte sie und umklammerte den Stein ganz fest. »Du bist mein Freund.«

Arma hatte ihr nicht umsonst gezeigt, wie man Steine warf!

»Wieso sagst du, ich bin dein Freund?« flüsterte es aus dem Gebüsch. »Du kennst mich doch gar nicht!«

Brunhild erschrak. Sie hatte doch mit dem Stein gesprochen. Jetzt wußte der andere bestimmt, daß sie eine Kriegerin war! Eine bewaffnete Kriegerin! Drohend flüsterte sie: »Komm endlich raus aus deinem Versteck, wenn du dich traust! Oder ich werde dich dazu zwingen!«

Es dauerte eine Weile, dann knickten vor ihr ein paar Zweige auseinander, und ein leises Schniefen war zu hören. Brunhild schloß hastig die Augen. Vielleicht war es ja auch ein riesiges Ungeheuer, das sie fressen würde. Der Gedanke machte ihr Angst. Aber ein Ungeheuer hätte nicht »Au« gesagt, sondern gleich nach ihr geschnappt. Außerdem konnte ein Ungeheuer nicht reden.

»Du bist vielleicht komisch! Erst fällst du vom Himmel, dann sagst du, ich wäre dein Freund, und wenn du mich sehen willst, machst du die Augen zu.«

»Ich habe meine Augen gar nicht zu«, sagte Brunhild und schaute ihr Gegenüber an. Vor Staunen blieb ihr der Mund offen.

»Du bist ja genauso klein wie ich!« stellte sie fest.

Mit dem Stein in der Hand umrundete sie den kleinen Jungen, der vor ihr stand, und betrachtete ihn aufmerksam. »Ich kenne dich nicht. Du gehörst nicht zum alten Volk. Wo kommst du her?«