Выбрать главу

»Aber...«

»Später«, unterbrach die Hohepriesterin sie. »Komm jetzt, ich brauche dich.« Mirka kämpfte einen Augenblick mit sich, dann folgte sie schweigend der Frau über den Kamm des Hügels hinweg zum Wasserfall. Camire schien keinen Blick für den zerstörten Tempel zu haben, sondern ging daran vorbei hinunter zum See. Sie lief nicht einmal. Mirka wunderte sich. Ging es hier nicht um das Leben des ganzen Volkes?

»Was habt Ihr vor?« Sie blieben vor dem Wasser stehen.

Erstaunt sah Mirka, wie die Hohepriesterin ihr schwarzes Gewand ablegte. Sie schritt damit auf sie zu und legte es ihr um die Schultern.

Der Wasserfall rauschte leise in den klaren See hinab. Hier, auf der anderen Seite des Hügels, war es noch still und dunkel, denn der Feuerschein des brennenden Hauses war nur schwach über dem Gipfel zu sehen.

Mirka schaute zum Himmel hinauf. Keine Wolken, selbst der Mond spiegelte sich noch in dem See. Soweit reichte die Macht des Magiers also noch nicht.

»Du wirst den Tempel wieder aufbauen«, sagte Camire. »Auf deinen Schultern wird es liegen, das Erbe dieses Volkes nach der Zerstörung wiederzufinden. Gehe zur alten Ramee. Du wirst sie und die anderen in einer Höhle jenseits der kleineren Hügel am Strand finden. Als ich wußte, daß Pyros kam, habe ich alle dorthin geschickt. Wenn du in diesem Gewande vor Ramee trittst, wird sie wissen, daß du die neue Hohepriesterin der Gwenyar bist. Alle werden dir folgen.«

»Aber ich kann doch nicht...«

»Die Göttin hat entschieden, außerdem bleibt nicht viel Zeit. Pyros wird bald kommen und diesen See mit Feuer übergießen, um seinen Vater zu befreien.« Camire unterbrach sich und warf einen Blick auf den Wasserfall. Dann wandte sie sich wieder an Mirka.

»Ramee wird dich lehren, was du wissen mußt. Habe Vertrauen.«

»Und Brunhild?«

Die Priesterin lächelte. »Das Mädchen hatte beschlossen, ausgerechnet heute den Tempel zu verlassen. Brunhild wird die kleine Bucht unten am Meer sicher erreicht haben.«

»Aber dort ist Pyros«, sagte Mirka. Sie spürte, wie die Angst zurückkehrte.

»Ruhig, mein Kind, er will nicht Brunhild. Selbst wenn er sie bemerkt, ist es ihm gleich. Er will nur Elinor befreien. Der Geist des Alten quält ihn seit langem Nacht für Nacht. Ich weiß es schon länger.« Sie schaute auf das Wasser. »Ich weiß, daß Pyros keine Ruhe mehr findet. Er ist dem Wahnsinn nahe.«

»Das klingt, als habet Ihr Mitleid«, bemerkte Mirka erstaunt.

»Mitleid?« Die Priesterin zuckte mit den Schultern. »Das wird sich zeigen.«

»Was habt Ihr vor? Wie wollt Ihr verhindern, daß er Elinor befreit und dieses Land zerstört?«

Die Hohepriesterin lächelte. Langsam ließ sie auch noch das weiße Untergewand von ihren Schultern gleiten. Achtlos landete es im Gras. Camire stand nun nackt vor dem See. Sie war sehr schön. Ihr weiße Haut schimmerte sanft im Mondlicht. »Ich habe mich lange auf diesen Tag vorbereitet«, sagte sie. »Ich habe das Lied der Liebe gelernt wie kein anderes, denn ich wußte, daß ich eines Tages dem Meister der Verführung gegenüberstehen werde. Es ist meine Prüfung, die die Göttin mir sendet.«

»Ihr wollt ein magisches Duell? Allein gegen Pyros?«

Die Priesterin nickte. »Ganz recht, nenne es ruhig ein magisches Duell. Die Verführung gegen die ganze Kraft der Liebe!« Sie schaute auf das Wasser. »Du triffst gut, nicht nur mit dem Bogen.«

»Aber das ist Wahnsinn. Der Magier ist stärker. Moira hat, als sie ihn damals vor vielen Wintern in einen Adler verwandelt hat, ihr Leben dafür gegeben! Aber sie tat es nicht allein.«

»Das weiß ich. Aber diesmal ist es anders. Hört zu!« Camire faßte Mirka am Arm. »Pyros wird versuchen seinen Vater zu befreien, darum werde ich ihn hier erwarten. Wenn es ihm gelingen sollte, mich zu verführen und mich zu töten, dann flieh in die Höhle zu den anderen. Versteck dich dort, und bei Sonnenaufgang singe das Lied der Freundschaft.«

»Das Lied der Freundschaft?«

»Ja, mache nicht ein solch bestürztes Gesicht, du kennst es, und Ramee kennt es auch, sie wird dir helfen.

