»Du bist die Hüterin des Feuers, die Gwenyar würden dich holen, wenn du mich tötest.«
»Schon möglich.« Luovana ließ den Pfeil los. Zischend landete er vor Lursas Fuß. »Sei gewiß, der nächste trifft.«
Lursa trat wütend nach dem Pfeil und wandte sich dem Wallach zu. Sie löste die Zügel des Fuchses von dem Stein und schnitt ihm mit dem Dolch die Fußfesseln durch. Aufmerksam beobachtete Luovana jeden Handgriff ihrer Schwester. Lursa war zu allem fähig, wenn sie einen Dolch in der Hand hielt.
»Gut, und jetzt treib die Pferde raus. Ich werde sie mit Aysar am Rande des Kessels abholen.«
Luovana wartete noch, bis die Tiere den Felsenhof verlassen hatten, dann erst senkte sie den Bogen. Mit schnellen Schritten kletterte sie von dem Felsvorsprung wieder hinauf zu dem Hügel, wo sie Aysar zurückgelassen hatte.
»Du weißt, daß du sie nicht schützen kannst. Sie sind der Göttin geweiht«, rief Lursa ihr nach und warf den Dolch zornig gegen eine der Felsenwände, so daß er klirrend zu Boden fiel.
»Vielleicht«, murmelte Luovana leise, als sie sich auf den Rücken ihrer Stute schwang. »Vielleicht kann ich es wirklich nicht.«
3
»Bei allen Heiligen, was ist das?« Faramund blieb stehen. Am Fuß der Felsen hatten sich Schatten bewegt, die langsam auf das Schneefeld hinaustrabten.
»Ein Reiter, der uns unsere Pferde zurückbringt«, bemerkte Bruno von Falkenstein.
»Findet Ihr das nicht ungewöhnlich? Was ist das für ein seltsames Ritual, bei dem uns erst die Pferde gestohlen und dann zurückgebracht werden?«
Der Ältere zuckte mit den Schultern. Er mußte Faramund recht geben, aber er hatte nichts dagegen einzuwenden, wieder auf seinen Fuchs zu steigen. Er war es nicht mehr gewohnt, so lange zu Fuß zu gehen. Bruno beobachtete den schmächtigen Reiter. Mit einer solch zarten Gestalt konnte man ohne große Mühen handelseinig werden, falls an die Rückgabe der Pferde eine Bedingung geknüpft war. Eine Ahnung erwachte in dem Ritter und verdichtete sich mehr und mehr zur Gewißheit, je näher der Fremde kam.
»Es ist eine Frau«, flüsterte Bruno. Höflich deutete er eine Verbeugung an. »Seid mir gegrüßt, Fremde. Ich bin Bruno von Falkenstein, und das ist mein Gefährte Faramund von Hohenfels. Wir sind friedliche Reisende aus dem fernen Burgund.«
Die Fremde nickte. »Mein Name ist Luovana. Ich bringe Euch Eure Pferde zurück. Ich fand sie oben in den Bergen.« Sie reichte Bruno die Zügel. »Soweit ich es beurteilen kann, ist ihnen nichts geschehen.«
»Wir danken Euch«, sagte der Ritter und trat zu seinem Fuchs.
Er tastete den Leib des Wallachs ab und prüfte, ob Sattel und Zaumzeug noch richtig saßen. Freundschaftlich tätschelte er den Wallach unter der Mähne. Doch das Tier warf unruhig den Kopf in die Höhe. Irritiert zog er die Hand fort, sie war blutverschmiert. Sofort untersuchte er den Hals des Pferdes und entdeckte die Schnittwunde.
»Es ist nicht gefährlich, es wird wieder heilen«, bemerkte die Fremde.
»Es wird wieder heilen? Ist das alles, was Ihr dazu zu sagen habt?« Der Ritter hob fragend die Brauen.
»Habt Geduld, ich werde Euch alles erklären, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Wenn Ihr wollt, seid meine Gäste. Ich lade Euch ein, bei mir von Eurem beschwerlichen Weg auszuruhen und neue Kräfte zu schöpfen.«
Bruno warf Faramund einen kurzen Blick zu, bevor er antwortete. Der Junge hatte ebenfalls seinen Wallach abgetastet, doch dem Tier schien nichts zu fehlen.
»Wir nehmen Euer Angebot gerne an«, sagte er. »Ein warmes Feuer verschmäht hier draußen niemand, und ich bin wirklich gespannt, was Ihr mir zu sagen habt.«
»Ihr werdet Eure Antwort bekommen, doch jetzt sollten wir uns eilen. Ich hoffe, Euer Mut, mir zu folgen, ist genauso ausreichend wie die Kraft Eurer Pferde.«
»Worauf ihr zählen könnt«, erwiderte Bruno und schwang sich in den Sattel. »Wo reiten wir hin?« fragte er.