Edler Freund, willst du mit mir reisen,

frag den Wind, wohin wir gehen,

folg dem Licht bis an den Rand,

folg der Seele und nimm meine Hand...«

Mirka nickte. Sie kannte das Lied. »Aber wozu?«

»Neptor, der Führer der Männer, wird das Lied über dem Meer hören. Der Wind und die Wellen werden ihm erzählen, was hier geschah«, fuhr die Hohepriesterin fort. »Die Männer werden kommen und euch mit den Schiffen auf eine Insel im Westen bringen.« Sie hielt inne.

»Sollen wir nicht wenigstens versuchen zu kämpfen?«

»Nein, ihr alle würdet sterben. Du hast doch gesehen, was Pyros aus dem Tempel gemacht hat.«

»Ich habe nicht gewußt, welche Kraft dieser Magier besitzt.«

»Wir werden sehen, wieviel er wirklich besitzt«, sagte Camire, und ihre Augen hatten plötzlich einen eigenartigen Glanz. »Jetzt gehe. Verberge dich dort drüben im Schatten der Steine.«

Sie wandte sich ab, drehte sich aber dann noch einmal zu Mirka um. »Wenn du mich sterben siehst, versuche nicht mir zu helfen, sondern hilf deinem Volk. Du bist jetzt die Hohepriesterin. Du trägst das schwarze Gewand.«

Mirka nickte. Sie hielt den Umhang, der schwer auf ihren Schultern lag, mit beiden Händen fest.

Camire küßte sie sanft auf die Lippen. »Vielleicht wird die Göttin mich für meinen Hochmut strafen, wenn ich das Lied der Liebe für Pyros singe«, flüsterte sie. »Aber sei gewiß, mein Herz gehört diesem Volk, was immer du auch sehen magst.«

»Aber dann wird Euer Vorhaben nicht gelingen. Das Lied der Liebe kann nur einen Zauber bewirken, wenn Ihr wirklich liebt.«

Die Hohepriesterin schaute wieder zum Wasserfall. »Pyros lebt nicht weit von hier in einem kleinen Haus jenseits des magischen Ringes. Es ist dasselbe Haus, in dem schon seine Mutter lebte, als er ein kleiner Junge war. Er ist dorthin zurückgekehrt, um seinem Vater nahe zu sein und sich auf diesen großen Tag vorzubereiten. Ich begegnete ihm vor ein paar Monden, als ich zur Jagd ritt. Ich habe in seine Augen gesehen. Sie sind so tief, so warm, so ohne jeden Halt.« Camire hielt einen Augenblick inne, dann fuhr sie fort. »Seitdem habe ich ihn oft heimlich beobachtet. Mein Herz...« Wieder brach sie ab und schaute Mirka an. »Zuviel der Worte. Geh jetzt. Führe dieses Volk, wie es einer Hohepriesterin würdig ist.«

»Wieso ist Pyros kein Adler mehr? Was ist geschehen?«

Camire zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, vielleicht hat er endlich die Kraft gefunden, den Bannspruch der Moira aufzuheben. Moira war schließlich nur eine Hohepriesterin der Göttin und keine allmächtige Zauberin.«

»Und was ist mit den Bogenschützinnen? Die Frauen haben damals gut getroffen, so gut, daß Moira ihn in der Gestalt des Adlers bannen konnte. Warum versuchen wir es nicht wieder?«

»Willst du hier wahrlich ein Wettkampf veranstalten, Mirka, einen Wettkampf, welche von euch das Herz des Magiers trifft?«

»Warum nicht?«

»Nein.« Camire schüttelte den Kopf. »Die Göttin hat entschieden. Es gibt ein magisches Duell.«

Mirka schaute Camire nach, die nun langsam in den See hineinging. Das Wasser umspülte zuerst ihre Füße, dann ihre Beine bis hinauf zu den Schenkeln. Sie löste ihr helles Haar, das ihr lang den Rücken hinabfiel, und tauchte kurz unter. Mit gleichmäßigen Zügen schwamm sie auf den Wasserfall zu. Der Mond schien immer noch silbern über dem See, als wäre es eine Nacht wie jede andere auch.