Luovana schaute auf. »Zu den Bergen. Ich bringe Euch zur Flammenburg, zur Hüterin des Feuers.«
Bruno hörte, wie Luovana ein unverständliches Wort flüsterte, und sah, wie das graue Pferd kurz darauf in einen schnellen Galopp verfiel. Das Tier flog mehr über den Schnee, als daß es lief, und in dem grauen Licht wurde es bald zu einem fliehenden Schatten, der auf die Berge zueilte. Er würde Mühe haben, mit seinem Fuchs zu folgen.
»Bruno, sagt der edlen Dame, daß ich ein Pferd reite und keine Bergziege«, rief Faramund und blickte angstvoll in den Abgrund, der sich rechts von ihm auftat. Der Braune stolperte unsicher über den Geröllpfad, der sich endlos in die Höhe zu winden schien. Sie folgten einem schmalen steinigen Paß, der zwischen Felswand und Abgrund gerade breit genug für einen einzelnen Reiter war. Gottlob gab es hier oben keinen Schnee, dafür sorgte die Wärme, die aus dem Berg zu dringen schien.
»Ich denke, die edle Dame weiß, was sie tut«, brummte Bruno.
»Diese Wärme ist mir unheimlich, was haltet Ihr davon?« fragte Faramund, um sich abzulenken.
»Ich vermute, in der Nähe befindet sich ein Vulkan«, sagte Bruno. »Wahrscheinlich werdet Ihr oben auf dem Gipfel einen Krater entdecken.«
Faramund blickte erwartungsvoll zum Gipfel hinauf, doch er sah nur Luovana, die dort oben wartete.
»Sie hat keine Angst«, sagte er leise. »Das Weib ist mir unheimlich.«
»Faramund, seid nicht ungerecht, warum sollte sie Angst haben, sie kennt schließlich den Weg.«
»Fragt sich nur welchen Weg, den zur Hölle oder einen anderen?«
»Ihr stellt zu viele Fragen«, entgegnete der Ältere und konzentrierte sich wieder auf den Pfad vor sich.
»Für den Anfang waren Eure Pferde ja recht mutig«, hörte Faramund Luovana rufen, als er gemeinsam mit Bruno die letzte Biegung des Pfades hinter sich ließ. Vor ihnen erstreckte sich ein Hochplateau, das von langgezogenen schwarzen Hügelketten umgeben war. Große Felsblöcke lagen herum, als hätten ein paar übermütige Riesen sich im Steinwurf geübt.
»Es gibt Reiter, die niemals hier oben ankommen«, erklärte Luovana.
Bruno blickte besorgt auf das Schneefeld weit unter ihnen.
»Das glaube ich gern«, sagte er leise. »Müssen wir auf der anderen Seite wieder hinunter, um zu dieser Flammenburg zu kommen?«
»Nein.« Luovana schüttelte den Kopf. »Wir reiten jetzt an der dampfenden Quelle vorbei, zur Wasserhöhle. Dahinter liegt der Burgweg.«
»Sieht aus, als hätte jemand mit viel Mühe Kanten und Risse in die Steine hineingemeißelt.« Faramund hielt einen Finger an einen mannshohen Felsbrocken zu seiner Linken. »Scharf wie die Klinge eines Schwertes.«
»Dieses Gebirge ist ein heiliger Ort, es wurde vom Feuer der Erde erschaffen«, erklärte Luovana. »Das Feuer hat alles nach seinem Wunsch geformt.« Sie lächelte Faramund an und wendete die Stute. Kurz darauf war sie hinter einem der unförmigen Felsen verschwunden.
»Wir sollten Ihr folgen«, drängte Faramund, als er sah, daß Bruno keinerlei Anzeichen machte, seinen Fuchs anzutreiben. »Immerhin ist sie unsere einzige Hoffnung auf einen saftigen Braten und guten Wein.«
Bruno schaute sich langsam um und wandte sich dann an Faramund. »Wenn ich Euch einen Befehl gäbe, junger Freund, würdet Ihr ihn befolgen?« fragte er leise. »Sagt rasch,« drängte er, »würdet Ihr mir gehorchen?«
Faramund nickte zögernd. Er konnte dieser plötzlichen Ernsthaftigkeit von Bruno nichts abgewinnen. Wollte er ihn auf die Probe stellen? Dafür war wohl kaum der rechte Zeitpunkt, wenn sie die Frau dadurch aus den Augen verlieren würden.